"Ein Lichtblick im Herzen der Tragödie", titelt Le Soir. "13 israelische Geiseln wurden befreit, aber 200 weitere bleiben bis auf Weiteres in den Händen der Hamas", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Erste Geiseln sind freigelassen", schreibt auch das GrenzEcho auf Seite eins.
Die Feuerpause im Nahost-Krieg ist also in Kraft. Und Grundbedingung war ein erster Gefangenenaustausch zwischen beiden Seiten.
Das ist wenig und viel zugleich, meint L'Avenir in seinem Leitartikel. Denn es ist doch ein erster Schritt, beweist das Abkommen doch, dass beide Seiten noch dazu in der Lage sind, Absprachen zu treffen. Und es ist auch ein Beweis dafür, dass in beiden Lagern der humanitäre Aspekt immer noch eine gewisse Priorität genießt. Nur sollte man sich da auch nicht in die Tasche lügen. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu hat von Anfang an klargemacht, dass es sich hier nur um eine vorübergehende Feuerpause handelt. Er wollte wohl vor allem ein wenig den Druck vom Kessel nehmen, weil die internationale Kritik am israelischen Vorgehen zuletzt doch sehr laut geworden war, inklusive die aus dem Weißen Haus. Netanjahu wird aber nicht lockerlassen. Dafür hat er innenpolitisch zu viel Kredit eingebüßt.
Nahost-Krieg - Israel spürt inzwischen den internationalen Druck
In den letzten Tagen hatte aber auch Premierminister Alexander De Croo der Region einen Besuch abgestattet, einen Besuch mit Folgen. "Eine Rede von Premier De Croo sorgt für einen diplomatischen Zwischenfall mit Israel", so die Aufmachergeschichte von Het Nieuwsblad. Gazet van Antwerpen hebt hervor, was Israel De Croo genau vorwirft. "Der belgische Premierminister unterstützt den Terrorismus", so die Kritik aus Tel Aviv. Premierminister Alexander De Croo und auch sein spanischer Amtskollege Pedro Sanchez hatten beide an Israel appelliert, mehr für den Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu tun und auf internationales Recht zu achten.
Das war in den Ohren des israelischen Premiers Netanjahu anscheinend schon zu viel, kann Het Nieuwsblad nur scheinbar verdutzt feststellen. Ein einfacher Appell, sich an internationales Recht zu halten, sorgt jetzt also schon für einen Eklat. Dabei sind die massiven Zerstörungen im Gazastreifen unübersehbar - 14.000 Menschen verloren dabei ihr Leben. Dass Israel auf die doch eher harmlosen Aussagen von De Croo und Sanchez gleich so giftig reagiert, mag ein Indiz dafür sein, wie sehr Israel mit der internationalen Kritik an seinem Vorgehen hadert.
Aber, seien wir mal ehrlich: In Jerusalem wartet man nicht wirklich auf den Besuch eines belgischen Premierministers, frotzelt Gazet van Antwerpen. Im Grunde gilt das für die EU insgesamt. Der Alte Kontinent spielt im Nahostkonflikt allenfalls eine Nebenrolle. Was aber nicht heißen soll, dass De Croos Reise in die Region völlig nutzlos gewesen wäre. Man spürt, dass der internationale Druck, der auf allen Ebenen auf Israel ausgeübt wird, um das schreckliche Blutvergießen zu beenden, dass dieser Druck bis in die höchsten Sphären Wirkung zeigt. Aber es bleibt ein kleiner Tropfen. De Croo und Sanchez haben am Ende allenfalls eine diplomatische Fußnote produziert; in einem Krieg, dessen Ende wohl noch in weiter Ferne liegt…
Antisemitischer Zorn in Marcinelle - Eine (weitere) Warnung!
Der Krieg in Nahost findet aber auch weiter seinen Nachhall in Europa und im Speziellen in Belgien. In Marcinelle, einer Teilgemeinde von Charleroi, wurden im jüdischen Teil des örtlichen Friedhofes mehr als 80 Grabstätten geschändet. Für die Behörden besteht kein Zweifel daran, dass es sich um eine antisemitische Tat handelt.
Das Ganze ist erstmal unfassbar traurig, und darüber hinaus auch skandalös, beklagt La Libre Belgique in ihrem Kommentar. Dieser antisemitische Zorn ist ganz klar eine Folge des Kriegs zwischen Israel und der Hamas. Schon immer hat der Nahost-Konflikt weltweit den Antisemitismus befeuert. Aber Juden zu attackieren, nur, weil sie Juden sind, das ist verabscheuungswürdig - und das ist letztlich auch eine Gefahr für die Demokratie insgesamt. Solche Akte müssen aufs Schärfste verurteilt werden. Auf die Gefahr hin, dass diese Gewalt ansonsten außer Kontrolle geraten könnte. Deswegen: Lasst uns wachsam sein!
