"Die Ministerin Tellier hat nicht hundertprozentig überzeugen können", titelt L'Avenir. "Die Verteidigung von Céline Tellier im Zusammenhang mit der PFAS-Akte überzeugt die Abgeordneten nicht", so auch die Schlagzeile von L'Echo. "Céline Tellier rettet ihren Kopf – für den Moment, denn viele Fragen bleiben offen", so formuliert es La Libre Belgique.
Das Wallonische Parlament hat gestern mit der Aufarbeitung des PFAS-Skandals begonnen. Die RTFB hatte enthüllt, dass in einigen Dörfern in der Provinz Hennegau das Trinkwasser mit PFAS-Substanzen kontaminiert war. Diese Chemikalien bauen sich nicht oder nur sehr langsam im Körper ab; einige von ihnen gelten als krebserregend.
Das Problem bestand anscheinend rund anderthalb Jahre lang. Die wallonische Wassergesellschaft wusste von den überhöhten PFAS-Konzentrationen. Die Ecolo-Umweltministerin Céline Tellier hätte eigentlich auch im Bilde sein müssen, nur ist der entsprechende Hinweis offensichtlich in ihrem Beraterstab "hängengeblieben". Gestern wurde Tellier im zuständigen Ausschuss angehört; sie konnte da aber nicht alle Fragen ausräumen.
Datenwüste Wallonie
Dabei ist diese Akte doch hochsensibel, bemerkt L'Avenir in seinem Leitartikel. Denn hier geht es doch um nicht weniger als ein ganz zentrales Element in unserem Alltagsleben, nämlich das Trinkwasser. Entsprechend kann man da nur von einem massiven Vertrauensbruch sprechen. Wobei man da nochmal betonen muss, dass in den vier betroffenen Gemeinden die geltenden Grenzwerte nicht überschritten wurden. Dennoch, was bleibt, ist der Eindruck, dass die wallonischen Behörden insbesondere in Bezug auf mögliche Kontaminationen mit chemischen Substanzen der Wirklichkeit immer einen Schritt hinterherhinken.
L'Echo scheint in dieselbe Kerbe zu schlagen. Bei der gestrigen Ausschusssitzung ist nochmal deutlich geworden, wie sehr die Wallonie in einer regelrechten Datenwüste lebt. In Namur ist man weiterhin auf dem Stand irgendwelcher schmuckloser Schwarz-Weiß-Tabellen; Datensätze im Rohformat, die einfach unkommentiert aufgelistet werden und mit denen Normalsterbliche so gut wie nichts anfangen können. Die Wallonie ist nach wie vor nicht dazu imstande, die Daten zu erheben und auszuwerten, die für eine effiziente Politik unerlässlich sind. Die Region braucht ein radikales Umdenken.
Ausschusssitzung: MR lyncht die Grünen
Le Soir beschäftigt sich in seinem Kommentar mit der Atmosphäre bei der gestrigen Ausschusssitzung in Namur. "Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr", diese Binsenweisheit fasst es wohl treffend zusammen, meint das Blatt. Natürlich hatte jeder erwartet, dass die Opposition aus allen Rohren auf die Ecolo-Umweltministerin feuern würde. Die Knarre aus dem Halfter gezogen hat aber zuallererst die liberale MR, die ja eigentlich Teil der Koalition ist. Und aus der blauen Ecke kamen zum Teil sehr scharfe Worte an die Adresse der grünen Umweltministerin.
Das ist freilich nicht das erste Mal: Auf der föderalen Ebene hatte die MR die grüne Energieministerin Tinne Van der Straeten im Internet regelrecht gelyncht. Dieses Konzept der "Opposition aus der Mehrheit heraus", das ist nicht nur ein Markenzeichen der MR; davon kann sich niemand wirklich freisprechen. Für den Gesamteindruck sind solche taktischen Spielchen aber desaströs, weil der Wähler da den Überblick verliert. Diese verschwommenen Grenzen schaden der Glaubwürdigkeit der jeweiligen Regierung.
