"Ein Sieg für die Ukraine", jubelt fast schon Le Soir auf Seite eins. Das GrenzEcho formuliert es ähnlich: "Verhandlungen als 'Sieg für die Ukraine'", schreibt das Blatt. "Die EU bringt einen EU-Beitritt der Ukraine einen Schritt näher", so die Schlagzeile von De Morgen und L'Echo.
Kurz vor 19:00 Uhr gab es überraschend weißen Rauch beim EU-Gipfel. Die Staats- und Regierungschefs gaben grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. "Das ist die Aufmunterung, die Präsident Selenskyj so bitter nötig hatte", bemerkt De Tijd auf ihrer Titelseite. Bis dahin hatte der ungarische Regierungschef Viktor Orban auf der Bremse gestanden. Die Einigung wurde nur möglich, weil er vor der entscheidenden Abstimmung den Raum verließ.
"Ein Sieg für die Ukraine"
Viele Leitartikler feiern die Entscheidung als einen Sieg für die Ukraine. Wobei sie natürlich nicht wissen konnten, dass Viktor Orban in der Nacht das geplante Hilfspaket für die Ukraine dann doch noch blockieren würde.
Dennoch: Die Entscheidung, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen, ist historisch, ist Le Soir überzeugt. Denn das ist ein starkes Signal, insbesondere an das ukrainische Volk, das seit fast zwei Jahren buchstäblich ums Überleben kämpft, für seine Freiheit, für seine Grundrechte, für seine Demokratie, für seinen europäischen Traum. Und es ist auch ein Signal an Kreml-Chef Putin: Die Europäische Union wird die Ukraine nicht loslassen, ebenso wenig wie die Republik Moldau, Georgien und den westlichen Balkan. Viktor Orban weiß allerdings sehr genau, dass das Spiel im Grunde erst gerade beginnt. Bis zu einem effektiven EU-Beitritt hat er noch ganze 75 Mal die Möglichkeit, den Prozess mit einem Veto zu stoppen.
Genau aus diesem Grund kann man Viktor Orban am Ende vielleicht sogar noch als eine Chance betrachten, glaubt Het Belang van Limburg. Einmal mehr wird der Welt vor Augen geführt, dass ein einziger Regierungschef dazu in der Lage ist, die gesamte EU zu blockieren. Was für ein Zirkus würde das erst, wenn die EU am Ende bis zu zehn neue Mitglieder aufnehmen würde? Orbans Ränkespiele sind das wohl beste Argument für eine tiefgreifende Reform der Entscheidungsprozesse innerhalb der EU. Vom Einstimmigkeitsprinzip muss man sich schnellstens verabschieden. Denn wenn eine EU-Erweiterung bedeutet, dass Quertreiber à la Orban zur Regel werden und wir am Ende von Putin-Freunden schikaniert werden müssen, dann sollte man besser über ein Schrumpf-Szenario nachdenken.
"Ein ausgestreckter Mittelfinger Richtung Kreml"
Apropos Putin: Die Entscheidung, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen, war in jedem Fall ein ausgestreckter Mittelfinger in Richtung des Kreml, meint De Tijd. Und das Timing war glücklich. Gestern hat ja der russische Präsident im Staatsfernsehen eine groteske Show inszenieren lassen. Vier Stunden lang antwortete er scheinbar auf angebliche Fragen von Bürgern. Dabei hat er unter anderem auch die bizarren Kriegsziele noch einmal wiederholt. Mit ihrer gestrigen Entscheidung haben die EU-Verantwortlichen eine adäquate Antwort darauf geliefert.
Gazet van Antwerpen sieht das ähnlich. Wäre es Viktor Orban gelungen, die Entscheidung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu blockieren, dann hätte die EU in der Unterhose dagestanden. Die gestrige Putin-Show hat derweil noch mal deutlich gemacht, warum der Westen durchhalten muss. Der russische Präsident ist absolut skrupellos: Er verheizt regelrecht seine Soldaten, er belügt sein Volk und er lässt sämtliche Kritiker wegsperren. Einer solchen Figur kann man sich nur widersetzen, gemeinsam und entschlossen.
Putins Auftritt gestern im Staatsfernsehen sollte noch einmal jedem vor Augen geführt haben, warum die Ukraine jede Unterstützung braucht, ist auch Het Nieuwsblad überzeugt. Der Kreml-Chef träumt nach wie vor von einem großrussischen Reich. Niemand kann sich vor ihm sicher fühlen. Für Putin ist kein Preis zu hoch. Nach Schätzungen wurden im Ukraine-Krieg schon 340.000 Russen verwundet oder getötet. Den Kreml kratzt das nicht. Mehr denn je braucht die Ukraine jede Unterstützung des Westens. Hier geht es letztlich auch um unsere Interessen.
Der große Plan von Viktor Orban
De Standaard löst sich seinerseits vom gestrigen EU-Gipfel und macht eine breitere Analyse: Jetzt hat endgültig die Schlacht um die europäische Seele begonnen, meint das Blatt. Längst ist deutlich geworden, dass Viktor Orban einen viel größeren Plan vor Augen hat: Er will die EU-Institutionen aushöhlen. Und geduldig wartet er auf seine Chance. Der ungarische Autokrat hofft auf einen Sieg der diversen rechtsradikalen Parteien bei den kommenden Europawahlen. Er träumt auch von einem niederländischen Premier Geert Wilders oder einer französischen Präsidentin Marine Le Pen. Und sobald der Club groß und mächtig genug ist, will Orban sich die EU endlich gefügig machen.
Ein weiterer Skandal für die Katholische Kirche
"Justizminister Paul Van Tigchelt fordert eine Untersuchung über verkaufte Kinder", so schließlich die Aufmachergeschichte von Het Laatste Nieuws. Die Zeitung hatte gestern berichtet, dass 30.000 Kinder durch die Kirche regelrecht verkauft wurden. Das waren Kinder von unverheirateten Frauen. Die Kirche hat sie gezwungen, ihre Kinder zur Adoption freizugeben.
Diese Geschichte reiht sich ein in die Serie von Missständen und Skandalen, die die Katholische Kirche in den letzten Jahren erschüttert hat, meint Het Laatste Nieuws sinngemäß. Bei seinem Belgien-Besuch im kommenden Jahr wird Papst Franziskus auf all das reagieren müssen. Es bedarf eines starken Signals der Empathie all den Opfern gegenüber, denen durch Kirchenvertreter lebenslanges Leid zugefügt wurde.
Roger Pint