"Van Quickenborne tritt als Justizminister zurück", titelt nüchtern Gazet van Antwerpen. "Justizminister sorgt für einen Paukenschlag", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Rücktritt von Van Quickenborne nach einem groben Fehler", so die Schlagzeile von Het Belang van Limburg.
Der föderale Justizminister und Vizepremier Vincent Van Quickenborne hat gestern völlig überraschend seinen Rücktritt eingereicht. Er reagierte damit auf eine folgenschwere Panne, die der Brüsseler Justiz unterlaufen ist. "Van Quickenborne tritt zurück, weil die Auslieferung der Terroristen liegengeblieben ist", so fasst De Tijd die neue Entwicklung zusammen. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass Tunesien Mitte vergangenen Jahres die Auslieferung des Brüsseler Attentäters beantragt hatte. Also des Mannes, der am vergangenen Montag zwei schwedische Fußballfans getötet und einen weiteren schwer verletzt hatte. Das Gesuch sei aber nicht von der Brüsseler Staatsanwaltschaft bearbeitet worden, sondern schlicht und einfach liegen geblieben: "Ein grober, individueller, inakzeptabler Fehler", zitiert Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite den scheidenden Justizminister. "Ein fataler Fehler", so die Schlagzeile von La Dernière Heure. "Unverzeihlich", titelt Le Soir. Van Quickenborne konnte nicht anders, als seinen Rücktritt einzureichen, schreibt Het Laatste Nieuws.
Ein zynisches Gespür für Ironie
Das war die einzig richtige Konsequenz, ist auch Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel überzeugt. Denn es hat Tote gegeben, die hätten vermieden werden können. Eine Woche lang hat die Regierung darauf herumgeritten, dass Tunesien zu den Staaten gehört, die ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen. Doch als hätte die Geschichte ein besonders zynisches Gespür für Ironie: Ausgerechnet den Brüsseler Attentäter hätte man zurückschicken können, schlimmer noch: Tunesien hatte sogar dessen Auslieferung beantragt. Dass der Mann stattdessen weiter in Belgien blieb, unter dem Radar der Sicherheitsdienste, das ist ein unverzeihlicher Fehler. Und es ehrt Vincent Van Quickenborne, dass er dafür die politische Verantwortung übernimmt. Wahrscheinlich hatte er ohnehin keine andere Wahl, aber zum Glück hat er das schnell eingesehen.
Het Belang van Limburg sieht das genauso. Dass Minister sofort zurücktreten wegen eines groben Fehlers in einer ihnen unterstellten Behörde, dass sie gar nicht erst versuchen, sich aus der Sache herauszuwinden, das sind wir in diesem Land nicht mehr gewohnt. Es gibt also offensichtlich doch noch so etwas wie politische Hygiene. Zugegeben: Diese Panne bei der Brüsseler Staatsanwaltschaft ist wirklich ein dicker Hund. Und dass ausgerechnet der Brüsseler Attentäter jetzt auch noch Tunesien in einem besseren Licht erscheinen lässt und gleichzeitig Belgien wegen eines groben Fehlers an den Pranger stellt, tut weh.
Verständnis für die Justiz
Vincent Van Quickenborne stand tatsächlich in der Unterhose da, und mit ihm die ganze Regierung, meint auch sinngemäß Het Laatste Nieuws. Die ganze Argumentation, die man tagelang gebetsmühlenartig wiederholt hat, also eben die Tatsache, dass Tunesien seine Staatsbürger nicht zurücknimmt, die ist mit einem Mal in Scherben geflogen. Denn was stellt sich heraus? Tunesien wollte den Mann sogar haben. Der Rücktritt des Justizministers hat denn auch nichts von einer mutigen Entscheidung. Es war vielmehr die einzig mögliche.
Einige Blätter nehmen bei alledem aber die Justiz in Schutz. Dieser monumentale Fehler ist letztlich nur eine Folge der jahrelangen Vernachlässigung der Justiz durch die Politik, ist etwa La Libre Belgique überzeugt. Insbesondere die Brüsseler Staatsanwaltschaft hat man über Jahrzehnte am langen Arm verhungern lassen. Noch vor einigen Wochen hat der Brüsseler Generalprokurator eindringlich die Alarmglocke gezogen. Aus heutiger Sicht hatte das schon etwas von einem Omen. Diese Panne legt den Finger in die Wunde, glaubt auch sinngemäß L'Avenir. Sie wirft ein Licht auf die unzähligen Probleme, mit denen die Justiz und auch die Sicherheitsdienste tagtäglich konfrontiert sind. Diese beiden Eckpfeiler unserer Demokratie sind chronisch unterfinanziert, weil sie allzu oft als budgetäre Stellschrauben missbraucht wurden. Hoffentlich ist dieses unglaubliche Fiasko ein Weckruf.
"Failed State"
De Tijd hat ihrerseits überhaupt kein Verständnis für den Fehler, der der Brüsseler Staatsanwaltschaft unterlaufen ist. Das ist ein belgischer Patzer, wie ihn selbst der größte Zyniker sich nicht hätte aus den Fingern saugen können. Wie ist es möglich?, wettert das Blatt. Dass in Belgien ausgerechnet in einer Terrorismus-Akte mal wieder ein solcher Fehler produziert wird, das geht eigentlich auf keine Kuhhaut. Nach 2016 steht das Land nun schon wieder international am Pranger – und das vollkommen zu Recht. Und das ist ein verheerendes Signal. Der Staat verliert zunehmend seine Legitimität als Garant der Sicherheit seiner Bürger. Und das öffnet Extremisten Tür und Tor. Außerdem schwindet damit die Akzeptanz für Migration noch ein bisschen mehr.
Dieser Fehler ist geradezu tödlich für das Land, beklagt auch Le Soir. Denn wie lautet das Fazit? Wenn am Montag auf einem Brüsseler Bürgersteig zwei Männer von einem Terroristen erschossen wurden, dann trägt Belgien dafür die Schuld. Das Land hat sein Versprechen gebrochen, das da lautete: "Habt Vertrauen, wir passen auf euch auf!" Denn dieser Patzer scheint sich gleich wieder einzureihen in die Serie von Katastrophen und Skandalen, mit denen das Land seit Jahrzehnten immer wieder international für Schlagzeilen gesorgt hat. Man erinnert sich wieder an den Stempel, den eine amerikanische Zeitung Belgien 2015 verpasst hatte, als sie von einem "failed state" sprach, "einem gescheiterten Staat".
Für La Dernière Heure besteht da kein Zweifel: Ja, Belgien ist tatsächlich ein "failed state". Das ist die einzige Schlussfolgerung, die man aus diesem Fiasko ziehen kann. Denn was muss man feststellen? Es ist nicht so, als wäre der Brüsseler Attentäter unter dem Radar geblieben. Es war viel schlimmer: Der Radar war ausgeschaltet. Wir haben wirklich nichts hinzugelernt.
Roger Pint