La Libre Belgique blickt ihrerseits schon in die Zukunft und sucht nach strukturellen Lösungen. Dieser PFAS-Skandal ist irgendwie ein Déjà-vu, analysiert das Blatt. Diese Affäre enthält sämtliche Zutaten, die man auch von anderen Gesundheitskrisen kennt, die das Land in den letzten Jahrzehnten immer wieder erschüttert haben. Beispiel: die Dioxin-Krise von 1999. Auch damals war deutlich geworden, dass entscheidende Daten schlichtweg fehlten, dass die rechte Hand nicht wusste, was die linke tut. Als Lehre daraus wurde die Afsca gegründet, die föderale Agentur für Nahrungsmittelsicherheit. Die Politik wäre gut beraten, sich an solchen Beispielen zu inspirieren.
Stickstoff-Waffenstillstand
Die flämischen Zeitungen haben ihrerseits nur Augen für das neue Stickstoffabkommen der flämischen Regierung. Im dritten Anlauf haben sich die drei flämischen Regierungsparteien gestern auf einen neuen Kompromiss verständigt. Im Kern geht es daher um eine drastische Senkung des Stickstoffausstoßes. Strittig war vor allem der Beitrag, den da die Landwirtschaft leisten soll. Die Leitartikler sind nicht überzeugt, dass das neue Abkommen der Weisheit letzter Schluss ist.
Das wichtigste Verdienst dieses Abkommens ist, dass es existiert, findet etwa De Morgen. So zynisch das klingen mag, aber in allererster Linie handelt es sich hier um eine politische Einigung, einen Waffenstillstand zwischen den drei flämischen Regierungsparteien: N-VA, CD&V und OpenVLD hatten gleichermaßen ein Interesse daran, dass das leidige Stickstoffdossier erstmal von den Titelseiten verschwindet. Ob es sich auch um ein gutes Abkommen handelt, das hängt in erster Linie vom Blickwinkel ab. Für die Landwirtschaft bleibt die Senkung des Stickstoffausstoßes weiter eine große, zuweilen sogar existenzielle Herausforderung. Vielleicht werden wir einsehen müssen, dass wir hier kollektiv an Grenzen stoßen.
Vlaams-Belang-Demagogie
Het Nieuwsblad macht eine ähnliche Analyse. Die flämische Regierung wollte das Stickstoffdossier schlicht und einfach aus den Füßen haben. Denn jetzt kann man in Ruhe in den Wahlkampfmodus gehen.
Wie heißt es so schön, meint De Tijd: "Aller guten Dinge sind drei." Im vorliegenden Fall muss sich das erst noch zeigen. In ihrem neuen Stickstoffabkommen hat die flämische Regierung in entscheidenden Punkten zwar tatsächlich noch einmal Nachbesserungen vorgenommen, und dabei auch die Anmerkungen und Bedenken der betroffenen Sektoren berücksichtigt. Inwieweit das praktikabel ist und ob dadurch die EU-Ziele erreicht werden, das steht auf einem anderen Blatt. Und es ist auch nicht sicher, ob die Abmachung vor Gericht Bestand haben wird.
Nochmal anders verhält es sich mit der Wahrnehmung auf dem Terrain, warnt Het Laatste Nieuws. Ohne Zweifel gibt es sehr viele Menschen, denen die Problematik völlig egal ist, die darin keine Priorität sehen, und die entsprechend auch gar nicht den Nutzen eines Abkommens erkennen. An genau diese Menschen richtet sich der rechtsextreme Vlaams Belang. Mit demagogischen Slogans, Einzeilern wie "Rettet unsere Bauern!". Die Regierungsparteien dürften es da schwer haben, ihr Abkommen zu verkaufen. Ein "Bauernkrieg" ist nach wie vor abgewendet.
Roger Pint