"Asylkrise: De Moor steht im Kreuzfeuer - 'Eklatante Missachtung der Rechtsstaatlichkeit'", liest man auf Seite eins des GrenzEchos. "Asyl: Die Einstellung der Vivaldi wirft Fragen auf", so der Aufmacher von Le Soir. "Asyl bleibt Spaltpilz in der Vivaldi", ist die zentrale Überschrift bei De Standaard.
Die linken Parteien der Regierungskoalition haben der CD&V-Asylstaatssekretärin Nicole de Moor in der Kammer ordentlich den Kopf gewaschen, kommentiert Het Belang van Limburg. Nicht zum ersten Mal, seitdem de Moor angekündigt hatte, alleinstehende männliche Flüchtlinge nicht mehr in Unterkünfte aufzunehmen, aber dieses Mal gab es die Standpauke vor laufenden Kameras. Die Reaktion de Moors auf die Entscheidung des Staatsrats, dass ihr Vorgehen illegal ist, ist auch kein Unfall gewesen, das ist aus der Kommunikation de Moors deutlich ersichtlich. So ein Verhalten erwartet man in Ungarn, aber doch nicht in Belgien. Deswegen fordern sie verschiedene Verfassungsexperten auch in einem offenen Brief auf, die Rechtsstaatlichkeit zu respektieren. Aber de Moor ist nicht die einzige, die in puncto Migration gerade in der Klemme sitzt: Der Deal der Kommissionsvorsitzenden Ursula von der Leyen mit Tunesien hat zu mehr statt zu weniger Flüchtlingen geführt. Und es ist davon auszugehen, dass Tunesien immer mehr Geld von der EU fordern wird, um die Flüchtlinge nicht nach Lampedusa zu lassen, warnt Het Belang van Limburg.
Der Baum brennt
Migration ist der politische Sprengstoff schlechthin, hält La Dernière Heure fest. Bisher hat sich noch jeder Minister und Staatssekretär, der diese Zuständigkeit geerbt hat, die Finger daran verbrannt. Keiner föderalen Regierungskoalition ist es gelungen, eine gute Antwort auf das Problem zu finden - inklusive der Vivaldi-Koalition. Die Regierung De Croo wird von der Justiz abgestraft, sie zieht sich die Wut der Gemeinden zu, die keine Flüchtlinge haben wollen, gleichzeitig gehen die Menschenrechtsorganisationen auf die Barrikaden. Eine vorhersehbare Entwicklung, die hätte verhindert werden können. Aber die Vivaldi hat nicht gehandelt und bereut das jetzt bitter, so La Dernière Heure.
Der Baum brennt, kann auch das GrenzEcho nur feststellen. Auf eine gewollte, notwendige und kontrollierte Migration warten wir bis heute in Europa. Das "Dublin-Abkommen" ist immer noch nicht reformiert, oft illegal eingeschleuste Menschen lässt man inkognito ungehindert in Richtung ihrer Zielländer ziehen, statt sie als Asylanwärter zu registrieren. Der Rechtsruck zeichnet sich auch bereits im Herzen der EU ab, unter anderem in Deutschland und Belgien. Wundern muss man sich darüber nicht: Immer mehr Menschen deuten die zögerliche Haltung ihrer Regierungen in der Flüchtlingsfrage als systematische, scheinbar nicht mehr reparable Handlungsunfähigkeit. Auch die bislang wirksamen Abgrenzungen Typ "cordon sanitaire" halten viele nicht mehr davon ab, den Rezepten vom rechten Rand zu glauben. Man fühlt sich an Sophokles' Ödipus erinnert: Aus Angst vor dem, was geschehen könnte, verhilft man diesem dazu, Wirklichkeit zu werden, befürchtet das GrenzEcho.
Evras ist eine absolute Notwendigkeit
L'Avenir kommt auf die Polemik um den Pflicht-Aufklärungsunterricht an Schulen in der Wallonie und Brüssel (Evras: éducation à la vie relationnelle, affective et sexuelle) zurück: Seit Beginn des Jahres hat es in Belgien mindestens 21 Femizide gegeben; 2022 hat es bei Unia nicht weniger als 54 Dossiers wegen Gewalt mit homophobem Hintergrund gegeben; 91 Prozent der belgischen Mädchen und Frauen zwischen 15 und 24 Jahren geben an, schon mal sexuell belästigt worden zu sein; 64 Prozent aller Belgier sind nach eigenen Angaben schon Opfer sexueller Gewalt geworden; 48 Prozent aller Opfer sexueller Gewalt in Belgien waren zum Tatzeitpunkt jünger als 19 Jahre. Wenn man angesichts dieser Zahlen in den Schulen über Respekt, Einvernehmlichkeit, Identität, Gender, Unterschiede und Toleranz spricht, dann hat das nichts mit Indoktrinierung zu tun. Das hat noch nicht mal etwas mit Unterricht und Bildung zu tun. Es ist schlicht eine absolute Notwendigkeit - für unser Zusammenleben, um die jungen Menschen über ihre Rechte zu informieren und um sie zu beschützen. Ja, man kann über den Aufklärungsunterricht diskutieren - aber unter gar keinen Umständen darf man seine Legitimität infrage stellen, unterstreicht L'Avenir.
Gewinn garantiert!
Het Nieuwsblad beschäftigt sich mit der Preispolitik der Pharmaindustrie: Sechs Milliarden Euro muss der belgische Staat mittlerweile berappen, um Patienten die effektivsten Therapien zu sichern. Die Pharmaindustrie spielt derweil mit geheimen Deals Länder gegeneinander aus: Im Gegenzug für Erstattungen bekommen Länder Rabatte - ein Milliardengeschäft. Gleichzeitig stützt sich die Industrie maßgeblich auf die Forschung von staatlich finanzierten Universitäten. Der Steuerzahler wird also gleich doppelt zur Kasse gebeten für seine Medikamente. Dabei gibt es doch schon seit Jahren Vorschläge, wie die Macht der Pharmaindustrie zumindest eingeschränkt werden kann. Zum Beispiel, indem man sie zu Transparenz zwingt, damit sie schwarz auf weiß belegen müssen, warum sie so hohe Preise verlangen. Oder indem die Bezahlbarkeit schon in der Forschungsphase zu einer Auflage gemacht wird. Oder indem endlich auf europäischer Ebene zusammengearbeitet wird, statt Hinterzimmerdeals mit den Pharmabetrieben zu machen. Jeder kann doch sehen, dass die aktuellen Mechanismen vollkommen aus dem Ruder gelaufen sind, hier verlieren alle - außer natürlich die Pharmaindustrie, für die gilt: Gewinn garantiert!, giftet Het Nieuwsblad.
Boris Schmidt