Völlig konträre Konzepte führen in Sackgasse
"Belgien in der Sackgasse". Mit dieser Balkenüberschrift macht Le Soir heute auf. Die Brüsseler Tageszeitung informiert auf sieben Sonderseiten über die anhaltende innenpolitische Krise, nachdem Johan Vande Lanotte gestern einen Schlussstrich unter seinen Auftrag gezogen hat. Das Land stecke vollends in der Sackgasse. Die französischsprachigen Sozialisten denken deshalb an eine Einbeziehung der Liberalen in die Verhandlungen, während die Nationalisten der N-VA es bevorzugen würden, erneut diskret mit der PS zu verhandeln.
208 Tage und keinen Schritt weiter - schlimmer noch, man habe Belgien gegen die Wand gefahren, kommentiert der Leitartikler und fragt sich: Was nun? Möglichkeiten gebe es genug. Doch das Frustrierende sei, dass man das Gefühl habe, dass nichts wirklich helfen würde. Es seien nämlich nicht einzelnen Sachthemen, die die französischsprachigen Parteien von der N-VA und der CD&V trennen würden, es seien vielmehr einander diametral gegenüberstehende Konzepte und ideologische Positionen zur Zukunft und einer strukturellen Reform des Landes, die Probleme bereiten.
Das flämische Kartell ist wieder da
"Belgien im Nebel", titelt La Libre Belgique. Nach dem Rückzugsgesuch von Johan Vande Lanotte behalte das Staatsoberhaupt sich eine Entscheidung hierzu noch vor. Bis Montag jedenfalls, und bis dahin könnte die Aufnahme der Liberalen in die Gesprächsrunde vorbereitet werden, meint La Libre. Im Leitartikel heißt es, die Wendung der Ereignisse sei beschämend und skandalös. Vier Feststellungen würden sich aufdrängen. Die CD&V sei tot, - gelähmt durch den Einfluss der N-VA kenne die Partei nur noch eine Strategie: Flucht nach vorne. Der Parteienbund N-VA/CD&V sei derweil faktisch wieder hergestellt und dieses Kartell wolle keine Einigung, keinen Kompromiss, der nicht mindestens im institutionellen Bereich die exakte Kopie des nationalistischen Programms ist.
Nur die N-VA und die CD&V halten damit eine Einigung noch auf. Die Bevölkerung überall im Land habe die Nase voll. Die Situation nähre eine Abneigung gegen die Politik. Es gelte, die institutionellen Verhandlungen jetzt zu beenden und endlich eine Regierung auf die Beine zustellen. Sozialwirtschaftliche Fragen lösen: das sei jetzt die Priorität. Es müsse endlich gesunder Menschenverstand und Staatssinn über Egoismus und unverantwortliches Handeln triumphieren.
Können die Wahlsieger es noch richten?
"Wieder De Wever und Di Rupo?" fragt sich Het Nieuwsblad auf der Titelseite. Die beiden Wahlgewinner vom Juni letzten Jahres müssten nach Ansicht von Bart De Wever wieder im Cockpit Platz nehmen, doch Di Rupo wolle nicht, meint das Blatt. Der sehe das Heil jetzt eher in einer Öffnung hin zu den Liberalen. Im Leitartikel heißt es, das was Johan Vande Lanotte in seinen Vorschlag geschrieben habe, sei keine Kladde, es sei vielmehr, in den großen Linien zumindest, ein möglicher Kompromissvorschlag.
Die Arbeit Vande Lanottes zurückzuweisen, wie die CD&V es getan habe, sei nicht der richtige Weg. Dennoch meint der Leitartikler, dass ein einfacher Neustart der Verhandlungen eine Illusion sei. Es müsse eine Signal kommen. Es könne nicht sein, dass jeder auf dem beharrt, was er für sich am liebsten habe, und dabei die Frage nach dem, was man zusammen machen kann, untergeht.
Rekord in Regierungsbildungsverschleppung
Für Het Laatste Nieuws bricht Belgien einen beschämenden Rekord. Kein anderes westeuropäisches Land habe je so lange ohne Regierung auskommen müssen. Der Leitartikler meint hierzu, dass das Räsonnement der CD&V "lieber nichts, als etwas, das uns nicht behagt", im Gegensatz zu dem, was die flämische Christdemokraten behaupten, keine schwere Entscheidung war. Nein sagen sei kinderleicht. Mut verlange dies nicht. Auch wenn die CD&V jetzt versuche, den Schaden zu begrenzen, stehe fest, die alte staatstragende Partei hat vom nationalen Kompromiss Abschied genommen. Elio Di Rupos Vorstoß, die Tür für die Liberalen zu öffnen, führe in der Konsequenz zu Neuwahlen, vor oder nach Ostern.
Es werde gepokert, meint De Standaard auf Seite 1. Und im Leitartikel schreibt das Blatt, dass die Parteien mehr Respekt für das Engagement von Johan Vande Lanotte zeigen müssten. Dass der König mit einer Entscheidung warte, sei vorhersehbar gewesen. Die so gewonnene Zeit sei die letzte Chance, jeden mit der Frage zu konfrontieren, was passiert, wenn Vande Lanotte den Karren nicht mehr zieht. Bart De Wever und Elio Di Rupo sind dann wieder am Zuge. Schaffen sie es nicht, würden Neuwahlen nötig; die aber wären eine abenteuerliche Option.
La Dernière Heure sucht auf der Titelseite einen Kandidaten, um aus der Krise herauszuführen. Im Leitartikel ist auch diese Zeitung überzeugt, dass die CD&V in einen radikalen Nationalismus versinkt, und nichts mehr mit der ehemaligen CVP, die Belgien und seinen Institutionen verbunden war, gemein hat.
Liberale einbeziehen?
Das Grenz-Echo titelt zur Krise heute "PS öffnet Tür für Liberale" und fragt sich, ob das eine Wende bringt.
De Morgen hört unterdessen alle Alarmglocken läuten. Diese Zeitung meint, dass Wirtschaftsfachleute und Meinungsmacher den Politzirkus nicht länger mit ansehen können. Im Leitartikel heißt es zum Vorschlag von Johan Vande Lanotte, dass dessen Entwurf einer Diskussionsgrundlage ein Paket von Inhalten umfasste, von dem vor einem Jahr niemand geträumt hätte. Und doch sei es für CD&V und N-VA nicht genug gewesen.
Het Belang van Limburg und Gazet van Antwerpen schließlich schreiben übereinstimmend, dass Bart De Wever bereit ist, jetzt in den Ring zu steigen und Verantwortung zu übernehmen. Zumindest dann, wenn das Staatsoberhaupt ihn darum bittet.