"Die Wut der Bauern wartet in Brüssel auf die Staatschefs", schreibt Le Soir auf Seite eins. "Ein EU-Gipfel im Belagerungszustand", titelt L'Avenir. "Bauern belagern Brüssel: Europäischer Gipfel muss Proteste entschärfen", so De Standaard. "Totales Chaos: Angst vor massivem Verkehrsinfarkt durch Bauernproteste", lautet die große Überschrift bei Het Belang van Limburg. "Brüssel wird den ganzen Tag dichtgemacht", unterstreicht Het Nieuwsblad.
Die Bauern demonstrieren, kommentiert De Standaard: Weil sie sich vergrößern wollen, aber wegen des Stickstoff-Dekrets keine Genehmigung bekommen. Weil landwirtschaftliche Nutzflächen unbezahlbar geworden sind. Weil sie nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Mist durch die immer strengeren Auflagen. Weil sie zu wenig Geld bekommen für ihre Rinder. Weil sie in die Knie gehen angesichts des bürokratischen Papierkriegs. Weil sie keine Zukunft für ihre Kinder mehr sehen als Bauern. Weil die Art und Weise, wie sie seit Jahrzehnten Landwirtschaft betrieben haben, nicht mehr die richtige ist.
Das europäische Landwirtschaftsmodell ist nach dem Zweiten Weltkrieg entworfen worden und war immer ausgerichtet auf "mehr, größer und billiger". Unter dem Druck der Folgen für Umwelt und Natur hat Europa den sogenannten Green Deal beschlossen, der den Bauern Beschränkungen und Regeln auferlegt. Aber Europa hat es versäumt, grüne Landwirtschaft zum einzig gangbaren Geschäftsmodell zu machen. Großbetriebe lohnen sich dadurch noch immer. Außerdem verkauft Europa seine neue Vision schlecht. Das hat dazu geführt, dass die Bauern das Gefühl haben, nur zu verlieren und nichts zu gewinnen, analysiert De Standaard.
Das wird nicht der letzte Bauernprotest sein
Auch Gazet van Antwerpen macht das überkommene europäische Landwirtschaftsmodell verantwortlich: Die Bauern sind gefangen in diesem System, sie produzieren sich kaputt, verdienen zu wenig und ersaufen in Auflagen und Verwaltung. Ihre Forderungen können nicht mit ein paar einfachen Eingriffen erfüllt werden. Es ist auch traurig, dass Europa versucht, sie durch ein Aushöhlen des Green Deal zu besänftigen. Wir brauchen ein besseres Geschäftsmodell für die Bauern und eine nachhaltigere und wettbewerbsfähigere Landwirtschaft. Das ist langfristig die einzige Lösung. Die politisch Verantwortlichen der regionalen, nationalen und europäischen Ebenen werden aber nicht auf die Schnelle Antworten aus dem Hut zaubern können. Deswegen ist eines klar: Das wird nicht der letzte Bauernprotest sein, schreibt Gazet van Antwerpen.
Es ist den Bauern gelungen, sich die Aufmerksamkeit des Landes zu sichern, konstatiert De Tijd. Und damit stellt sich die Frage: Was wollen sie eigentlich genau? Was muss geschehen, damit sie ihre Aktionen beenden? Die Antworten auf diese Fragen bleiben aber sehr undeutlich. Denn der Unmut kommt von der Basis, wir reden hier nicht über gut koordinierte oder lang geplante Aktionen, das Ganze erinnert eher an die Wut und Ohnmacht der Gelbwesten. Und weil es keine klar formulierten Forderungen gibt, fallen die Antworten der jeweiligen politischen Verantwortlichen auch sehr individuell aus. Wenn die Landwirte wirklich ihre Situation verbessern wollen, dann müssen sie ihre Wut stärker kanalisieren und konkrete Forderungen formulieren. Sonst wird die ganze Energie verpuffen, die sie in die Proteste stecken, warnt De Tijd.
Parteienfinanzierung: Mittlerweile einfach übertrieben
Das zweite große Thema in den Leitartikeln ist die Parteienfinanzierung: Die 78,3 Millionen Euro Parteienfinanzierung reichen mehr als locker zur Deckung der Fixkosten, unterstreicht Het Nieuwsblad. Die Parteien hatten Ende 2022 über 165 Millionen auf ihren Sparbüchern angehäuft. Sie sitzen auf so unglaublich viel Geld, dass sie gar nicht mehr wissen, was sie damit anstellen sollen. Sie kaufen sich mit diesem Steuergeld Immobilien und Aktien. Und sie kaufen sich massenhaft Werbung in den Sozialen Medien, ganz egal, ob nun gerade Wahlkampf ist oder nicht. Grundsätzlich ist die Idee der Parteienfinanzierung ja nicht schlecht. Denn sie reduziert die Gefahr, dass Wirtschaft oder ausländische Mächte sich politischen Einfluss kaufen. Aber die Parteien haben es mittlerweile einfach übertrieben, urteilt Het Nieuwsblad.
Es wird wohl auch in dieser Regierungsperiode keine Reform der Parteienfinanzierung geben, hält De Morgen fest. PS und MR haben ihr Veto eingelegt, die Diskussionen in der Mehrheit haben sich festgefahren. Für alle Deutlichkeit: Selbst, wenn die 78 Millionen integral gestrichen würden, wäre die Entlastung für den Staatshaushalt nicht sehr groß. Schmerzhaft ist aber, dass sich zwar viele Parteien von links bis rechts einig sind, dass eine Reform notwendig ist, die großen frankophonen Parteien das aber blockieren. Für viele Menschen ist das Dossier mittlerweile zu einem Symbol geworden – zu einem Symbol dafür, dass die Politik nicht versteht, was die normale Bevölkerung bewegt, beklagt De Morgen.
Ein monumentales Scheitern mit Folgen
Die Parteien mögen noch so unterschiedlich sein, in einem Punkt sind sie sich alle gleich, so sinngemäß L'Avenir: Wenn sich ihnen eine einmalige Gelegenheit bietet, um zu beweisen, dass die parlamentarische Demokratie etwas bewegen kann, dann versagen sie. In diesem Fall muss man sogar von einem monumentalen Scheitern sprechen. Im Juni wird gewählt, die Uhr tickt also, um noch etwas zu bewegen in puncto Parteienfinanzierung. Noch hat die Politik Zeit, diese Bombe zu entschärfen, glaubt L'Avenir.
Für Le Soir reiht sich dieses Scheitern in die wohlbekannten internen Querelen der Vivaldi-Regierungskoalition. Und ja, es stimmt zwar, dass davon jetzt nicht die Welt untergehen wird und dass es wichtigere Themen gibt. Aber wir sollten das auch nicht herunterspielen: Das wird einen Einfluss haben und das wird das Vertrauen in die politischen Institutionen wieder ein bisschen weiter untergraben. Diese Art von Versagen ist kein Unfall, das ist symptomatisch für die Malaise der Politik, ist Le Soir überzeugt.
Boris Schmidt