"Premier Netanjahu setzt kontroverse Justizreform nach Massenprotesten aus", fasst De Tijd die jüngsten Entwicklungen in Israel zusammen. "Angesichts der Wut der Israelis versucht Netanjahu, Ruhe ins Spiel zu bringen", so La Libre Belgique. "Netanjahu erkauft sich Zeit, aber wird das die Massenproteste stoppen können?", fragt Het Belang van Limburg. "Israel gleitet ins Chaos ab", befürchtet De Morgen. "Die israelische Demokratie steht auf Messers Schneide", schlägt L'Echo Alarm.
Wäre der israelische Premierminister auch nur ansatzweise ein echter Staatsmann, dann würde er in einer derartigen Situation alles tun, um die Gemüter zu beruhigen, schreibt De Standaard in seinem Leitartikel. Aber leider ist Netanjahu kein Staatsmann, sondern ein Verdächtiger in einem Betrugsprozess, er liegt also im Clinch mit der Justiz. Und damit hat er ein maximales Interesse daran, sich an seine Immunität zu klammern und die Gerichte zu schwächen. Die Motive seiner ultraorthodoxen und ultranationalistischen Koalitionspartner sind mindestens genauso fragwürdig: Ihnen stehen Gerichte vor allem bei ihren Plänen für eine gewaltsame Ausbreitung ihrer illegalen Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten im Weg. Dass der Aufschub der Justizreform am Ende zu einem Kompromiss führen wird, ist ebenfalls wenig wahrscheinlich, denn die Ultranationalisten haben ihre Geduld an die Aufstellung einer Nationalgarde gekoppelt, die direkt dem rechtsextremen Minister für Nationale Sicherheit unterstellt werden soll. Damit bekommt Israel ganz offiziell eine nationale Schlägertruppe aus gewalttätigen, religiösen Fanatikern. Das wird nicht nur zu Gewalt gegen gemäßigte Israelis und Palästinenser führen, sondern auch so manchen Hightech-Unternehmer ins Exil treiben. Israel drohen damit nicht nur eine nie dagewesene internationale Kritik und Isolierung, sondern auch wirtschaftliche Turbulenzen, meint De Standaard.
Israel am Rand von Diktatur und Bürgerkrieg
Seit mittlerweile Wochen gehen Hunderttausende in Israel gegen die Pläne von Premier Netanjahu auf die Straße. Und es gibt keine Anzeichen, dass diese Massenproteste nachlassen werden, unterstreicht De Morgen. Die Gewerkschaften haben zum Generalstreik aufgerufen und selbst sehr ungewohnte Stimmen haben sich dem Widerstand angeschlossen, wie etwa Firmenchefs, Reservisten und selbst der mittlerweile von Netanjahu deswegen gefeuerte Verteidigungsminister. Der Premier ist gefangen zwischen dem großen Druck aus der Bevölkerung einerseits und von seinen extremistischen Koalitionspartnern andererseits. Und das, was bei diesem Kräftemessen auf dem Spiel steht, ist nichts Geringeres als das Fortbestehen Israels als demokratischer Rechtsstaat, resümiert De Morgen.
Lange konnte Israel den Schein aufrechterhalten, die "einzige Demokratie im Nahen Osten" zu sein, aber mit den Plänen zur Justizreform ist diese Maske endgültig gefallen, kommentiert Het Belang van Limburg. Israel drohen Diktatur und Bürgerkrieg. Die Verantwortung dafür trägt der Brandstifter Netanjahu. Seine Pläne sind tödlich für das System staatlicher Gewaltenteilung. Minderheiten sollen zum Schweigen gebracht werden – das ist es, was Netanjahu und seine Koalitionspartner wollen. Während der Premier es auf Straffreiheit abgesehen hat, wollen die Ultranationalisten so freie Hand im besetzten Westjordanland. Einige von ihnen träumen von einer Annexion, andere von der Todesstrafe für Palästinenser. Es ist geradezu absurd, wie ein Land, das aus der Flucht vor einer Diktatur entstanden ist, sich selbst so achtlos in eine verwandelt. Netanjahu hat sich für die Konfrontation entschieden. Fällt die Regierung, wartet die Anklagebank auf ihn. Wie er mit den Massenprotesten umgehen wird, die auch die Armee und die Sicherheitsdienste ergriffen haben, wird die Zukunft des Landes bestimmen. Wird er einknicken? Oder wird er es durchziehen wie Viktor Orbán? Der hat ja schon bewiesen, dass man eine Diktatur am besten von innen heraus errichtet, erinnert Het Belang van Limburg.
Eine absehbare Entwicklung
Netanjahu hat sich nicht verändert, stellt Le Soir fest. Er ist noch immer der gleiche politische Opportunist, der er immer war, stets bereit, alles zu tun, wenn er Gewinn daraus schlagen kann. Nun hat er also beschlossen, die israelische Demokratie auf dem Altar der Macht zu opfern, auch aus Angst vor der Justiz, die ihn wegen Korruption verfolgt. Niemand im Ausland, weder in den Vereinigten Staaten noch in Europa, sollte sich derweil überrascht geben angesichts dieser Entwicklungen. Das Abgleiten Israels war seit Jahren für alle sichtbar. Es ist höchste Zeit, dass die westlichen Diplomaten aufhören, hinter verschlossenen Türen zu flüstern, anstatt Israel öffentlich und deutlich zu kritisieren. Wenn ein Land die Unterstützung der Europäischen Union will, dann darf der Rechtsstaat nicht verhandelbar sein – genauso wenig wie die Menschenrechte in den Palästinensergebieten, wettert Le Soir.
Delhaize: Die Regierung wäscht ihre Hände in Unschuld
Het Nieuwsblad blickt derweil auf den Sozialkonflikt bei Delhaize: Heute werden Geschäftsleitung und Arbeitnehmervertreter erneut zusammenkommen. Das Beste, was man erwarten kann, wäre eine kleine Öffnung von beiden Seiten, um überhaupt echte Verhandlungen wieder zu ermöglichen. Aber beide Seiten haben sich eingegraben, weder Delhaize noch die Gewerkschaften sind zu Zugeständnissen bereit. Wer heute aber definitiv wieder nicht mit am Tisch sitzen wird, ist ein Vermittler der Regierung. Denn die Regierung will – aus unterschiedlichen Gründen – so wenig wie möglich mit dem Ganzen zu tun haben: Die Liberalen wollen sich nicht in die Belange der Wirtschaft einmischen, die Sozialisten die Gewerkschaften nicht vor den Kopf stoßen. Also wäscht die Politik die Hände in Unschuld und lässt die Wunde lieber weiter eitern, statt an einer Lösung mitzuarbeiten, kritisiert Het Nieuwsblad.
Boris Schmidt