"Hier ist das Ehepaar, das den Chemieriesen 3M in die Knie gezwungen hat", titeln Het Nieuwsblad und Gazet van Antwerpen. "Die Verurteilung von 3M öffnet die Tür für hunderte Klagen", schreibt De Standaard auf Seite eins.
Kurt Verstraete und seine Frau Isabelle hatten den amerikanischen Technologie-Konzern 3M verklagt. Eine Fabrik von 3M in Zwijndrecht bei Antwerpen hat die gesamte Umgebung mit PFAS-Chemikalien verseucht. PFAS-Chemikalien bauen sich nur sehr langsam ab, auch im menschlichen Körper bleiben sie sehr lange nachweisbar. Einige PFAS stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Im Garten und auch im Blut der Kläger waren sehr hohe PFAS-Konzentrationen nachgewiesen worden. Das zuständige Friedensgericht hat der Familie jetzt Schadensersatz zugesprochen. Und das Urteil kann richtungsweisend für weitere Schadensersatzklagen dieser Art sein.
"Eine Familie mit einem Gemüsegarten hat das getan, was sich die flämische Regierung nie getraut hat: Sie hat sich mit einem Multinational angelegt", jubelt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Kurt und Isabelle heißen sie. Ihr Gemüsegarten wurde von der 3M-Fabrik verseucht. Doch sie haben sich das nicht bieten lassen. "Gegen einen Großkonzern kann man nur verlieren", solche Argumentationen hört man oft. Kurt und Isabelle haben bewiesen, dass das kein Naturgesetz ist. Entsprechend gibt es jetzt echt keine Entschuldigung mehr, um untätig zu bleiben. Wer verschmutzt, muss bezahlen! Punkt!
"Never waste a good crisis"
"Post-Vorsitzende konnte nicht überzeugen", schreibt derweil das GrenzEcho auf Seite eins. "Die Post-Verantwortlichen haben nur halb überzeugen können", glaubt seinerseits L'Echo. Gestern musste die Aufsichtsratspräsidentin von Bpost im zuständigen Ausschuss Rede und Antwort stehen. Es ging um die mutmaßlichen und erwiesenen Unregelmäßigkeiten bei der Post. Die Aufsichtsratsvorsitzende Audrey Hanard hat eine lückenlose Aufklärung versprochen, konnte aber einige Oppositionsparteien nicht überzeugen.
Wie heißt es so schön: "Never waste a good crisis", meint dazu L'Echo. Man sollte niemals eine gute Krise verschwenden. Im Klartext: Die Bpost-Verantwortlichen müssen jetzt den Stall ausmisten, mit Augenmaß wohlgemerkt. Damit die Post dann auf einer gesunden Basis einen Neustart vollziehen kann. Dabei sollte man allerdings tunlichst vermeiden, dass das Unternehmen zum Schlachtfeld für eine politische Abrechnung wird. Für einige scheint die Versuchung groß zu sein, über die Aufsichtsratsvorsitzende Audrey Hanard auf die PS zu schießen. Jetzt muss aber allein die Zukunft der Post im Vordergrund stehen.
Lesen: Ungenügend!
Viele Leitartikler beschäftigen sich aber auch mit den Ergebnissen der jüngsten IGLU-Studie. IGLU steht für Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung. Hier geht es also um die Lesekompetenz von Schülern des vierten Grundschuljahrs. Bewertet wurden in Belgien die Schüler der flämischen und der französischen Gemeinschaft. Für beide ist das Ergebnis ernüchternd: Die flämischen Schüler liegen nur knapp über dem Referenzwert, die frankophonen knapp darunter. Beide dümpeln im unteren Mittelfeld.
Das Unterrichtswesen war mal Flanderns ganzer Stolz, meint wehmütig De Tijd. Die Schule erlaubte die Emanzipation der Arbeiterklasse, legte den Grundstein für späteren Wohlstand, holte das Beste aus der Bevölkerung heraus. Das allerdings war einmal. Heute macht das Unterrichtswesen einfach nur noch wütend. In Flandern investieren wir 20 Prozent mehr Mittel in die Schuldbildung als im europäischen Durchschnitt. Und was ist das Resultat? Das letzte Mal, dass das flämische Unterrichtswesen in einer internationalen Rangliste nochmal gestiegen ist, das war 2003 - vor 20 Jahren also. 20 Jahre sinkende Qualität: Das kann sich keine Einrichtung oder Organisation erlauben. Jetzt müssen endlich die Alarmglocken schrillen, jetzt muss endlich ohne Tabus über die Zukunft des Unterrichtswesens debattiert werden.
Auch Het Belang van Limburg erinnert sich betrübt an bessere Zeiten. Vor einigen Jahren noch gehörten die flämischen Schüler zur Weltspitze, jetzt reicht es gerade noch fürs Mittelmaß. Klar: Ursache ist auch die Corona-Krise. Nur gilt das schließlich auch für die allermeisten anderen Länder. Ohnehin kann man das schlechte Ergebnis nicht an einzelnen Gründen festmachen. Eben deswegen ist es auch so schwierig, das Problem anzupacken. Aber so viel muss klar sein: So kann es nicht weitergehen!
Nicht in die Defätismus-Falle tappen!
"Und wieder hat das flämische Unterrichtswesen eine gehörige Tracht Prügel bezogen", kann auch De Morgen nur feststellen. Und der Befund ist wirklich dramatisch: Unsere Zehnjährigen schneiden in puncto Lesevermögen und Textverständnis wesentlich schlechter ab als früher. Zwar zeigt die IGLU-Studie auch einige Lichtblicke auf, im Großen und Ganzen ist das Ergebnis aber einfach nur deprimierend. Genau hier liegt aber auch die Gefahr. Wenn man tagein, tagaus sein Bestes gibt und doch bei jeder Gelegenheit ein schlechtes Zeugnis ausgestellt bekommt, dann besteht das Risiko, dass man insbesondere in den Schulen in Defätismus verfällt. In diese Falle darf man nicht tappen!
Mittelmäßigkeit ist kein Naturgesetz, meint auch La Libre Belgique mit Blick auf die Ergebnisse der frankophonen Schüler. Die schneiden nochmal besonders schlecht ab, belegen sie doch den letzten Platz unter den europäischen Ländern. Das zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist, und wie dringend die bestehenden Reformpläne jetzt in die Tat umgesetzt werden müssen. Alle Akteure müssen die IGLU-Studie als einen Impuls verstehen, und das gilt insbesondere für die Gewerkschaften. Wir brauchen jetzt wirklich eine "Generalmobilmachung" für unser Unterrichtswesen!
Roger Pint