"Die Blockade", titelt Le Soir. "Bauernproteste weiten sich aus", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. Aber: "Die Bauernproteste werden grimmiger", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins.
Nach den wallonischen Landwirten gehen jetzt auch die flämischen Kollegen auf die Barrikaden. So ein bisschen überall im Land blockieren Bauern große Verkehrsachsen oder strategische Kreuzungen. Vereinzelt kam es aber auch zu Exzessen. So musste die wallonische Umweltministerin Céline Tellier von Sicherheitskräften geschützt werden, nachdem sie bei einem Live-Interview im RTBF-Fernsehen von wütenden Bauern mit Eiern und Knallkörpern beworfen worden war. "Die Politik versucht, die Wut der Landwirte einzudämmen", notiert jedenfalls La Libre Belgique auf ihrer Titelseite. Demgegenüber geben sich die Bauern entschlossen: "Wir werden nicht aufgeben!", versprechen sie auf Seite eins von La Dernière Heure. "Wir kämpfen bis zum bitteren Ende und werden nach Brüssel ziehen".
Verständnis und Sympathie für die Bauern haben Grenzen
Die meisten Leitartikler bringen Verständnis für die Sorgen und Nöte der Landwirte auf, warnen aber zugleich davor, über das Ziel hinaus zu schießen. "Bei aller Sympathie, aber jede Geduld hat Grenzen", meint etwa La Libre Belgique in ihrem Kommentar. Noch ist es so, dass den Bauern sehr viel Verständnis und Wohlwollen entgegengebracht wird. Nur sollten sie dieses Kapital nicht ausreizen. Eine Autobahn abzuriegeln, ist eine Sache. Aber Brüssel belagern zu wollen und damit die Wirtschaft eines ganzen Landes zu blockieren, ist dann doch nochmal was anderes. Die Landwirte müssen sich dessen bewusst sein, dass man nicht auf alle ihre Forderungen kurzfristig eingehen kann, dass sich ihr Alltag nicht über Nacht, wie mit einem Zauberstab, grundlegend verbessern lässt. Wer jetzt aufs Ganze gehen und seine Aktionen "bis zum bitteren Ende" durchziehen will, der riskiert, die Sympathie und den Rückhalt der Bevölkerung zu verlieren. Da mögen die Anliegen der Landwirte noch so nachvollziehbar und legitim sein.
Der Schutz der Umwelt muss eine Priorität bleiben
Auch De Tijd plädiert für Augenmaß. Wie sagt das Sprichwort? "Wenn Bauern nicht mehr klagen, dann nähert sich das Ende aller Tage". Anders gesagt: Es gibt eben das Bild des ewig jammernden Bauern. Wenn es nicht zu warm ist, dann ist zu kalt, mal ist es zu nass, dann wieder zu trocken. Deswegen reagiert man häufig mit einem gewissen Schulterzucken auf die Klagelieder der Landwirte. Doch sind die Proteste in diesen Tagen so massiv, dass man nicht umhinkann, auf die Sorgen der Bauern einzugehen. Denn wenn sie den Käse auf ihrem Brot nicht mehr bezahlen können, dann ist auf Dauer die Lebensmittelproduktion in Europa in Gefahr. Allerdings: Die Bauern dürfen nicht erwarten, von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen befreit zu werden. So wie die Welt sich verändert, so müssen sich auch die Landwirte den neuen Zeiten anpassen.
Le Soir sieht das ähnlich. Natürlich muss man sich mit den Problemen des Sektors beschäftigen, muss man versuchen, die Nöte der Landwirte zu lindern. Man darf hier aber nichts überstürzen, darf keine falschen Antworten liefern. Der Schutz der Umwelt etwa muss eine Priorität bleiben. Denn das liegt in unserer aller Interesse, auch im Interesse der Bauern selbst. Auf die Landwirte eingehen, ohne die Zukunft zu verbauen, an diesem fragilen Gleichgewicht gilt es zu arbeiten.
Die wahren Probleme der Bauern verstehen
Und man sollte das Kind auch nicht mit dem Badewasser ausschütten, warnt sinngemäß L'Echo. Konkret: Es wäre falsch, die gemeinsame Agrarpolitik der EU grundsätzlich und pauschal zu verteufeln. Nicht vergessen: Zwischen 2021 und 2027 pumpt die EU fast 400 Milliarden Euro in die Landwirtschaft, das ist ein Drittel des Gesamthaushalts. Und es ist legitim, wenn mit diesem Geld nicht nur die Landwirtschaft an sich, sondern auch der Klimaschutz gefördert wird. Die Frage lautet also nicht ob, sondern wie. Was wir nicht brauchen, ist eine ideologische Auseinandersetzung zwischen Ökologie und Ökonomie.
L'Avenir sieht das genauso: Auf der einen Seite sind da die Bauern, deren Alltag inzwischen unerträglich geworden ist. Und, in der Tat: In deren Wahrnehmung sind es die neuen Umweltschutzauflagen, die das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Aber man muss doch feststellen, dass die Probleme des Agrarsektors wesentlich älter sind als der Green Deal der Europäischen Union. Wer glaubt, dass es reicht, die Umweltschutznormen zu lockern, beweist allenfalls, dass er die wahren Probleme der Bauern nicht verstanden hat. Nur ein Beispiel: In unseren Supermärkten liegt der Preis für eine Flasche eines amerikanischen Sodagetränks dreimal höher als der Preis, den Bauern für einen Liter Milch bekommen.
EU-Agrarzuschüsse und echte soziale Klimapolitik vereinbaren
"Wir sollten uns auch mal an die eigene Nase fassen!", meint auch La Dernière Heure. Nicht zuletzt die galoppierende Inflation hat die Verbraucher scharenweise in die Hände der Discounter getrieben. Wir alle tragen eine Mitschuld am Drama der Bauern.
Bei alledem sollten die Landwirte darauf achten, wer sich da mitunter vor ihren Karren spannt, mahnt De Morgen. Von Ostdeutschland bis zu den aufgeknüpften Politikerpuppen in Turnhout sind es vor allem Rechtsextremisten, die versuchen, aus der Wut der Bauern Kapital zu schlagen. Die Extreme Rechte will die Proteste instrumentalisieren, um konservative Kräfte dazu zu ermutigen, die europäische Klimapolitik zu versenken. Dabei sind doch die Landwirte selbst die ersten Opfer der Folgen des Klimawandels. Überschwemmungen und Dürreperioden scheinen sich inzwischen abzuwechseln. Aber natürlich muss man die Bauern in diesem Prozess mitnehmen. Die EU-Agrarzuschüsse müssen wirklich allen Landwirten zugutekommen, mit dem Ziel einer wirklich sozialen Klimapolitik.
Roger Pint