"Belgier sind erstmals die reichsten Menschen der Welt", titelt das GrenzEcho. "Belgien hat die reichste Bevölkerung der Welt – 'In diesem säuerlichen Land wird unser Wohlstand oft unterschätzt'", liest man bei Gazet van Antwerpen. "Warum die Belgier das reichste Volk auf der Erde sind – eigenes Haus, Lohnindexierung und begrenzte Ungleichheit", so De Morgen. "Die Belgier sind die reichsten Menschen der Welt. Wirklich?", fragt L'Avenir.
Laut den Zahlen der schweizerischen Credit Suisse stehen die Belgier auf Platz eins in der Weltrangliste der Median-Vermögen, rekapituliert L'Avenir in seinem Leitartikel. Und auch beim Durchschnittsvermögen stehen wir an der Schwelle zur Top Ten. Leben wir also in einem Schlaraffenland, ohne dass wir das gemerkt hätten? Vielleicht ein bisschen, ganz stimmt die Aussage aber sicher nicht. Diese Zahlen müssen wie immer aufgeschlüsselt und relativiert werden. Es stimmt zwar, dass wir über ein Median-Vermögen von 234.000 Euro verfügen, aber das wird durch den berühmten belgischen Backstein im Magen künstlich aufgebläht. Außerdem müssen wir auch bedenken, dass sich das künftige Generationen nicht mehr oder zumindest nicht mehr in der bisherigen Form werden leisten können angesichts der Inflation. Hinzu kommt, dass der Wohlstandbericht die jeweiligen Lebensstandards nicht berücksichtigt: Es macht einfach wenig Sinn, den Preis eines Hauses in Belgien mit einem im Senegal zu vergleichen. Das relativiert den Sinn solcher Listen, gibt L'Avenir zu bedenken.
Das belgische Geschäftsmodell nähert sich dem Ende
72,4 Prozent der Belgier besitzen eine Wohnung, rechnet Het Laatste Nieuws vor, in Deutschland und den Niederlanden etwa investieren viel weniger Menschen in eine eigene Immobilie. Der belgische Staat hat seine Bürger auch immer finanziell angespornt, lieber Wohneigentum zu erwerben, als das Geld bei der Bank zu parken. Das Ergebnis war eine beispiellose Bauwut nach dem Zweiten Weltkrieg. Fast alles, was zugebaut werden konnte, wurde auch zugebaut – aber es hat die Belgier reich gemacht. Dieses Geschäftsmodell nähert sich allerdings seinem Ende: Nicht nur, weil es immer weniger Möglichkeiten zum Bauen gibt, sondern auch, weil der Zahn der Zeit an der existierenden Bausubstanz nagt, was teure Renovierungen notwendig macht. Ganz zu schweigen von den immer weiter steigenden Zinsen für Kredite. All das führt dazu, dass sich 20- und 30-Jährige immer öfter fragen, wie sie kaufen sollen ohne die Hilfe ihrer Eltern oder lächerlich hohe Gehälter, warnt Het Laatste Nieuws.
Eine große Reform ist unumgänglich
Natürlich sollte man solche statistischen Rankings nie ganz für bare Münze nehmen, aber dennoch zeichnen die Zahlen zumindest in groben Linien ein interessantes Bild, schreibt De Morgen. Dass Belgier im Schnitt über ein recht großes Privatvermögen verfügen, ist keine neue Einsicht, aber die Platzierung auf Platz eins des Wohlstandsberichts zeigt, dass wir die aufeinanderfolgenden internationalen Krisen besser weggesteckt haben als andere. Das bestätigt einmal mehr, dass kein anderer Staat die Kaufkraft seiner Bürger in Krisenzeiten besser schützt als der belgische. Eine weitere Feststellung ist, dass die komplexen Krisen das schon bestehende Profil weiter geschärft haben: Belgien ist mehr denn je ein Land mit einer relativ reichen Bevölkerung und einem armen Staat. Der Wohlstandsbericht ist auch wichtig, weil er die manchmal apokalyptischen Aussagen über den Zustand der Wirtschaft des Landes relativiert: Der Vermögensindex zeigt, dass weder die Kritik von Rechts stimmt, dass die Vivaldi-Regierung das Land zugrunde richtet, noch die Kritik von Links, dass die Ungleichheit rasend schnell zunimmt. Das ändert aber nichts daran, dass der Staat immer tiefer in den Schulden versinkt und eine große Reform unumgänglich ist, unterstreicht De Morgen.
Die Nachricht klingt erst einmal gut, räumt das GrenzEcho ein. Doch gilt die Binsenweisheit, wonach man nur solchen Statistiken glauben sollte, die man selbst gefälscht hat. Gemessen werden Geldvermögen und Sachvermögen abzüglich der Schulden. Summa summarum hat ein durchschnittlicher Belgier ziemlich genau eine Viertel Million Dollar an Vermögen aufzuweisen, umgerechnet rund 230.000 Euro. Anders sieht das Bild aus, wenn man den Mühlstein der belgischen Staatsverschuldung einrechnet, der jedes zweite belgische Bein mit knapp 50.000 Euro beschwert. Die Staatsverschuldung in Belgien liegt längst wieder jenseits der 100 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung des Landes und dürfte auch in den kommenden Jahren weiter steil ansteigen, betont das GrenzEcho.
Wie lange kann das noch gut gehen?
Der Wohlstandsbericht verschafft der Regierung etwas Luft zum Atmen, kommentiert Gazet van Antwerpen. Aber der Premierminister hat Glück, dass in der Berechnung die Staatsschuld nicht berücksichtigt wird, denn die ist in Belgien gigantisch. Es mag ja auch stimmen, dass es den meisten von uns persönlich finanziell nicht schlecht geht, aber wir können die Augen nicht verschließen vor den immer größeren Problemen, die der Staat mit seinen Finanzen hat. Selbst wer in seinem eigenen Haus wohnt und bei Krankheit gut versorgt wird, kommt nicht umhin, sich die Frage zu stellen, wie lange das noch gut gehen kann, wie lange die zersplitterten Regierungen des Landes den erworbenen Lebensstandard noch schützen und aufrechterhalten können. Nein, wir sollten wirklich nicht klagen über unsere aktuelle Lage, aber wir sollten uns Sorgen um die Zukunft machen. Wir sind gerade dabei, das Geld der künftigen Generationen auszugeben. Wir brauchen dringend Veränderungen, damit auch sie noch in den Genuss dieses Wohlstands kommen werden, appelliert Gazet van Antwerpen.
Boris Schmidt