"Drama bei der Verteilung von humanitärer Hilfe im Gazastreifen", titelt Le Soir. "Mehr als 100 Tote bei der Lieferung von Nahrungsmitteln in Gaza", so die Schlagzeile von De Morgen. "Selbst Lebensmittel-Konvois sind lebensgefährlich in Gaza", schreiben De Standaard und Het Nieuwsblad auf Seite eins.
Bei der Ankunft einer Hilfslieferung in Gaza-Stadt und anschließenden Tumulten sind mindestens 112 Palästinenser ums Leben gekommen, über 700 weitere wurden verletzt. Israelische Soldaten sollen zusätzlich auf die Menschen geschossen haben, was ein Armeesprecher aber dementierte.
Die Waffen müssen schweigen
Was in diesen Tagen in Gaza passiert, das ist schlichtweg unfassbar, meint sichtbar schockiert Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Die Bombenangriffe gehen unvermindert weiter, wobei doch der Gazastreifen ein einziger Trümmerhaufen ist. Die Palästinenser sind derartig verzweifelt und hungrig, dass sie nehmen, was sie kriegen können. Und ob nun Gewehrschüsse gefallen sind oder nicht: Es ist in jedem Fall kriminell, Menschen unter derartigen Bedingungen einzusperren und auszuhungern. Das israelische Vorgehen ist durch nichts mehr zu rechtfertigen. Zumal das Kriegsziel unerreichbar bleibt, wie es Beobachter von Anfang an vorhergesagt hatten: 30.000 Menschen sind ums Leben gekommen, aber die Hamas ist nach wie vor nicht besiegt.
De Morgen sieht das ähnlich. Unabhängig davon, wie es zu dem Drama kommen konnte, ist es wohl das ultimative Argument für ein Ende des Krieges, oder zumindest eine humanitäre Waffenruhe. Da mag Israel noch so nachdrücklich von einem tragischen Unfall sprechen, mit dem man nichts zu tun habe: Israel trägt sehr wohl die Schuld daran, dass Hunderttausende hungrige Menschen im Gazastreifen eingesperrt sind. Natürlich ist es irgendwie verständlich, dass sich ein Land nach der barbarischen Terrorattacke vom 7. Oktober wütend auf Gaza gestürzt hat. 30.000 Tote später ist das legitime Recht auf Selbstverteidigung aber aufgebraucht. Man kann nur hoffen, dass diese Tragödie den Druck auf beide Seiten maximal erhöht, damit die Verhandlungen über einen Waffenstillstand nun endlich zu einem Ergebnis führen.
Auf das Schlimmste vorbereiten
Auf einigen Titelseiten sieht man heute auch den russischen Präsidenten Putin, der in seiner Rede zur Lage der Nation erneut dem Westen gedroht hat. "Putin gibt einen Warnschuss auf den Westen ab", so formuliert es etwa L’Echo. Als Reaktion auf den Bodentruppen-Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hatte Putin ja vor einem Atomkrieg gewarnt.
Putin hat also erneut mit der atomaren Apokalypse gedroht; dabei haben wir doch längst aufgehört zu zählen, meint süffisant L’Avenir. Ums mal so auszudrücken: Wir sind nicht dazu gezwungen, Angst zu haben. Was freilich nicht heißt, dass uns der Krieg in der Ukraine egal sein darf. Putin hat's da natürlich leichter als seine westlichen Kollegen: Er kann tun und lassen, was er will. Er kann Kritiker nach Sibirien verfrachten, Tausende Soldaten in den Tod schicken und über die Auslöschung der Zivilisation schwadronieren, ohne dass es da auch nur den Hauch von Widerspruch gibt. Unsere politisch Verantwortlichen müssen hingegen ihre Worte akribisch abwägen, um ihre öffentlichen Meinungen nicht zu verängstigen. Dass Putin uns jetzt eine Pistole auf die Schläfe setzt, das ist allerdings inakzeptabel. Wenn auch niemand im Westen ernsthaft einen Krieg riskieren will, so müssen wir uns dennoch darauf vorbereiten: materiell, aber vor allem in den Köpfen.
"Die Migrationsfrage ist die wichtigste Sorge der flämischen Wähler", notiert derweil La Libre Belgique auf Seite eins. Das Blatt beruft sich auf eine Umfrage, die De Standaard und die VRT gestern veröffentlicht haben.
Flandern ist damit also keine Ausnahme, kann Het Belang van Limburg nur feststellen. So ein bisschen überall ist die Migrationsproblematik das große Thema. Man denke nur an den Wahlsieg von Geert Wilders in den Niederlanden. Und auch in den USA reitet Donald Trump genüsslich darauf herum. Und doch sind diese Sorgen mindestens paradox. Gerade erst hat etwa der flämische Arbeitgeberverband Voka ein flammendes Plädoyer für mehr Arbeitsmigration gehalten. In Belgien hat das allerdings einen faden Beigeschmack. Laut einer Studie der Uni Gent ist Belgien nämlich das europäische Land, in dem die wenigsten Migranten den Sprung ins Arbeitsleben schaffen. Irgendwo sind die Sorgen also auch verständlich.
Migration bietet Chancen
Hier muss man also den Hebel ansetzen, hakt De Tijd ein. Die Diagnose der Uni Gent bedeutet nicht, dass Rechtsextremisten automatisch recht haben, wenn sie einen Migrationsstopp fordern. Davon abgesehen, dass die meisten vermeintlich einfachen Lösungen etwa des Vlaams Belang ohnehin unrealistisch beziehungsweise kontraproduktiv wären. Kurz und knapp: Eine Verschärfung der Abschiebepolitik scheitert an praktischen Problemen; eine Wiedereinführung von Grenzkontrollen in der EU wäre vor allem für Flandern wirtschaftlich schädlich. Nein, die Lösung liegt in der besseren Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt. Dann hat Migration nicht nur einen Mehrwert für die Unternehmen, sondern auch für die Staatsfinanzen.
Für La Libre Belgique macht insbesondere die N-VA sogar einen strategischen Fehler, wenn sie die Migration zu ihrem zentralen Wahlkampfthema macht. Abgesehen davon, dass die Menschen sich im Zweifel für das Original entscheiden, sorgt die Fokussierung auf die Einwanderungspolitik dafür, dass andere, wichtige Themen außen vor bleiben, allen voran die Kaufkraft und die großen sozialwirtschaftlichen Herausforderungen. Die N-VA macht einen Fehler, wenn sie diese Themen vernachlässigt, die doch bislang immer das Fundament ihrer Wahlsiege waren.
Roger Pint