"Heute wird's noch mehr Behinderungen durch Bauernproteste geben", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "Das Schlimmste muss erst noch kommen", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "Das Ganze nimmt beispiellose Ausmaße an", notiert De Standaard.
Die Bauern werden mit jedem Tag entschlossener. Ihre Wut richtet sich vor allem gegen die Europäische Union. "Druck auf die EU", titelt denn auch Le Soir. Alle Blicke richten sich schon auf den morgigen Donnerstag. Dann werden ja die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsstaaten in Brüssel zu einem außerordentlichen Gipfeltreffen zusammenkommen. Die Bauern wollen da eine lautstarke Druckkulisse aufbauen. "Das kann ein bewegter Tag werden", schreibt Le Soir.
Besorgniserregend uneinheitliches Bild
"Diese Bauernproteste sind doch ein wenig unübersichtlich", findet De Standaard. Man sucht so ein bisschen den roten Faden. In Frankreich etwa richtet sich die Wut vor allem gegen Freihandelsabkommen, wie etwa das mit den Mercosur-Ländern, über das gerade verhandelt wird. Auch die wallonischen Bauern ziehen dagegen zu Felde. In Flandern hingegen jubelten die Schweinemastbetriebe, als Premierminister Alexander De Croo die Tür für Ausfuhren nach China wieder öffnete. Im Norden des Landes ist der Agrarsektor nämlich ausgesprochen exportorientiert. Ergo: Die Bauern sind zugleich für Importbeschränkungen und gegen Exportbeschränkungen. Und das ist nur eine von vielen Ungereimtheiten bei diesen Bauernprotesten. Was die meisten allerdings verbindet, ist der Groll auf die EU. Das ist aber nur ein klassischer Sündenbock. Ein Drittel des EU-Haushalts fließt in den Agrarsektor. Und in der Regel passiert in Brüssel nichts ohne die Zustimmung der Mitgliedsstaaten.
Het Belang van Limburg sieht in diesem diffusen Bild der Bauernproteste auch ein Problem. Viele Protestaktionen entstehen spontan: Ohne Führung, ohne Schlachtplan, ohne Ansprechpartner. Die Wut richtet sich gegen alles: gegen Europa, gegen das flämische Stickstoffabkommen, gegen die Genehmigungsverfahren, gegen die niedrigen Einkommen der Landwirte. Das Ganze zusammengefasst in einer gemeinsamen Parole: "So kann es nicht weitergehen!". Nur bedeutet das für jeden Bauern etwas anderes. Dieses uneinheitliche Bild ist besorgniserregend. Denn in einem solchen Chaos ist ein konstruktiver Dialog schwierig bis unmöglich.
Suche nach neuem Geschäftsmodell für die Landwirtschaft
Die Politik steht jetzt in jedem Fall vor einer schwierigen Aufgabe, ist das GrenzEcho überzeugt. Die Herausforderung besteht darin, einen Weg zu finden, der die legitimen Anliegen der Bauern anerkennt, ohne die dringend notwendigen Umweltschutzmaßnahmen zu untergraben. Dies erfordert innovative Ansätze, die etwa eine nachhaltige Landwirtschaft fördern, die nicht nur umweltverträglich, sondern auch ökonomisch tragfähig für die kleinen Betriebe ist.
De Tijd sieht das ähnlich: Wobei die Bauern da nicht auf eine grundlegende Schubumkehr hoffen sollten. Natürlich kann man Korrekturen an den geltenden Regeln und Normen vornehmen. Natürlich kann man auch den Green Deal der EU in Teilen neu ausrichten. An der eigentlichen Stoßrichtung wird sich da aber nichts ändern. Deswegen geht’s hier wohl letztlich auch um die Suche nach einem neuen Geschäftsmodell für die Landwirtschaft. Angesichts der heutigen Herausforderungen dürfen da auch Skalenvergrößerungen kein Tabu sein. Die Abkehr vom Traum einer idyllischen Landwirtschaft mit kleinen Familienbetrieben mag für viele wie ein Fluch klingen. Vielleicht ist das aber die einzig rentable Lösung.
Bislang können die Bauern jedenfalls auf das Wohlwollen der Bevölkerung zählen, konstatiert Het Laatste Nieuws. Viel Verständnis gibt es für die Sorgen und Nöte der Landwirte, denn deren Wut klingt aufrichtig und oft auch nachvollziehbar. Vor allem der Ärger über das absurde Maß an Normen und Vorgaben und auch die scheinbaren Widersprüche. Die Stickstoffproblematik etwa ist in der Wallonie kein Thema. Was die Bauern vor allem verlangen, ist aber wirkliche Rechts- und Planungssicherheit.
Demonstrationen – Hier wird mit zweierlei Maß gemessen
Doch apropos "Verständnis", meint De Morgen: Gewerkschafter und Klimaaktivisten dürften mit einer Mischung aus Neid und Missgunst auf die aktuellen Bauernproteste blicken, und das vor allem wegen des doch sanften Umgangs mit den Demonstranten. Wenn Gewerkschaften oder Klimaschützer auch nur den kleinen Zeh auf eine Straße setzen, dann findet sich schnell ein Politiker, der ihnen das Etikett "Terrorist" anheftet oder sie als "Gesindel" abqualifiziert, das es präventiv einzulochen gilt. Damit wir uns richtig verstehen: Hier geht’s nicht darum, dass man kein Verständnis für die Bauernproteste haben darf. Schließlich haben sie tatsächlich gute, manchmal auch weniger gute Gründe, um wütend zu sein. Das allerdings gilt auch für Gewerkschafter oder junge Klimaschutzaktivisten. Hier wird augenscheinlich mit zweierlei Maß gemessen. Merkwürdig ist da auch die Haltung vieler Politiker, die sich meist solidarisch zeigen mit den wütenden Landwirten. Dabei protestieren die Bauern doch gerade gegen die politischen Entscheidungsfindungsprozesse.
Die Bauern müssen auf jeden Fall aufpassen, dass das Klima nicht umschlägt, warnt La Dernière Heure. Noch mögen viele Bürger Verständnis aufbringen. Aber der Tag wird kommen, an dem den Menschen die Straßenblockaden auf den Zeiger gehen. Und auch bei Gewalt hört das Wohlwollen auf. Noch sind die Bauern im Großen und Ganzen innerhalb akzeptabler Grenzen geblieben. So sollte es auch bleiben, denn das ist letztlich in ihrem Interesse.
Roger Pint