"PS-Vizepremier plädiert für eine Legalisierung von Cannabis", titelt De Morgen. "Dermagne fordert: Lasst und Cannabis legalisieren!", so auch die Schlagzeile von L'Avenir.
Die Sommerpause neigt sich ihrem Ende zu und die Brüsseler Rue de la Loi scheint langsam, aber sicher zu erwachen. In den Zeitungen De Morgen und L'Avenir meldet sich jedenfalls der PS-Vizepremier Pierre-Yves Dermagne zurück. Und der plädiert also unter anderem für eine Legalisierung von Cannabis.
Einige Zeitungen kommen auch nochmal zurück auf eine umstrittene Entscheidung der CD&V-Asylstaatssekretärin Nicole de Moor: "Kein Platz für männliche Asylbewerber", so fasst das GrenzEcho auf Seite eins den Beschluss zusammen. De Moor hat ja angekündigt, dass alleinstehenden, männlichen Flüchtlingen keine Unterkunft mehr zugewiesen werden soll. Der Grund: Es stünden nicht mehr ausreichend Kapazitäten zur Verfügung. "Das Flüchtlingswerk Flandern will De Moor nicht mehr unterstützten", titelt aber De Standaard. Die Organisation hatte den Behörden häufig bei der Suche nach Unterkünften geholfen. Das werde man jetzt nicht mehr tun.
Nicole De Moor: ein Eisberg auf der Titanic
"Frauen und Kinder zuerst", meint De Standaard in seinem Leitartikel. Das ist ja seit jeher das oberste Gebot bei der Evakuierung von sinkenden Schiffen wie der Titanic. "Frauen und Kinder zuerst" – auch im vorliegenden Fall passt diese Regel. Asylstaatssekretärin Nicole de Moor will ja Familien mit Kindern bei der Zuweisung von Unterkünften Vorrang geben. Damit sagt sie mit anderen Worten, dass die belgische Asylpolitik, genau wie einst die Titanic, regelrecht absäuft. Schlimmer noch: Tiefer sinken kann man nicht mehr.
Man will der CD&V-Politikerin ja noch glauben, dass sie ihr Bestes tut, um zusätzliche Notunterkünfte zu finden. Und man versteht auch ihre Argumentation, wonach die Lösung des Problems allein auf der EU-Ebene liegt. Und niemand, wirklich niemand behauptet, dass ihre Aufgabe einfach ist. Was stört, dass ist aber der offensichtliche Mangel an Empathie. Die Asylstaatssekretärin hätte sich etwa auch für einen öffentlichen Hilferuf entscheiden können. Sie hätte mit eindringlichen Worten vor einer drohenden humanitären Katastrophe warnen können, um auf diese Weise die Dinge in Bewegung zu bringen.
Nicole de Moor entschied sich allerdings für eine unterkühlte, nüchterne Feststellung: "Es gibt nicht genügend Plätze; seht zu, wie ihr fertig werdet!"
Illegale Asylpolitik: ein Stück Karton muss reichen
"Welcher Teufel hat die Asylstaatssekretärin geritten?", wettert auch La Libre Belgique. Nicole de Moors Entscheidung ist mindestens verstörend. Zunächst ist das eine schallende Bankrotterklärung. Die Vivaldi-Koalition hatte noch im März einen wohlgemeinten Plan vorgelegt, mit dem das Problem eingedämmt werden sollte. Und jetzt scheint Nicole de Moor einfach die Flinte ins Korn zu werfen. Darüber hinaus verstößt die Föderalregierung hier gegen ihre eigenen Vorsätze, die sie doch gerade erst formuliert hatte: Statt sich mit den lokalen Akteuren abzusprechen, lässt man die zuständigen Stellen in Brüssel schlichtweg im Regen stehen. Und schließlich ist die Entscheidung ein regelrechter Mittelfinger in Richtung der belgischen und sogar der europäischen Justiz, die den belgischen Staat eben wegen seines Umgangs mit Asylbewerbern schon unzählige Male verurteilt hatten.
Die belgische Asylpolitik war schon lange unwürdig, jetzt ist sie zudem offen illegal, findet auch Le Soir. Jetzt wird schlichtweg hingenommen, dass Flüchtlinge ihre Nächte auf Brüsseler Bürgersteigen verbringen müssen. Und das in einer Situation, in der die Zahl der Asylanträge in Belgien eben nicht explodiert. Proportional gesehen kommen in Deutschland, Österreich oder Italien wesentlich mehr Flüchtlinge an.
Eine Asylstaatssekretärin, die eine durch und durch illegale Entscheidung trifft: Das ist schon ein dicker Hund, zischt auch De Morgen. Belgien ist buchstäblich schon tausende Male verurteilt worden, weil Flüchtlingen nicht die Behandlung zuteilwurde, auf die sie Anrecht haben: "Bett, Bad, Brot!", um es mal in drei Worten zusammenzufassen. Natürlich ist es nicht falsch, wenn Nicole de Moor darauf verweist, dass viele EU-Länder wesentlich weniger Flüchtlinge aufnehmen als Belgien. Das macht ihren neuen Beschluss aber nicht minder zynisch. Denn was sagt man den Flüchtlingen? "Schlaft auf einem Stück Karton, bis die Krise vorbei ist! Aber sorgt bitte dafür, dass ihr die Passanten nicht stört!"
Ein kaum vernehmbarer Aufschrei
Im Grunde stößt hier doch die ganze Asylproblematik an ihre Grenzen, meint nachdenklich De Tijd. Hier kollidieren zwei Ebenen. Auf der einen Seite gibt es allerlei internationale Konventionen, die quasi als moralischer Kompass dienen. Auf der anderen Seite gibt es aber die reale Welt. Und hier stoßen die hehren internationalen Prinzipien an die Grenzen dessen, was tragbar, was organisierbar, was durch die Bevölkerung tolerierbar ist. Beide Seiten sind leider nur schwerlich in Einklang zu bringen. Und wenn wir nicht aufpassen, dann werden hier bald in der Praxis neue Fakten geschaffen.
Gazet van Antwerpen sieht das ähnlich. Es fällt auf, dass die anhaltende Asylkrise immer weniger Leute zu interessieren scheint. Auch nach der umstrittenen Ankündigung von Asylstaatssekretärin De Moor war der Aufschrei doch ziemlich leise. Im Gegensatz zu früher, als vergleichbare Entscheidungen des damaligen Asylstaatssekretärs Theo Francken noch für lautstarke Empörung sorgten.
Der Punkt ist: Niemand hat eine Lösung für diese Krise. Hervorgerufen wird sie durch Probleme, die sich weit entfernt von uns abspielen und die so groß und komplex sind, dass sie noch Jahre weiterschwelen werden. Die heimische Politik steht dem machtlos gegenüber und das öffnet den Rechtsextremisten Tür und Tor, um eben diese Ohnmacht, die angebliche Unfähigkeit der traditionellen Parteien, genüsslich anzuprangern. Und Nicole de Moor steht allein auf weiter Flur und muss die Schläge einstecken.
Roger Pint