"Am Donnerstag werden PS und Ecolo nicht gegen Hadja Lahbib stimmen", meldet La Libre Belgique. "Krise in der Regierung De Croo ist entschärft: PS und Ecolo geben Widerstand auf", so das GrenzEcho. "Ministerin Lahbib ist gerettet – und damit auch die Regierung", hebt Het Laatste Nieuws hervor. "Ministerin Lahbib darf bleiben, aber das Vertrauen ist futsch", unterstreicht Gazet van Antwerpen. "Nur die Angst vor Wahlen hält die Vivaldi noch zusammen", schreibt Het Nieuwsblad.
Dieser politische Hickhack konnte einfach nicht mehr weitergehen, kommentiert La Libre Belgique, die PS und Ecolo werden also das anstehende Misstrauensvotum der Opposition gegen Lahbib in der Kammer mit abschmettern. Es ist wirklich an der Zeit, die Krise zu beenden und zu anderen Dingen überzugehen. Hadja Lahbib wird sich das Vertrauen ihrer Koalitionspartner neu erarbeiten müssen und versuchen, diese traurige Episode vergessen zu machen. Die Mehrheit muss ihr im Gegenzug die Chance geben, so gut wie möglich den belgischen Vorsitz im Rat der Europäischen Union vorzubereiten, während die Vivaldi selbst ranklotzen muss, um dem Wähler eine bessere Bilanz als bisher präsentieren zu können, fordert La Libre Belgique.
Bewaffneter Friede zwischen den Koalitionspartnern
Von der frankophonen linken Flanke der Regierung kommen widersprüchliche Signale, hält Het Belang van Limburg fest: Obwohl das Vertrauen in Ministerin Lahbib nicht wiederhergestellt ist, wollen die Sozialisten und Grünen keine Fortsetzung der Krise. Sie haben begriffen, dass auch sie bei einer Entlassung Lahbibs, dem Sturz der Regierung und Neuwahlen verlieren würden. Damit degradieren sie die Visa-Affäre zu einer schweißtreibenden Yoga-Sitzung für Dummies, von der man mehr üble Gerüche als Ergebnisse zurückbehält, kritisiert Het Belang van Limburg.
Die Vivaldi-Regierung gleicht immer mehr einer Leiche, die doch noch einmal reanimiert werden musste, giftet Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Die frankophonen Sozialisten PS haben begriffen, dass sie zu weit gegangen waren in ihrem Versuch, MR-Chef Georges-Louis Bouchez zu beschädigen. Der allgemeine Eindruck hatte sich verschoben, von der Aufarbeitung der Fehler einer taumelnden Außenministerin hin zu einer puren parteipolitischen Abrechnung. Und niemand wollte am Schluss mit dem Schwarzen Peter dasitzen für einen Sturz der Regierung und die zu erwartende schmerzliche Bestrafung an den Urnen dafür. Die akute Gefahr eines Kollapses ist also gebannt. Allerdings wird ein neuer Funke reichen, um die Situation zur Explosion zu bringen, die Koalitionspartner stehen sich weiter in einem bewaffneten Frieden gegenüber, unterstreicht Het Laatste Nieuws.
Der Vivaldi droht eine eisige vierte Jahreszeit
Wenn die Sorge der Sozialisten und Grünen um die Vivaldi wirklich echt ist, wozu dann überhaupt diese griechische Tragödie aufführen?, fragt sauer Het Nieuwsblad. Erniedrigender und zynischer hätte das Ganze wohl kaum ablaufen können. Nun ist der Fall der Regierung also vermieden worden. Zumindest bis auf Weiteres, denn die Regierung hat ja noch einige Hürden vor sich. Und die Affäre Lahbib hat das Verlangen nur größer gemacht, sich gegenseitig möglichst weh zu tun, ist Het Nieuwsblad überzeugt.
Die Steuerreform steckt im Kühlschrank, die Rentenreform in der Abstellkammer und beim Kampf gegen die Klimaerwärmung ist der Pausenknopf gedrückt, fasst La Dernière Heure zusammen. Das letzte Jahr einer Legislatur ist selten besonders produktiv, aber dieses Mal droht wirklich ein absoluter Stillstand bis zu den Wahlen im Juni nächsten Jahres. Ob Lahbib nun abtritt oder nicht wird an diesem tödlichen Klima auch nicht mehr viel ändern. Selbst wenn uns das Außenthermometer bestätigt, dass wir uns im Sommer befinden, droht die vierte Jahreszeit der Vivaldi eisig zu werden, prognostiziert La Dernière Heure.
Ein perfekter Nährboden für radikale Kräfte
Le Soir greift den Erfolg der rechtsextremen AfD in Thüringen auf, wo sie sich nun erstmals mit einem Landratsposten ein kommunales Spitzenamt sichern konnte: Das ist nicht nur ein überdeutliches Warnsignal für die deutschen Demokraten, sondern für ganz Europa. Die Frage ist nicht mehr, wie der Aufstieg der Rechten aufgehalten werden kann, sondern vielmehr, wie man ihre Regierungsbeteiligung verhindern kann. Die Rückkehr dieser faschistischen Parteien ist erschreckend, gerade in Deutschland, das man ja historisch gegen so etwas immunisiert glaubte. Es ist ja auch kein Einzelfall, siehe Frankreich, Italien, Polen, Spanien und Finnland. Und auch Belgien ist nicht gefeit, der Vlaams Belang könnte bei den nächsten Wahlen etwa die Kontrolle in Ninove übernehmen.
Das politische Theater der letzten Tage hat die Politikverdrossenheit nur noch weiter genährt. Mittlerweile muss man sich auch fragen, inwiefern Reformen und eine effiziente Politik noch etwas gegen den Ekel der Bürger gegenüber der Politik bewirken können. Die Bürger scheinen Parteien zu bevorzugen, die lieber den Tisch umwerfen als versuchen, das System zu erhalten, analysiert Le Soir.
Das GrenzEcho zieht ebenfalls Parallelen zwischen dem drohenden Wahlerfolg des rechtsextremen Vlaams Belang und dem Erfolg der AfD in Sonneberg: Gegen so etwas hilft kein Ausschlussverfahren, sondern eine gesunde Streitkultur und eine gute Politik, die die wirklichen Probleme der Menschen löst. Davon sind wir in Belgien jedoch Lichtjahre entfernt, wie das Trauerspiel um Außenministerin Hadja Lahbib deutlich macht. Statt den Reformstau zu lösen, zerfleischen sich die angeblichen "Partner" der Vivaldi-Koalition selbst, sodass auch das letzte Vertrauen in die politische Handlungsfähigkeit flöten geht. Das ist ein perfekter Nährboden für radikale Kräfte, warnt das GrenzEcho.
Boris Schmidt