"Grimmige Demonstration in Brüssel, vier schwere Unfälle mit einem Toten, Katastrophenplan für Westflandern verkündet, Verteilzentren von Supermärkten im Visier – die Bauernproteste entgleisen", so das Fazit von Het Nieuwsblad zum gestrigen Aktionstag der Landwirte. "Vier Verkehrsunfälle mit mindestens einem Toten und immer mehr Gewalt – Bauernproteste laufen aus dem Ruder", titelt Gazet van Antwerpen. "Mit 1.500 Traktoren und viel Wut: Bauern belagern EU-Viertel in Brüssel – keine schweren Zwischenfälle, EU-Parlament abgeriegelt", schreibt das GrenzEcho. "'Enttäuschte Bauern wollen ihre Aktionen fortführen", meldet La Libre Belgique. "Die Wut der Bauern ist nicht bereit abzuklingen", hält L'Echo fest.
Es ist eine traurige Bilanz, kommentiert Het Nieuwsblad: Vier Unfälle mit einem Toten, Brüssel ein halbes Schlachtfeld, blockierte Verteilzentren des Großhandels, tausende Lkw-Fahrer, die auf den Straßen zu den Häfen festsitzen, und so weiter. Wenn Gewerkschaften dafür verantwortlich wären, wäre die Hölle los. Aber weil es Bauern sind, halten sich viele zurück. Noch zumindest – die Stimmung könnte nämlich langsam kippen. Die Bauernverbände haben ihrer Basis immer das Blaue vom Himmel versprochen – oft ohne jeglichen Realitätsbezug. In diese Falle dürfen sie nun nicht erneut tappen. Am Verhandlungstisch muss es jetzt um Kompromisse gehen – und darauf müssen die Verbände die Bauern auch vorbereiten, fordert Het Nieuwsblad.
Über die Stränge schlagen ist kontraproduktiv
Gazet van Antwerpen fragt sich, ob es eine gute Idee ist, wenn die Bauern die Konsumenten zu stark piesacken. Weder die Blockade der Häfen noch die Verwüstungen in Brüssel sind zu rechtfertigen. Wenn sich solche Aktionen wiederholen beziehungsweise andauern, könnte die Unterstützung aus der Bevölkerung dahinschmelzen wie Schnee in der Sonne. Und in einem entscheidenden Punkt brauchen die Bauern die Verbraucher als Partner: beim Kampf für faire Preise für ihre Produkte. Diese Partnerschaft sollten die Bauern besser nicht aufs Spiel setzen, empfiehlt Gazet van Antwerpen.
Viel haben die Bauern bisher nicht erreicht, rekapituliert La Dernière Heure, außer einen Aufschub bei der Regelung für Brachflächen. Nichts zum geplanten Freihandelsabkommen Mercosur, nichts über die Gegenseitigkeit von Normen. Dadurch gelten in Europa weiter strengste Auflagen, die bei der Einfuhr von Produkten von sonst wo auf der Welt ignoriert werden. Und auch nichts zur zentralen Frage: der der Einkünfte der Bauern. Ja, wir wissen, dass Landwirtschaft nicht auf der Agenda stand beim EU-Gipfel gestern – aber Europa darf die Augen nicht vor den Problemen der Landwirte verschließen, mahnt La Dernière Heure.
Nicht den extremen Kräften das Feld überlassen
In schwierigen Zeiten richten sich die Augen der Bürger oft auf die Politik, erinnert Het Belang van Limburg. Sie erwarten dann nicht nur die Bereitschaft zuzuhören und Anteilnahme, sondern auch Antworten und konkretes Handeln. Premierminister Alexander De Croo hat das verstanden. Die flämische Regierung hat bisher hingegen vor allem durch Abwesenheit und Ausflüchte geglänzt. Wenn sich die politisch Verantwortlichen wegducken, überlassen sie den extremen Kräften das Feld. Und das schadet letztlich den Bauern und den Konsumenten. Mit dem Kahlschlag bei der Landesverteidigung und dem Ausverkauf unserer Energieproduktion haben wir schon zwei strategische Sektoren ausgehöhlt. Unserer Nahrungsmittelproduktion droht das gleiche Schicksal. Haben wir denn wirklich nichts aus unseren Fehlern gelernt?, beklagt Het Belang van Limburg.
Die Populisten und Extremisten reiben sich die Hände angesichts der Proteste, die sie mitgeschürt haben, so L'Echo. Um ihnen erfolgreich entgegenzutreten, braucht es politischen Mut. Eine Eigenschaft, die leider immer mehr zur Mangelware wird. Eines aber ist sicher: Verständnis für die Landwirte allein wird nicht reichen, egal ob aus Brüssel, Paris oder Berlin. Das absolut Mindeste wäre, eine politische Debatte zu wagen über die Flut an Auflagen und Regeln, für die nicht nur Europa verantwortlich ist. Diese Debatte sollte auch nicht davor zurückschrecken, die weiter vorhandene Bevorzugung von Großbetrieben infrage zu stellen. Genauso wie den Sinn künftiger Freihandelsabkommen. Das darf aber nicht dazu führen, dass notwendiger Wandel verschoben oder gestrichen wird. Und natürlich wird es immer Unzufriedene geben, das ist unvermeidlich. Hier liegt ein langer und schmerzhafter Weg vor den demokratischen Parteien. Aber dieser Weg ist immer noch vielversprechender als die zerstörerische Gerade der Extremisten, meint L'Echo.
Umweltschutz darf keine Stellschraube sein
Wir wollen der Politik keinen Strick daraus drehen, dass sie versucht, Lösungen zu finden, schreibt Le Soir. Aber das darf nicht durch die Rücknahme von Maßnahmen passieren, die das Ergebnis eines politischen Kompromisses sind und für die gestimmt worden ist. Das wäre nicht nur kontraproduktiv. Es würde auch ein schlechtes Signal aussenden an andere Gruppen der Gesellschaft. Denn die Bauern sind längst nicht die einzigen, von denen Anstrengungen verlangt werden.
Die Klimawende wird systemische Veränderungen erfordern – bei der Mobilität, beim Wohnen, bei der Ernährung und auch bei unserem individuellen Verhalten. Je länger wir untätig bleiben, desto stärker werden wir die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen und desto einschneidender werden die notwendigen Veränderungen werden – auch für die Bauern. Maßnahmen zum Schutz der Umwelt dürfen der Politik nicht als Stellschraube dienen. Die Natur demonstriert zwar nicht und blockiert auch keine Straßen. Aber wenn am Ende abgerechnet wird, wird die Rechnung nur umso gesalzener ausfallen, warnt Le Soir.
Boris Schmidt