Für die Sicherheitsbehörden ist der traurige Vorfall in Marcinelle in jedem Fall nochmal eine deutliche Warnung, ist Le Soir überzeugt. Man kann jedenfalls die Sorgen, die die jüdische Gemeinschaft immer lauter und nachdrücklicher ausspricht, nicht mehr länger als bloßes Grundgeräusch abtun, an das man sich gewöhnen muss. Nein, antisemitische Akte wie in Marcinelle zeigen vielmehr nochmal überdeutlich, dass die Dämonen der Vergangenheit nach wie vor nicht ausgetrieben sind. Zugleich müssen wir erkennen, wie fragil der gesellschaftliche Zusammenhalt letztlich doch ist. Was bleibt, das ist aber vor allem eine Frage, "Wie groß muss der Hass auf seinen Gegner sein, wenn man sich am Ende sogar an seinen Toten vergreift?".
La Dernière Heure wünscht sich als Reaktion auf die antisemitisch motivierten Grabesschändungen ein weithin sichtbares Signal. Der Vorfall in Marcinelle ist doch nur die Spitze des Eisbergs. Seit der Terrorattacke der Hamas auf Israel hat sich die Zahl der antisemitischen Übergriffe in Belgien schätzungsweise verzehnfacht. Und vor diesem Hintergrund ist es eigentlich eine Schande, dass wir da noch kein allgemeines Aufbäumen gesehen haben. Warum organisiert man nicht eine große, pluralistische, apolitische Bürger-Kundgebung gegen Antisemitismus? Denn, damit es da kein Missverständnis gibt: Ein solcher Marsch wäre ja nicht gleichbedeutend mit einer Zustimmung für den israelischen Premier Netanjahu und seine Politik. Nein! Das wäre einfach nur eine Absage an jegliche Form von Hass. Und das sollte doch universell sein…
Wilders' Wahlsieg - Fragen über den belgischen Cordon sanitaire
Einige Leitartikler befassen sich schließlich auch heute noch mit dem Wahlsieg des Rechtsextremisten Geert Wilders in den Niederlanden und den möglichen Folgen.
Europaweit reiben sich Rechtsextremisten die Hände, meint etwa nachdenklich L'Echo. In den Niederlanden ist ein weiterer Dominostein gefallen; Länder wie Italien, Ungarn oder die Slowakei hatten es ja schon vorgemacht; und auch in Deutschland und Österreich sind Rechtsextremisten im Aufwind. Ganz zu schweigen von Frankreich, wo der Rassemblement National von Marine Le Pen in Umfragen einsam an der Spitze liegt. Diese braune Welle muss gebrochen werden. Und das geht nur, wenn die Parteien der Mitte endlich konkrete Antworten auf die Sorgen und Nöte der Bürger liefern.
Man kann aber nicht leugnen, dass der Wahlsieg von Wilders auch ein zumindest in Teilen heilsamer Schock sein kann, meint sinngemäß De Tijd. Jetzt richten sich jedenfalls mal alle Scheinwerfer auf das, was die Menschen wirklich bewegt. Denn für dieses Bauchgefühl scheinen die rechtsextremen Parteien ein besseres Gespür zu haben als die anderen. Hinzu kommt: Schon jetzt kann man erkennen, dass die Aussicht auf eine Machtbeteiligung einen Mann wie Geert Wilders dazu bringt, seine Standpunkte abzuschwächen, teilweise zurückzurudern. Das hat einen beinahe pädagogischen Effekt: Plötzlich wird für alle Welt sichtbar, dass es doch nicht so einfach ist, die komplexen Probleme unserer Zeit zu lösen.
Deswegen stellt sich Het Laatste Nieuws denn auch die Frage nach dem Sinn beziehungsweise Unsinn des Cordon sanitaire. In den Niederlanden stellt sich niemand die Frage, wie man Wilders am besten von der Macht fernhalten kann. Nein! Man akzeptiert das Wahlergebnis so, wie es ist. Und, in der Tat zeigen die Erfahrungen zum Beispiel auch aus Italien, dass auch bei den Rechtsextremisten am Ende nicht alles so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Frage also: Ist der Cordon sanitaire nicht ein Anachronismus und vielleicht am Ende sogar kontraproduktiv?