Das bedeutet also, dass nach dem derzeitigen Stand der Dinge die Verhandlungen über eine neue Staatsreform bis auf weiteres nicht wieder aufgenommen werden können. Das Wort "verantwortungslos" findet sich wohl am häufigsten in den Leitartikeln wieder. Wobei auf flämischer Seite bei weitem nicht jede Zeitung ausdrücklich CD&V und N-VA als die Schuldigen benennt.
Ende, aus, nichts!
"CD&V und N-VA haben es gewagt: Sie haben nein gesagt". Die Schlagzeile von Le Soir bringt es auf den Punkt. De Morgen schreibt auf seiner Titelseite in Blockbuchstaben: "Ergebnis nach 207 Tagen: Nix". Het Nieuwsblad und Het Belang van Limburg titeln gleichlautend: "Zurück zum Anfang", auf Seite 1 von Het Laatste Nieuws prangt das Wort "Hoffnungslos", Gazet van Antwerpen ist drastischer: Über dem Foto von Johan Vande Lanotte steht schlicht und einfach "Ende".
Das - wenn auch verklausulierte - Nein der CD&V, und ausdrücklicher bei der N-VA, bedeutet wohl den Gnadenstoß für die Brüsseler Verhandlungen, meint De Morgen. Das Blatt zitiert die SP.A-Vorsitzende Caroline Gennez mit den Worten: "Das ist das endgültige Aus für diese Staatsreform". Ihr Parteikollege Johan Vande Lanotte, der ja 78 Tage lang als königlicher Vermittler versucht hatte, die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen, werde jetzt wohl seine Konsequenzen ziehen.
Nach Informationen von L'Avenir hat Vande Lanotte jedenfalls mit allem gerechnet, nur nicht mit einem solchen Szenario. Seine Einladungskärtchen für die eigentlich vorgesehenen Verhandlungen kann er jetzt jedenfalls getrost in den Mülleimer werfen.
Ja, aber - Nein, aber - Was jetzt?
Angebahnt hatte sich das Ganze schon bei der Pressekonferenz der CD&V. Deren Parteichef Wouter Beke schien zwar "ja, aber ..." zu sagen, je weiter er aber seinen Standpunkt argumentierte, stand zwischen den Zeilen ein zaghaftes Nein. Die Zeitung Le Soir will erfahren haben, dass Beke damit sogar die eigenen Leute überfahren hat. Bei der Vorstandssitzung der Christdemokraten hatte man sich noch darauf geeinigt, die Vande Lanotte-Note - wenn auch unter Auflagen - als Gesprächsgrundlage zu akzeptieren. Beke habe dann jedoch aus einem "ja, aber ..." ein "nein, aber ..." gemacht. Offenbar ging diesem Meinungsumschwung ein Telefonat mit der N-VA voraus.
"Wie in Gottes Namen soll es jetzt weitergehen?" fragt sich De Standaard fast schon pathetisch. Der König wird wohl zunächst einen Wiederbelegungsversuch unternehmen. Am Ende wird es wohl auf die Frage hinauslaufen: Gibt es Neuwahlen oder eine Notregierung? Das Blatt gibt aber zu bedenken: Bei den Frankophonen war es auch kein uneingeschränktes Ja, deren Zustimmung zur Vande Lanotte-Note war auch an eine ganze Reihe von Bedingungen und Auflagen geknüpft.
Totalverweigerung
In ihrer Bewertung der jüngsten Ereignisse sind sich die Leitartikler zumindest in einem Punkt einig: Die Lage ist ernst.
Eigentlich wurde von den Parteien doch nicht zu viel verlangt, meint etwa L'Avenir. Man sollte doch einfach nur wieder miteinander reden, sich zusammen an einen Tisch setzen, den Johan Vande Lanotte in mühevoller Kleinarbeit gedeckt hatte. Für zwei Parteien war das schon zu viel verlangt: Sie wollten nicht Platz nehmen, nicht mal für den Aperitif.
Das ist wirklich nur schwer zu begreifen, bemerkt auch Het Nieuwsblad. Vande Lanotte hatte doch schließlich immer betont, sein Text sei nicht das Evangelium, er könne durchaus noch verändert werden. Wenn CD&V und N-VA dessen ungeachtet den Text dann noch immer nicht als Gesprächsgrundlage akzeptieren wollen, dann kann das nur eins bedeuten: Sie sprengen den Rahmen, sie wollen einfach nicht verhandeln.
La Libre Belgique sieht das genauso: Man muss doch mal auf dem Teppich bleiben. Die Vande Lanotte-Note ging auf eine ganze Reihe von flämischen Forderungen ein: die Spaltung des Wahlbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde, sowie die Übertragung von erheblichen Zuständigkeiten und Finanzmitteln an die Teilstaaten. Wenn N-VA und CD&V jetzt schon wieder in der Note herumstochern wollen, dann hat das mit Verhandlungen nichts zu tun, sondern allenfalls mit Flickschusterei und Polarisierung.
De Morgen denkt diesen Gedanken zu Ende. Es ist offensichtlich, dass die ehemaligen Bundesgenossen CD&V und N-VA sich von dem einstigen belgischen Konsensmodell verabschiedet haben. Sie setzen jetzt auf Konfrontation und Brechstange. Vor allem die CD&V nimmt damit eine schwere Schuld auf sich.
Erbärmlich
Le Soir geht noch einen Schritt weiter: Die CD&V hat vielleicht auf der flämischen Bühne punkten können, ihr Ansehen aber jetzt definitiv verloren. N-VA und CD&V erfinden immer wieder neue Gründe, um die Verhandlungen zu blockieren. Jetzt wird plötzlich die Region Brüssel in Frage gestellt. Das abzulehnen, was derzeit auf dem Tisch liegt, ist schlicht und einfach erbärmlich.
La Dernière Heure bringt ihrerseits ihre Wut äußerst drastisch zum Ausdruck: Die beiden Politikseiten sind leer. Über das Trauerspiel noch zu berichten, macht keinen Sinn, schreibt das Blatt zur Begründung. Wir haben einfach keine Lust mehr.
Gazet van Antwerpen stellt sich die bange Frage, wie die Finanzmärkte auf die neuerlichen Entwicklungen reagieren werden und zitiert dazu zwei renommierte Ökonomen. Deren Urteil: Unsere Politiker haben den Ernst der Lage immer noch nicht erfasst. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird Belgien von einer ganzen Reihe von Ländern überholt werden, die längst angefangen haben zu sparen. Im Übrigen warnen auch schon etwa De Morgen und Het Nieuwsblad vor den Hyänen auf den Finanzmärkten: Die Spekulanten laufen sich warm.
Het Laatste Nieuws geht schon einen Schritt weiter: Durch die politischen Spielchen wird der Wohlstand in diesem Land aufs Spiel gesetzt. Wenn die Finanzmärkte Belgien tatsächlich attackieren, dann kann man nur sagen: Wir haben es nicht anders gewollt. Armes Land, armes Flandern.