"Das Finanzierungsmodel der Polizeizonen ist zum Nachteil von Brüssel", titelt L'Echo. "Bekommt die Brüsseler Polizei zu wenig föderales Geld?", fragt sich De Tijd auf Seite eins. L'Avenir wirft noch ein anderes Problem auf: "Brüssel tut sich schwer damit, seine Polizisten zu halten", so die Schlagzeile.
Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Drogengangs in Brüssel beschäftigen auch heute weiter die Zeitungen. In dieser Woche hatte es ja gleich vier Schießereien gegeben, bei denen ein Mensch getötet und zwei weitere schwer verletzt worden waren. La Libre Belgique stellt sich die Frage, "wie Brüssel in der extremen Gewalt der Drogenbanden landen konnte". Het Laatste Nieuws stellt einen ersten konkreten Lösungsansatz in den Vordergrund: "Die Regierung will Dealer ohne Aufenthaltsgenehmigung schneller abschieben", schreibt das Blatt auf Seite eins.
Politisches Missmanagement
"Höllenloch Brüssel", meint Het Belang van Limburg in einem wütenden Kommentar. "Hellhole", als Donald Trump vor acht Jahren unsere Hauptstadt als "Höllenloch" bezeichnete, da war in Brüssel die Empörung groß. Aber, ehrlich gesagt: Das, was wir in den letzten Tagen gesehen haben, wie soll man das denn sonst bezeichnen? Das Viertel um die Porte de Hal ist zu einem Spielplatz für internationale Drogenbanden verkommen, die ihre Rechnungen mit Kriegswaffen begleichen. Und im Peterbos-Viertel in Anderlecht regieren die Dealer. Buchstäblich, denn sie führen dort sogar allen Ernstes Identitätskontrollen durch.
All das ist die Folge von Fehlentwicklungen, die schon seit langem bekannt sind: Personell unterbesetzte Polizei- und Justizbehörden, jahrelanges Missmanagement der PS-geführten Regionalregierungen. Und über eine Zusammenlegung der sechs Polizeizonen oder der 19 Gemeinden will man nicht mal diskutieren. Nein: Die PS zeigt lieber mit dem Finger auf den Föderalstaat.
Auch La Dernière Heure ist ungehalten. Hier droht fast schon eine Überdosis an Dummheit, giftet das Blatt. Nehmen wir zum Beispiel Paul Van Tigchelt. Der föderale Justizminister behauptet allen Ernstes, dass die Drogenmafia von den Behörden in die Enge getrieben werde. Ach ja? Ist das wirklich so? Ist man in die Enge getrieben, wenn man ungeniert auf offener Straße am helllichten Tag in aller Seelenruhe Drogen an den Mann bringt, manchmal sogar gefilmt von Überwachungskameras? Nach der Aufregung der letzten Tage sitzen die Dealer jedenfalls schon wieder auf ihren Stühlen. Anderes Beispiel: der Brüsseler Ministerpräsident Rudy Vervoort. Der tut das, was er immer schon am besten konnte: Er redet das Problem klein. Realitätsverweigerung, Passivität, Fatalismus: Die Brüsseler haben mehr verdient.
Handlungsbedarf erkannt
Het Laatste Nieuws sieht bei alledem allerdings einen Hoffnungsschimmer. Die Drogengangs haben das scheinbar Unmögliche fertiggebracht: Sie haben das Land geeint. Denn sowohl in Flandern als auch in der Wallonie macht man dieselbe Analyse: So kann es nicht weitergehen. Das war nicht immer so. Hohe PS-Verantwortliche haben früher selbst Zwischenfälle mit Kriegswaffen immer als "Fait divers" abgetan, als Randerscheinung. Dass Frankophone und Flamen jetzt gleichermaßen Handlungsbedarf sehen, das ist an sich also schon mal eine gute Neuigkeit. Da hört's dann aber auch auf. Denn offensichtlich hat niemand einen kohärenten Plan, wie man die Probleme in der Hauptstadt jetzt lösen will.
L'Avenir sieht das ähnlich. Jetzt, nach vier Schießereien mit einem Todesopfer, scheint die Politik endlich mal aufgewacht zu sein. In Flandern war man zugegebenermaßen bereits sensibilisiert, weil man ja die Drogengewalt schon aus Antwerpen kannte. Jetzt sind also auch die Frankophonen in der Realität angekommen. Was die Bekämpfung des Problems freilich nicht leichter macht. Wir haben es hier mit einem asymmetrischen Krieg zu tun, weil sich der Gegner an keinerlei Regeln halten muss. Das ist vergleichbar mit dem Kampf gegen den Terrorismus. Beim "War on drugs" ist aber vor allem auch die Nachfrage das Problem, also der Konsument.
Derweil erobern auch die Landwirte wieder die Titelseiten. So ein bisschen überall flackern die Proteste wieder auf. Die flämische Regierung hat in der Nacht aber ein Abkommen mit Vertretern der Bauernverbände erzielen können. Wichtigster Knackpunkt war die Problematik um den Ankauf landwirtschaftlicher Nutzflächen. Naturschutzvereinigungen und auch der Staat erwerben Ländereien, um diese umzuwandeln in Naturgebiete. Die flämische Regierung erklärt sich bereit, diese Praxis vorläufig auszusetzen.
Die Landwirte haben die flämische Regierung im Würgegriff, beklagt Gazet van Antwerpen. Ihre Methoden sind aber wenig demokratisch. Mit ihren Straßenblockaden gelingt es ihnen, viele mühsam zustande gekommene Umweltschutzmaßnahmen zu verwässern oder auf die lange Bank zu schieben. Den Preis dafür werden am Ende leider die Natur, der Mensch, der Bauer und die Demokratie zahlen müssen.
Schmerzhafte Wahrheit
Einige Blätter beschäftigen sich schließlich mit der Haushaltslage. "Ohne Eingreifen steigt das Haushaltsdefizit bis 2029 auf 39 Milliarden Euro", so die bedrohliche Schlagzeile von De Tijd. Die Konsequenz steht auf Seite eins von Le Soir: "Die Belgier werden den Gürtel enger schnallen müssen".
An diesem Erbe der Vivaldi-Koalition werden wir noch lange zu knabbern haben, befürchtet De Standaard. Denn Sparmaßnahmen sind in diesen Zeiten noch schwieriger als sonst. Denn viele Ausgaben sind schlichtweg nötig: Vergreisung der Bevölkerung, Nato-Verpflichtungen, Klimawende. Jetzt dürfte wirklich jedem aufgehen, dass wir an tiefgreifenden Strukturreformen nicht mehr vorbeikommen.
Und doch steht zu befürchten, dass wir erstmal wieder kollektiv den Kopf in den Sand stecken, glaubt De Tijd. All das dürfte jedenfalls die Parteien nicht daran hindern, den Bürgern im Wahlkampf das Blaue vom Himmel zu versprechen. Niemand dürfte jedenfalls Lust dazu haben, den Menschen die Wahrheit zu sagen. Im Grunde kennen sie sie auch. Aber anscheinend will der Wähler betrogen werden.
Roger Pint
Der Wähler will betrogen werden?
Echt jetzt ?
Ist also der Wähler schuld ???