"Die Regierungsbildung in den Niederlanden steckt in der Sackgasse", titelt L'Echo zum Scheitern der Koalitionsverhandlungen im Nachbarland.
"Das Abspringen von Pieter Omtzigt macht die Bildung einer Koalition in den Niederlanden noch komplizierter", schreibt La Libre Belgique. "Mehrheitsregierung mit Geert Wilders weit weg", notiert das GrenzEcho. "Wilders sagt nicht 'Nein' zu Neuwahlen", liest man in Gazet van Antwerpen.
Das, was in den Niederlanden passiert, liest sich wie eine Generalprobe für das, was Belgien nach den Wahlen vom 9. Juni erwarten könnte, schreibt De Tijd in ihrem Leitartikel. Denn die Kräfte, die dort am Werk sind, kommen uns vertraut vor: Wir sollten uns auch in Belgien auf einen Sieg der extremen Parteien einstellen. Auch bei uns droht danach ein harter Zusammenstoß mit der Wirklichkeit. Und auch hierzulande muss die Antwort darauf aus einer zersplitterten und angeschlagenen Parteienlandschaft kommen.
Auch die Dossiers, über die heftig gestritten wird in den Niederlanden, kennen wir: Belgien, Flandern, Brüssel und die Wallonie haben ebenfalls große Haushaltslöcher, die begrenzt werden müssen. Auch hier werden Klimawende und Migration schwierige Themen bleiben. Der Krieg an Europas Außengrenze wird Geld kosten, die Vergreisung wird den Wohlfahrtsstaat teurer machen. Die Niederlande führen uns auch vor Augen, was der Preis ist, wenn die Politik im Wahlkampf Luftschlösser baut, warnt De Tijd.
2024 wird ein spannendes politisches Jahr
Vier Monate vor den Wahlen in Belgien verheißt der Blick nach Den Haag wenig Gutes, kommentiert Het Belang van Limburg. Und die Parallelen zwischen den Niederlanden und Belgien sind nicht zu leugnen. Genau wie die PVV von Geert Wilders wird der Vlaams Belang wohl größte Partei im Norden werden. Wie Pieter Omtzigts NSC verspricht die N-VA strikte Haushaltsdisziplin, verheddert sich aber in unrealistischen Strategien, vagen Versprechen und wirrer Kommunikation. So wie auch die VVD erlebt die Open VLD gerade eine Vertrauenskrise und scheint Premier De Croo à la Mark Rutte auf einen europäischen Top-Transfer zu setzen. Und wie die CDA droht auch der CD&V die endgültige Implosion.
Belgien hat aber noch zwei zusätzliche Handicaps: zunächst einmal die gemeinschaftspolitischen Spannungen eines Föderalstaats, in dem die Bildung von sechs Regierungen voneinander abhängt. Und dann sind am 13. Oktober auch noch Gemeindewahlen. Echte Regierungsverhandlungen könnten also für 126 Tage auf Eis gelegt werden. Falls also noch jemand Zweifel hatte: 2024 wird ein spannendes politisches Jahr werden – sowohl in den Niederlanden als auch in Belgien, prophezeit Het Belang van Limburg.
Es könnte ein heißer Frühling werden
Le Soir sieht ebenfalls Parallelen zwischen den Niederlanden und Belgien, zieht aber andere Lehren: Was in den Niederlanden passiert ist und passiert, sollte uns daran erinnern, dass Rechtsextreme an der Macht nicht etwas Unvermeidliches sein müssen. Das ist etwas, was die demokratischen Parteien und ihre Wähler nicht nach den Wahlen verhindern müssen, sondern schon lange davor. Wie man in Deutschland sieht und wie man es auch in Flandern 2006 gesehen hat: Es ist egal, ob nun durch Marschieren, Demonstrieren, Anprangern, Widerstand leisten oder Singen – es ist möglich, Bewegung in festgefahrene Fronten zu bringen. Aber dazu muss es eben auch versucht werden, mahnt Le Soir.
Das GrenzEcho greift in seinem Kommentar unter anderem die Bauernproteste auf: Ein paar Schritte auf die Landwirte zuzugehen, liebe Frau von der Leyen, wird ebenso wenig reichen, wie ein paar kosmetische Reförmchen Belgien retten werden. Es braucht eine Kehrtwende: Die Politik muss endlich Prioritäten setzen, auch unpopuläre Entscheidungen treffen und wieder jenen dienen, die das Land am Leben halten. Die Revolution, die Belgien einst hervorbrachte, nahm ihren Lauf nach der Opernaufführung der "Stummen von Portici". In Brüssel sollte man gewarnt sein, wenn jetzt die zum Verstummen Verdammten auf einmal so laut werden: Es könnte ein heißer Frühling werden, meint das GrenzEcho.
Vermögenssteuer: Vorsicht vor Schnellschüssen
La Libre Belgique kommt zurück auf die Studie des föderalen Planbüros über eine Besteuerung großer Vermögen: Je nach Szenario könnte eine solche Steuer demnach pro Jahr zwischen 2,9 und 4,7 Milliarden Euro einbringen. Das wäre ein wahres Geschenk für die ausgebluteten Staatsfinanzen. Aber Achtung, die Zahlen müssen nuancierter betrachtet werden: Zunächst einmal besteht die Gefahr einer Überschätzung des steuerlichen Nutzens einer solchen Maßnahme. Denn die Besteuerung großer Vermögen könnte zu Steuerflucht führen und sich negativ auf das Bruttoinlandsprodukt auswirken. Hinzu kommen nicht zu vernachlässigende administrative Mehrkosten. Dann ist da noch die Tatsache, dass es in Belgien kein Vermögenskataster gibt. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit der Berechnungen des Planbüros. Und schließlich muss man sich stets vor Augen halten, dass alle Parteien die Zahlen so interpretieren und darstellen werden, wie es ihrer Agenda förderlich ist. Die Wähler sind also vorgewarnt, appelliert La Libre Belgique.
La Dernière Heure geht auf die Ergebnisse des wallonischen Sozialbarometers ein. Laut der Umfrage hat der Stolz, Wallone zu sein, stark abgenommen: Waren es vor fünf Jahren noch 88 Prozent, die "sehr stolz" oder "eher stolz" auf ihre regionale Identität waren, sind es heute nur noch 68,5 Prozent. Drei von zehn Befragten geben sogar an, nur wenig oder überhaupt keinen Stolz darauf zu empfinden. In den dazwischenliegenden Jahren finden sich auch die Gründe für diesen Sinneswandel: das Hochwasser von 2021 und die chaotische Reaktion darauf, wiederholte Skandale im Parlament, ein explodierendes Haushaltsdefizit und vieles mehr.
Aber das Sozialbarometer zeigt auch positive Elemente auf: Die Wallonen bleiben soziale Tiere mit gesundem Menschenverstand, die sich fest Belgien zugehörig fühlen. Sie betrachten sich sogar zuerst als Belgier, dann als Wallonen. Und selbst wenn sie – wer kann es ihnen verdenken – hart mit dem politischen System ins Gericht gehen, stehen die Wallonen zur Demokratie und zur Rolle des Staats und haben wenig Sinn nach Autokraten, unterstreicht La Dernière Heure.
Boris Schmidt