Muss Vande Lanotte seine Mission fortsetzen? Werden die Liberalen mit ins Boot gehievt? Braucht das Land eine Notregierung?
In Flandern beschäftigt man sich weiter mit den Missbrauchsvorwürfen gegen den bekannten Aktivisten, Pater Luc Versteylen. Einige Zeitungen werfen nach dem Attentat auf eine Kongressabgeordnete einen bangen Blick in die USA.
"Warten auf den König" titelt heute das Grenz-Echo. "Vande Lanotte ist zum Weitermachen verdammt", meint La Libre Belgique auf Seite 1. Le Soir sieht auf seiner Titelseite indes eine Alternative: Was entscheidet der König? Vande Lanotte? Oder doch De Wever?
Der König soll heute bekanntgeben, ob er das Rücktrittsgesuch des Vermittlers Johan Vande Lanotte annimmt. Seine Entscheidung ist mehr denn je offen, kein Szenario zwingt sich wirklich auf. Für La Libre Belgique gibt es eigentlich keine Alternative zu Vande Lanotte. Elio Di Rupo will nicht in den Ring steigen, nicht alleine und auch nicht im Tandem mit N-VA-Chef Bart De Wever. Bart De Wever wäre für eine Vermittlungsmission bereit, dies wird aber von den Frankophonen geschlossen abgelehnt. Bleibt also nur Vande Lanotte, unter der Voraussetzung, dass er überhaupt will.
De Standaard hingegen zählt dann doch insgesamt fünf mögliche Optionen auf. Bemerkenswert, neben einer Fortsetzung der Vande Lanotte-Mission: Vande Lanotte könnte auch zusammen mit Bart De Wever und Elio Di Rupo eine neuen Anlauf wagen. Das Ganze steht und fällt aber mit der Haltung der N-VA. Die N-VA hat am Wochenende klar gemacht, dass die Siebenparteiengespräche tot sind. Bleiben die flämischen Nationalisten bei dieser Einschätzung, dann muss tatsächlich umdisponiert werden.
Grüne zeigen N-VA die rote Karte
Apropos N-VA: Neben anderen hebt heute auch L'Avenir eine Aussage des Ecolo-Politikers Jean-Marc Nollet hervor. Der hatte am Wochenende bei verschiedenen Fernsehdiskussionen klargemacht: Wir erwarten nichts mehr von der N-VA, wir nehmen sie nicht mehr zur Kenntnis. Das hat gutgetan, meint Le Soir in seinem Kommentar. Endlich werden der N-VA mal die Grenzen aufgezeigt. Die Frankophonen haben es nicht nötig, sich von den Nationalisten immer weiter richtig Separatismus treiben zu lassen. Schuld an dem Debakel tragen bis zum Beweis des Gegenteils diejenigen, die die Tür zugeknallt haben: Die CD&V und vor allem die N-VA.
Ein blaues Comeback?
Wie dem auch sei: Die liberale MR läuft sich jedenfalls an der Seitenlinie warm. Am Donnerstag hatte ja auch schon PS-Chef Elio Di Rupo seine Bereitschaft signalisiert, gegebenenfalls die Liberalen mit ins Boot zu nehmen.
MR-Chef Didier Reynders bereitet vorsichtig sein Comeback vor, meint denn auch La Dernière Heure in ihrem Kommentar. Damit könnte seine Strategie am Ende doch aufgehen. Im August hat Reynders der N-VA schöne Augen gemacht, den Nationalisten eine für sie attraktivere Staatsreform in Aussicht gestellt. So mancher könnte das als Verrat bezeichnen. Vielleicht war es aber auch nur der verzweifelte Versuch, doch noch eine Rolle auf höchster Ebene zu spielen.
Belgien im Fadenkreuz - Zeit für Notregierung?
Die politische Krise in Belgien scheint jedenfalls an den Finanzmärkten zunehmend für Beunruhigung zu sorgen. De Morgen bringt auf seiner Titelseite die Ergebnisse einer Studie des Analystenbüros CMA. Demnach ist Belgien auf der Rangliste der potentiell von einem Staatsbankrott bedrohten Staaten nach oben geschnellt, von Platz 53 auf Platz 16. Grundlage für dieses Ranking ist die Versicherungssumme, die Käufer einer Staatsanleihe zum Schutz vor einem möglichen Zahlungsausfall entrichten.
Auch in der Rue de la Loi wächst offensichtlich die Angst vor einem Sturm an den Finanzmärkten. Am Wochenende wurde angeregt über die Bildung einer Notregierung diskutiert. Im Raum steht insbesondere ein Vorschlag von MR-Chef Didier Reynders. Der plädiert dafür, zumindest die Befugnisse der amtierenden Regierung Leterme auszuweiten, damit erste Maßnahmen zur Haushaltssanierung getroffen werden können. Die Reaktionen der anderen Parteien auf diesen Vorschlag sind bislang durchwachsen bis ablehnend.
Gazet van Antwerpen sieht in einer Notregierung ihrerseits einen möglichen Ausweg. Es geht schließlich darum, an den Finanzmärkten wieder Vertrauen zu schaffen. Parallel müssen natürlich die Gespräche über eine neue Staatsreform fortgesetzt.
La Libre Belgique sieht das ähnlich. Belgien läuft derzeit herum wie ein Huhn ohne Kopf. Es bedarf einer Regierung, die schnellstens erste dringende Maßnahmen zur Haushaltssanierung trifft. Wir haben keine andere Wahl.
Hintergründe und Aufschrei
La Libre Belgique und De Morgen setzen heute übrigens ihre Artikelserie über die Hintergründe der politischen Krise der letzten neun Monate fort. Heute zeichnen beide Zeitungen nach, wie es im April zum Sturz der Regierung kam.
Le Soir bringt auf seiner Titelseite heute einen Aufschrei von Intellektuellen und Prominenten aus dem Süden des Landes. Historiker, Philosophen, aber auch Vertreter aus Sport, Kultur und Justiz bringen dabei ihr Ängste und ihre Entrüstung angesichts der politischen Krise zum Ausdruck.
Missbrauchsvorwürfe
Fast alle flämischen Zeitungen widmen sich heute den Missbrauchsvorwürfen gegen den bekannten Aktivisten und Jesuitenpater Luc Versteylen. Versteylen ist unter anderem Mitbegründer von Agalev, einer Bewegung, aus der später die flämischen Grünen Groen! hervorgegangen sind. Unter anderem Het Laatste Nieuws macht heute mit der Schlagzeile auf, dass mindestens drei Klagen über sexuellen Missbrauch gegen Versteylen vorliegen. Versteylen, der sich in der Vergangenheit auch als Bekämpfer von Kindesmissbrauch hervorgetan hatte, bestreitet die Vorwürfe.
USA - Verrohung mit Folgen
Het Laatste Nieuws und De Standaard schließlich blicken in ihren Kommentaren schockiert auf die USA. Dort wurde ja eine demokratische Kongressabgeordnete von einem jungen Mann angeschossen. Dies ist wohl auch das Resultat einer Verrohung der politischen Sitten in Amerika, sind sich beide Blätter einig. Das sollte zum Nachdenken bewegen, auch in Belgien.
Archivbild belga