"Junge Menschen ohne Diplom: beängstigende Zahlen", titelt Le Soir. "Doppelt so viele Kinder erlangen kein Grundschuldiplom", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. Beide Blätter beschäftigen sich also mit den Bildungschancen und vor allem mit dem Problem der Schulabbrecher. Konkret geht etwa Le Soir der Frage nach, wie viele Menschen zwischen 18 und 24 kein Sekundarschuldiplom haben und auch nicht mehr daran arbeiten. In Belgien liegt der Anteil bei rund acht Prozent. Das ist unter dem europäischen Durchschnitt. Allerdings geht man davon aus, dass diese Zahl unterschätzt wird und in Wahrheit höher liegt.
"Neues Strafgesetzbuch – eine Vereinfachung mit einem erweiterten Arsenal", so derweil die Aufmachergeschichte von L'Avenir. Das neue Strafgesetzbuch wurde gestern von der Kammer verabschiedet und soll in zwei Jahren in Kraft treten. Wie viele andere Blätter präsentiert auch L'Avenir die wichtigsten Neuerungen. Das GrenzEcho hebt auf Seite eins eine davon hervor: "Künftig weniger Gefängnisstrafen", schreibt das Blatt.
Klassenjustiz?
In Flandern zieht das Gerichtsurteil gegen den YouTuber Acid alle Blicke auf sich. "Acid wegen Stalkings verurteilt – Gefängnisstrafe auf Bewährung", so fasst Gazet van Antwerpen den Ausgang des Verfahrens zusammen. Vor Gericht verantworten musste sich der 24-jährige junge Mann, weil er in einem Online-Video die Namen der Mitglieder des Studentenclubs Reuzegom öffentlich gemacht hatte. Bei einer Studententaufe des Clubs war 2018 der damals 20-jährige Sanda Dia ums Leben gekommen. Die beteiligten Mitglieder waren im vergangenen Jahr im Wesentlichen zu Arbeitsstrafen verurteilt worden, seither wird in Flandern aber angeregt darüber diskutiert, ob das Urteil nicht zu milde ausgefallen ist. Unter anderem De Standaard geht jetzt der Frage nach, "warum Acids Video schwerer bestraft wurde als die tödliche Taufe".
"Geld gewinnt immer in Belgien", mit diesem Knallersatz reagierte Acid auf das Urteil. Man muss sich fragen, ob er diesen Oneliner vor dem Spiegel eingeübt hatte, giftet Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Nathan Vandergunst, besser bekannt als Acid, sieht sich als das Opfer einer "Klassenjustiz". Zugegeben, das klingt doch so viel besser als der eigentlich gängige Begriff, der da lautet: "verurteilter Straftäter". Im Grunde war der Prozess eine einzige Show. Angefangen damit, dass Acids Anwalt eine Alternativstrafe ablehnte und so aus seinem Mandanten einem Märtyrer machte. Dies unter dem Applaus der Fans des Influencers, die ernsthaft glauben, dass hier eine ganze Generation verurteilt wurde. Acid wollte ein spektakuläres Finale, dann muss er jetzt auch die Folgen wie ein Erwachsener tragen.
Selbstkritik bei allen Beteiligten wäre angebracht
Das Schlimme ist aber, dass auch Politiker in den Sirenengesang des YouTubers einstimmen, findet Gazet van Antwerpen. Auch die marxistische PTB und sogar der CD&V-Vorsitzende Sammy Mahdi schwadronierten über "Klassenjustiz". Mahdy nannte das Urteil gar "lächerlich", weil Acid schwerer bestraft wurde als die Mitglieder des Studentenclubs. Dass Acids Anwalt eben eine Arbeitsstrafe abgelehnt hatte, das scheint dem CD&V-Präsidenten entgangen zu sein. Davon abgesehen: Acid hatte zudem einen Unschuldigen an seinen Online-Pranger gestellt, was sogar dazu geführt hatte, dass dessen Eltern ihr Antwerpener Restaurant für einige Tage schließen mussten. Auch das scheinen die Fürsprecher des Influencers geflissentlich zu übersehen. Leute wie Mahdy sind denn auch gewissenlose Populisten, die man eigentlich kaum noch als Demokraten bezeichnen kann.
Het Belang van Limburg sieht das ähnlich: Acid hat sich all den Ärger selbst zuzuschreiben. Er hat Menschen, darunter auch Unschuldige, seinem Online-Mob zum Fraß vorgeworfen. Und eine Alternativstrafe lehnte er ab. Dass ihm immer noch Fans und sogar Politiker die Stange halten, kann eigentlich nur Kopfschütteln hervorrufen. Der Influencer sollte vielmehr das Urteil annehmen und einmal in sich gehen. Er muss einsehen, dass er kein Online-Halbgott ist, der alles so viel besser weiß als unabhängige Richter. Doch auch die Justiz sollte sich in Selbstkritik üben. Sie muss ihre Urteile noch besser erklären.
Acid als Sprachrohr für das Ungerechtigkeitsgefühl
Genau in diese Kerbe schlägt auch De Morgen. Natürlich hat Acid einen großen Fehler gemacht, indem er einen Unschuldigen an den Pranger stellte. Und auch seine vergleichsweise harte Strafe ist er selbst schuld. Dennoch ist der Fall in gewisser Weise symptomatisch. Denn es bleibt die Frage, ob die Mitglieder des Studentenclubs Reuzegom nicht wirklich vergleichsweise gut weggekommen sind. Immerhin ist bei der verhängnisvollen Studententaufe ein Mensch gestorben. Bei den Angeklagten handelte es sich allesamt um die Söhne reicher, angesehener Familien. Die können sich die besten Anwälte leisten. Und insofern kann man doch von einer gewissen Klassenjustiz sprechen. Acid hat vielleicht das Recht in die eigene Hand genommen, das gehört gewiss bestraft. Aber er hat sich auch zum Sprachrohr gemacht und dieses Ungerechtigkeitsgefühl auf den Punkt gebracht.
Senioren, die sich an die Macht klammern
La Dernière Heure schließlich macht mit einer bemerkenswerten Geschichte auf. Das Blatt beschäftigt sich mit "den Senioren, die sich an die Macht klammern". Auf der nationalen Ebene denkt das Blatt da an Leute wie Elio Di Rupo oder Olivier Maingain, respektive 72 und 65 Jahre alt. Andere Beispiele sind Herman De Croo, 86 oder Louis Michel, 76 Jahre alt.
Es gibt offensichtlich zwei Sorten Leute, meint La Dernière Heure in ihrem Kommentar. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die froh sind, wenn sie das Rentenalter erreicht haben. Weil der Rücken nicht mehr mitmacht, weil sie schlicht und einfach abgekämpft sind. Und dann gibt es diejenigen, die für die Arbeit leben. Oft handelt es sich hierbei um Leute mit stattlichen Gehältern, wie eben Politiker, für die Inaktivität offensichtlich gleichbedeutend ist mit Depression. Diese Menschen sind sich anscheinend nicht dessen bewusst, dass die Tatsache, bis ins hohe Alter einfach weiterzuarbeiten, eigentlich schon ein Luxus ist.
Roger Pint