"Ohnmacht", titelt La Libre Belgique. "Die Überdosis", so die Schlagzeile von Le Soir. Der Schock sitzt tief nach der jüngsten Eskalation der Gewalt in Brüssel. Innerhalb von 48 Stunden kam es zu vier Schießereien. Dabei wurde eine Person getötet, zwei weitere wurden schwer verletzt. "In Brüssel tobt ein Krieg der Gangs", stellt La Dernière Heure auf ihrer Titelseite fest. "Der Drogenschmuggel sorgt für eine Gewaltexplosion in der Hauptstadt", schreibt L'Echo auf Seite eins.
"Wie viele Schüsse müssen noch fallen?", fragt sich anklagend Le Soir in seinem Leitartikel. Mitten in Brüssel, in der Hauptstadt Europas, haben Drogenbanden offensichtlich den Eindruck, dass sie ihre Rechnungen mit Kriegswaffen begleichen können. Hinzu kommen Berichte über das Peterbos-Viertel in Anderlecht, wo nicht mehr Polizeibeamte oder Sicherheitsleute die Eingänge kontrollieren, sondern Dealer. Nicht weit vom Brüsseler Justizpalast regiert also offensichtlich nur noch das Gesetz des Stärkeren. Die Politik hat ihrerseits die Gefahr noch nicht erkannt. Hier kann man gleich wieder die alten Reflexe beobachten: Die verschiedenen Machtebenen schieben sich gegenseitig den Ball zu, beziehungsweise werfen sich ihre jeweiligen Unzulänglichkeiten vor. Und währenddessen kracht unter dem Fenster einer Bewohnerin von Saint-Gilles ein Schuss aus dem Lauf einer Riot Gun.
Wann ist endlich Schluss?
In Brüssel tritt die Gewalt jetzt offen und ungeniert zutage, konstatiert auch La Dernière Heure. Jetzt ist es denn auch an der Zeit, die Dinge endlich beim Namen zu nennen: Schluss mit der Relativierung, der Verharmlosung der Wirklichkeit! Und die lokalen und regionalen Behörden sollten jetzt auch endlich aufhören, wie in solchen Fällen üblich gleich mit dem Finger auf den Föderalstaat zu zeigen. Parallel dazu müssen aber auch die Stellenpläne der Polizei beziehungsweise Justizbehörden endlich aufgefüllt werden. Oder muss man wirklich warten, bis ein unschuldiges Kind einen Querschläger abbekommt?
Was wir bislang sehen, das ist jedenfalls nur das Eingeständnis der eigenen Machtlosigkeit, beklagt La Libre Belgique. Viel zu oft schon wurde auf die personelle Unterbesetzung der Polizei und Justizbehörden in der Hauptstadt hingewiesen. Hinzu kommt dann noch, dass häufig der Weitblick fehlt. Als kürzlich unter dem Druck von Medienberichten im Viertel um den Südbahnhof aufgeräumt wurde, konnte man sich an den fünf Fingern abzählen, dass sich das Problem allenfalls verlagern würde. Fazit: Es bedarf eines wirklichen Masterplans für die Hauptstadt. Initiativen, die in diese Richtung gingen, sind allesamt versandet. Das Resultat sehen wir jetzt.
Territorialkämpfe und Kompetenz-Chaos
De Standaard ist da ein wenig nuancierter. Man kann nicht behaupten, dass sich in den letzten Jahren nichts bewegt hätte. Es wurde durchaus bereits in mehr Personal investiert. Doch muss die letzte Meile noch gelaufen werden. Erschwert wird das aber durch das Brüsseler Kompetenz-Chaos. Im vorliegenden Fall geht es um ein überschaubares Stadtviertel, auf dessen Gebiet aber drei Gemeinden und zwei Polizeizonen zuständig sind; nicht zu vergessen die Region Brüssel-Hauptstadt. Davon abgesehen muss man aber ehrlich bleiben: Es bedarf tatsächlich zusätzlicher Investitionen, um die Drogenkriminalität wirklich in den Griff zu bekommen.
Denn wir dürfen nicht vergessen, mit wem wir es hier zu tun haben, hakt De Morgen ein. Um es mal so auszudrücken: Hier geht es nicht um eine Kneipenschlägerei unter kleinen Fischen, sondern um Territorialkämpfe zwischen internationalen Verbrecherorganisationen, von der Drogenmafia aus Marseille über die italienische 'Ndrangheta bis hin zu den lateinamerikanischen Kartellen. Die belgischen Sicherheitsbehörden verfügen zwar nachweislich über viel Know-how in diesem Bereich, doch stoßen sie hier an Grenzen. Belgien kann seinen EU-Vorsitz auch dazu nutzen, den Kampf gegen internationale Drogenschieber auch auf die europäische Agenda zu setzen. Was wir wirklich brauchen, das ist eine integrierte EU-Polizeieinheit nach dem Vorbild der US-amerikanischen DEA. In Brüssel ist das leider noch ein ferner Traum.
Fatales Signal von der flämischen Regierung?
Vor allem in Flandern richten sich heute aber auch alle Blicke auf das anstehende Treffen zwischen der flämischen Regierung und Vertretern der verschiedenen Bauernverbände. Vom Ausgang dieses Gesprächs wird abhängen, ob die Landwirte ihre Proteste wieder verschärfen oder nicht.
Die flämische Regierung droht hier die falsche Abzweigung zu nehmen, befürchtet sinngemäß Het Nieuwsblad in seinem Kommentar. Aus einem Arbeitspapier, das an die Presse durchgesickert ist, geht hervor, dass die Equipe um Ministerpräsident Jan Jambon den Bauern in so ungefähr allen Punkten entgegenkommen will. Das Signal wäre fatal, könnte doch der Eindruck entstehen, dass letztlich Interessenvertretungen der Regierung in den Block diktieren, wie die Politik auszusehen hat. Was hielte dann noch die Polizeigewerkschaften, die Pflegekräfte oder Beschäftigte in anderen Sektoren davon ab, dann ebenfalls den Antwerpener Hafen zu blockieren? Anders gesagt: Wenn man sich vor den Bauern in den Staub wirft, dann gibt man letztlich die Politik in die Hände derer, die das größte Störpotential haben.
Roger Pint