"Hadja Lahbib hat sich entschuldigt", hält La Dernière Heure auf ihrer Titelseite fest. "Außenministerin Lahbib sagt endlich 'Sorry'", titelt Gazet van Antwerpen. Het Nieuwsblad formuliert es drastischer: "Lahbib wirft sich in den Staub".
Außenministerin Hadja Lahbib musste sich gestern bereits zum insgesamt dritten Mal im Parlament wegen der Visa-Affäre rechtfertigen. Gestern hatte die MR-Politikerin sichtbar Kreide gefressen. Doch das reichte offenbar nicht. "Ein mea culpa, das nicht überzeugt", titelt L'Avenir. "Lahbib entschuldigt sich, aber überzeugt nicht", bemerkt auch das GrenzEcho. L'Echo nennt Ross und Reiter: "Die Reue von Hadja Lahbib überzeugt die Sozialisten und Grünen nicht". "Und damit hängt die Vivaldi-Koalition jetzt am seidenen Faden", warnt La Libre Belgique.
Der Vorfall ist also nach wie vor nicht abgeschlossen, kann Gazet van Antwerpen nur leicht genervt feststellen. Ja, Hadja Lahbib hat sich entschuldigt. Allerdings nur für ihre Kommunikation. Was wir aber nicht gehört haben, das sind Sätze wie: "Ich hätte die Visa nie erteilen dürfen. Das tut mir leid.". Das ist denn auch einer der Gründe, warum insbesondere die Grünen der Außenministerin nach wie vor nicht die Absolution erteilen wollen. Fakt ist jedenfalls, dass es nach wir vor nicht sicher ist, dass das Parlament der Außenministerin am Donnerstag das Vertrauen ausspricht.
Zynismus regiert in der Rue de la Loi
Doch hat sich Hadja Lahbib diesen Ärger im Wesentlichen selbst eingebrockt, ist De Tijd überzeugt. Bei ihrer ersten Stellungnahme zu der Polemik während der Fragestunde in der Kammer machte die Außenministerin den Fehler, der Brüsseler Regionalregierung alle Schuld in die Schuhe zu schieben. Und das höchstwahrscheinlich aus rein wahltaktischen Erwägungen heraus. Als der Brüsseler Staatssekretär Pascal Smet aber daraufhin den Hut nahm, da erwies sich diese Schimpftirade als Bumerang. Dass Lahbib dann wenige Tage später plötzlich ganz andere Argumente ins Feld führte, wie etwa die laufenden Verhandlungen mit dem Regime in Teheran, verstärkte noch den Eindruck, dass sie dem Parlament nur die halbe Wahrheit gesagt hatte.
Kein Wunder, dass sich die Grünen an den Rücktritt ihrer Staatssekretärin Sarah Schlitz erinnerten, die wegen vergleichbarer Unwahrheiten zurücktreten musste. Die Situation ist also die folgende: Die Grünen haben Sarah Schlitz verloren, die Sozialisten Pascal Smet. Und jetzt ist in den Augen der linken Parteien die MR an der Reihe.
Mehr denn je regiert Zynismus in der Rue de la Loi, findet Het Laatste Nieuws. Es war zynisch, wie Hadja Lahbib versucht hat, Pascal Smet in den Kanal zu werfen. Zynisch ist es auch, wie die linken Regierungsparteien jetzt ihre Chance wittern, ihre offenen Rechnungen mit Georges-Louis Bouchez zu begleichen. Zynisch war es auch, einen Vorfall zwischen den Vize-Premiers Vandenbroucke und Van Quickenborne der Presse zu stecken, um eine Rauchbombe zu werfen und von der Affäre Lahbib abzulenken. Denn so wurde der koalitionsinterne Streit nur noch weiter angefacht. Hier geht es längst nicht mehr um Inhalte. Seit Tagen und Wochen versucht jeder nur noch, den jeweils anderen eben in den Kanal zu werfen.
Visa-Gate – Zeit für einen Schlussstrich
Die Vivaldi-Koalition ist am Rande des Abgrunds, glaubt denn auch La Libre Belgique. Insbesondere PS und Ecolo weigern sich bislang, der Außenministerin ihr Vertrauen auszusprechen. Sollten sie dabeibleiben und Hadja Lahbib damit zum Rücktritt zwingen, dann gerät die Koalition in ernste Gefahr. Und ein Sturz der Regierung wäre unverantwortlich, geradezu undenkbar angesichts der doch sehr mageren Bilanz der Vivaldi-Mannschaft. Und einige wichtige Reformen befinden sich schließlich noch in der Pipeline. Ganz zu schweigen von dem Deal zur Verlängerung zweier Atomreaktoren, der offenbar kurz vor dem Abschluss steht. Kurz und knapp: Belgien kann sich aktuell schlicht und einfach keine Neuwahlen leisten.
Unter diese Geschichte muss jetzt endlich ein Schlussstrich gezogen werden, fordert jedenfalls Le Soir. Jetzt liegen alle Elemente auf den Tisch, jetzt kann jeder für sich entscheiden, ob Hadja Lahbib ihren Posten als Außenministerin noch verdient oder nicht. Wenn die Sozialisten und Grünen sich an das halten wollen, was sie in dieser Geschichte bislang von sich gegeben haben, nun gut, dann müssen sie Lahbib ihr Vertrauen entziehen. Dies auf die Gefahr hin, dass sie damit den Sturz der Regierung herbeiführen. Wenn sie hingegen davon überzeugt sind, dass diese Regierung noch die nötigen Reformen auf den Weg bringen muss, dann sollten sie sich auch entsprechend verhalten. Nur sollten sie eben den aktuellen Schwebezustand bitte endlich beenden. Denn spannend ist diese Geschichte eigentlich nur noch für sie selbst.
Die Frage nach dem Umgang mit rechtsextremen Parteien
De Standaard blickt schließlich besorgt nach Deutschland, wo die rechtsextreme AfD zum ersten Mal einen Landrat stellen wird. Die "Brandmauer", also die deutsche Version des Cordon Sanitaire, hat offensichtlich nicht gehalten, meint das Blatt. Die Frage ist jetzt, wie tief die Rechtsextremisten in das politische Gewebe im Nachbarland eindringen können. Die Aussichten sind da wenig erfreulich, schließlich wird die AfD vor allem im Osten immer populärer. Zweite Frage also: Wie soll man jetzt mit den Mandatsträgern der AfD umgehen, einer Partei, die von den Sicherheitsdiensten als potenziell staatsgefährdend eingestuft wird?
Wer den Umgang mit Rechtsextremisten festlegen will, der muss sich erstmal fragen, warum sie eigentlich gewählt werden. Sind das Proteststimmen gegen unpopuläre Maßnahmen der aktuellen Verantwortungsträger, oder sind die Wähler mit den radikalen Standpunkten der AfD rundweg einverstanden? Auch für Belgien sind diese Entwicklungen von Bedeutung, die man ja so ein bisschen überall in Europa sehen kann. Denn auch hier haben die Rechtsextremen den Wind in den Segeln. Und auch hier stellt sich die Frage, wie lange man die radikalen Parteien noch von der Macht fernhalten kann. Insbesondere in Flandern sollte man sich jetzt schon mal die Frage stellen, wie man damit umgehen würde.
Roger Pint