"Ein Jahr Krieg auf dem europäischen Kontinent", titelt De Morgen. "Seit einem Jahr leisten die Ukrainer Widerstand", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Ein Jahr Krieg, ein Jahr Leid", schreibt Gazet van Antwerpen auf Seite eins. Le Soir spricht einfach nur vom "Jahr des Erwachens".
Ausnahmslos alle Zeitungen erinnern heute meist auf mehreren Sonderseiten an den russischen Angriff auf die Ukraine vor genau einem Jahr. Zehntausende Menschen haben dabei das Leben verloren. "Der hohe Preis des Krieges", schreibt denn auch das GrenzEcho auf seiner Titelseite. "Und es ist auch unser Krieg", bemerkt La Dernière Heure. Denn auch hier sind die Auswirkungen des Konflikts spürbar.
Einige Zeitungen fragen sich auch, wie es weitergehen könnte. "Es gibt drei Szenarien", glaubt De Standaard: Entweder eine der beiden Seiten gewinnt, und das dritte Szenario, das ist ein anhaltender Zermürbungskrieg.
Ein sonderbarer Morgen
Der Morgen des 24. Februar 2022 war doch ziemlich sonderbar, meint Le Soir nachdenklich in seinem Leitartikel. Genauso hat im Übrigen auch der Schriftsteller Stefan Zweig sein Erwachen am 3. September 1939 beschrieben, als Großbritannien Nazi-Deutschland den Krieg erklärt hatte. Es ist erstmals diese Fassungslosigkeit, die einen durchfährt, wenn im Radio das Wort "Krieg" ausgesprochen wird. Krieg! Zum dritten Mal auf dem europäischen Kontinent in etwas mehr als hundert Jahren. Er ist also nicht verschwunden, sondern hat die Welt und damit auch unseren Alltag wieder fest in Griff.
Das haben wir uns aber auch bis zu einem gewissen Maß selbst zuzuschreiben, glaubt Gazet van Antwerpen. Schon 1999 hatte Wladimir Putin, damals noch als frischgebackener russischer Premierminister, sein wahres Gesicht gezeigt, als er Tschetschenien dem Erdboden gleichmachte. Spätestens 2014, bei der Annexion der Krim hätten uns aber die Augen endgültig aufgehen müssen. Stattdessen blieb der Westen untätig, man ließ Putin sogar noch die Fußball-WM organisieren. Das Resultat von alledem haben wir vor genau einem Jahr gesehen.
Aber immerhin haben wir da nicht wieder denselben Fehler gemacht, lobt Het Laatste Nieuws. Damals, am 24. Februar 2022, hat Europa eine klare und entschlossene Position eingenommen: "Bis hierhin und nicht weiter". Natürlich haben wir uns mit den Sanktionen gegen Russland auch ins eigene Fleisch geschnitten. Aber das war der Preis für unsere jahrzehntelange Kurzsichtigkeit. Insbesondere in der Energiepolitik. Die EU mag ihre Fehler haben, "aber heute", so schreibt die Leitartiklerin, "heute bin ich stolze Europäerin".
Kein Licht am Ende des Tunnels
De Standaard zieht da aber eine nuanciertere Bilanz. Putin mag sich grandios verkalkuliert haben, aber parallel dazu ist auch die Rechnung des Westens nicht immer aufgegangen. Vor einem Jahr etwa hatte man noch gedacht, dass man den Kreml mit Sanktionen in die Knie zwingen kann. Nach bald zehn Paketen von Strafmaßnahmen muss man aber zugeben, dass das nicht gelungen ist. Und auch auf dem eigentlichen Schlachtfeld muss man nach einem Jahr eine bittere Feststellung machen: Der Krieg hat sich festgefahren. Und der Westen muss sich da die Frage stellen, ob sein anhaltendes Zögern bei den Waffenlieferungen nicht zu viele Menschenleben gekostet hat. Aber die wohl ernüchternste Einsicht ist die, dass niemand weiß, wie es jetzt weitergehen soll. Und es gibt keinen Plan, kein Licht am Ende des Tunnels. Hoffentlich stehen wir nicht in einem Jahr vor denselben unbeantworteten Fragen.
