"Ciarán, der tödliche Sturm", titelt La Libre Belgique. "Ciarán hat in Belgien zweimal getötet, auch ein fünfjähriges Kind", schreibt L'Avenir auf Seite eins. "Ein fünfjähriges Kleinkind stirbt auf einem Spielplatz", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws.
Nach dem Durchzug von Orkantief Ciarán wird Bilanz gezogen. In Belgien sind zwei Todesopfer zu beklagen, beide in Gent: Eine 64-jährige Frau wurde in einem Park von einem Baum erschlagen. Und dann ist da der fünfjährige ukrainische Junge, der auf einem Spielplatz von einem herabstürzenden Ast getötet wurde. Bei dem Unglück war auch noch ein dreijähriges Kind verletzt worden. "Warum spielten hier Kinder?", so die anklagende Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "Wurde der Sturm unterschätzt?", fragt sich seinerseits De Standaard.
Zwei Orkanopfer in Gent: "Wie ist es möglich?"
"Wie ist es möglich?", kritisiert Het Nieuwsblad auch sinngemäß in seinem Leitartikel. Das Königliche Meteorologische Institut hatte schon sehr früh Alarm geschlagen und vor dem Sturm gewarnt. Und doch tollten um zehn Uhr noch Kinder auf einem Spielplatz herum. Die Genter Stadtverantwortlichen werden da wohl mal in sich gehen müssen. Die Behörden rechtfertigen sich, indem sie darauf verweisen, dass für die Provinz Ostflandern ursprünglich nur Warnstufe Gelb galt. Dabei wurde doch gestern Morgen schnell deutlich, dass Ciarán kein x-beliebiger Sturm war. Bei den Rettungsdiensten liefen schnell die Drähte heiß, auch in Ostflandern. Da gibt es denn auch kein Vertun: Dieser Fehler geht auf das Konto der Genter Stadtverwaltung. Zwei Tote! Zweimal in Gent! Das war ganz klar zu vermeiden.
Reale Gefahr einer weiteren Eskalation
Viele Zeitungen blicken aber auch heute wieder in den Nahen Osten. "Einige Leute in Israel wollen die Bewohner des GazasStreifens in den Sinai treiben", so etwa die alarmierte Schlagzeile von De Morgen. Das zumindest geht aus einem internen Dokument hervor, das anscheinend innerhalb der israelischen Regierung kursiert, und das an die Presse durchgesickert ist.
Das erklärt womöglich Einiges, analysiert De Morgen in seinem Leitartikel. Schon seit Wochen fragt sich die Welt, welche Pläne Israel für die Zeit nach dem Krieg hat. Was soll mit dem Gaza-Streifen geschehen, wenn man sein Ziel erreicht hat, also die Vernichtung der Terrororganisation Hamas? Inzwischen hat man eine leise Ahnung, warum diese Frage noch nicht beantwortet wurde. Denn es scheint tatsächlich eine Option zu sein, die Einwohner des Gazastreifens buchstäblich in die Wüste zu schicken.
Wenn ein solcher Vorschlag tatsächlich im Raum steht, dann zeigt das nur, wie sehr sich die Denklinien in Israel in der Folge des 7. Oktobers verschieben. Der Terrorangriff der Hamas hat in der jüdischen Welt die Wunde des Holocausts wieder aufgerissen. Der aktuelle Krieg ist denn auch nicht einfach nur eine neue, x-te Episode in einer ganzen Serie von Konflikten, sondern in israelischen Augen fast schon eine Entscheidungsschlacht, entsprechend heiligt der Zweck die Mittel. Das macht die Auseinandersetzung denn auch so brandgefährlich. Deswegen ist die Gefahr einer weiteren Eskalation so real. Hoffentlich schlafwandeln wir im Nahen Osten nicht schnurstracks in den Abgrund.
Hassspirale und Dämonen der Vergangenheit
"Wir stehen am Rande eines Vulkans", warnt auch De Tijd. Mit jedem Tag nehmen die Spannungen in der Region zu. Heute will die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon bekanntgeben, wie sie sich angesichts des Krieges zwischen Israel und der Hamas positionieren will. Jeder weiß, dass hinter der Hisbollah der Iran die Strippen zieht. Bislang hat sich die Miliz darauf beschränkt, vereinzelte Raketen auf den Norden Israels abzufeuern. Die bange Frage ist, ob das so bleiben wird. Inzwischen sind alle Zutaten vereint mit Blick auf eine weitere Eskalation des Konflikts. Der Vulkan steht kurz vor einer Eruption. Und je weniger Perspektive, desto verheerender der Ausbruch.
"Je länger der Krieg dauert, desto heftiger sind die Emotionen", glaubt auch Gazet van Antwerpen. Und das gilt nicht nur für den Nahen Osten. Auch in unseren Gesellschaften werden die Spannungen immer greifbarer. Laut übereinstimmenden Erhebungen hat sich die Zahl der antisemitischen Übergriffe in Belgien verfünffacht. Und mit jedem Tag, den die bewaffnete Auseinandersetzung länger dauert, wird das wohl leider nur noch schlimmer. Und es steht zu befürchten, dass auch die terroristische Bedrohung wieder zunehmen wird, weil radikalisierte Extremisten an Europa und den USA Rache üben könnten. Und das alles für ein Krieg, der letztlich aussichtslos ist. Selbst wenn es gelänge, die Hamas auszulöschen, stehen schon neue Terrorgruppen in den Startlöchern.
Seit dem 7. Oktober befindet sich eigentlich die ganze Welt in einer regelrechten Hassspirale, beklagt auch sinngemäß La Libre Belgique. Auf der einen Seite wächst die Islamophobie, auf der anderen der Antisemitismus. Der Nahost-Krieg ist dabei, unsere vielbeschworenen Werte regelrecht in Brand zu stecken. Besonders tragisch ist die wachsende Zahl antisemitischer Übergriffe. Die jüdische Gemeinschaft in Belgien fühlt sich nach eigener Aussage nicht mehr sicher. Das Schlimmste ist, das diese Anfeindungen inzwischen offen und dekomplexiert sind, die Hemmschwellen sind verschwunden. Und das ist sehr beängstigend. Das wirkt wie ein Echo aus einer schmerzlichen und leiderfüllten Vergangenheit.
Roger Pint