Das GrenzEcho plädiert in diesem Zusammenhang für "mehr Realpolitik". Am Ende wird eine Einigung erzielt werden müssen, die einen Ausgleich zwischen den konkurrierenden Einflusssphären schafft. Und es zeichnet sich immer offensichtlicher ab, dass eine solche Befriedung auch insbesondere territoriale Konzessionen mit sich bringen wird. Nach heutigem Stand wird das beiden Seiten schwer zu vermitteln sein. Dennoch gilt es, dass Blutvergießen auf absehbare Zeit zu stoppen.
Ein Krieg von existenzieller Bedeutung
Aber nicht jeder Frieden ist besser als Krieg, gibt Het Belang van Limburg zu bedenken. Das Ziel muss ein nachhaltiges Friedensabkommen sein, das nicht nur die eigentlichen Kampfhandlungen beendet, sondern auch zugleich starke Sicherheitsriegel vorsieht, um zu verhindern, dass sich das Ganze wiederholt.
Putin darf seinen wahnwitzigen Krieg nicht gewinnen, ist indes La Libre Belgique überzeugt. Alle Argumente, die er zur Begründung seiner Invasion anführt, entbehren jeglicher Grundlage. Weder die Ukraine noch die Nato wollten einen Krieg gegen Russland anzetteln. Und, nein, die Regierung in Kiew war auch nicht im Begriff, einen Völkermord an der russischstämmigen Bevölkerung im Donbass zu organisieren. Ebenso wenig wie sie ein Hort von Neonazis wäre. Im Namen des anachronistischen Imperialismus und des überdrehten Nationalismus des Kremls sind schon zu viele Menschen gestorben. Und auch für uns ist dieser Krieg inzwischen von existenzieller Bedeutung. Wir wollen doch nicht in der ständigen Bedrohung durch einen imperialistischen Nachbarn leben, der den unbändigen Drang verspürt, andere Länder zu unterjochen.
Het Nieuwsblad sieht das ähnlich: Immer noch machen zu viele den Fehler, den Krieg in der Ukraine als einen bloßen Regionalkonflikt zu betrachten. Dabei geht es hier um viel mehr, nämlich nicht weniger als die Weltordnung. Konkret: Der Westen soll mit seinen Normen und Werten in die Ecke gedrängt und international kaltgestellt werden. Die finanzielle und militärische Hilfe an die Ukraine dient letztlich unseren eigenen Interessen.
Europa in der Welt von morgen
Auch De Tijd weist auf die zutiefst geopolitische Komponente des Konflikts hin. Nicht vergessen: Viele Staaten, die bis vor kurzem noch als Schwellenländer bezeichnet wurden, vermeiden es, sich klar zu positionieren, und entscheiden sich für eine Politik der "Neutralität". Das gilt auch für viele afrikanische Länder. Der geopolitische Schwerpunkt verschiebt sich von Europa weg nach Osten, wo sich ein ultimatives Kräftemessen zwischen den USA und China anbahnt.
Auch für L'Echo ist der Krieg in der Ukraine möglicherweise der Vorbote einer neuen Welt. Und Europa darf da nicht naiv sein, sondern muss seine Einheit und Autonomie verstärken, um in der Welt von morgen noch eine Rolle zu spielen.
Aber: Die Demokratien dieser Welt haben bislang doch eine überraschend gute Figur gemacht, findet De Morgen. Genau damit hatte Putin auch nicht gerechnet. Nämlich, dass sich insbesondere die europäische Union trotz der relativen Energieabhängigkeit klar positioniert, dass sie selbst den Angriff mit der Energie-Waffe souverän pariert hat. Putin hat die Widerstandskraft der Demokratien ganz klar unterschätzt. Wobei: Dies ist nicht der Moment für Selbstzufriedenheit. Die Europäer werden sich auf die neue Zeit einstellen müssen. Leider müssen wir mit dieser Arbeit erst noch beginnen.
Roger Pint