"Teure Energie im Fokus des Generalstreiks", titelt das GrenzEcho. "Soziale Unzufriedenheit gibt es nicht nur in Belgien", so die Schlagzeile bei Le Soir. "Nach dem Streik von heute stehen weitere schwierige Zeiten ins Haus", berichtet Het Nieuwsblad in seinem Aufmacher.
Der Nationalstreik, mit dem die Gewerkschaften heute große Teile des öffentlichen Lebens lahmlegen wollen, beschäftigt viele Zeitungen auch in ihren Leitartikeln. Bei ihren Analysen sind sich viele Kommentatoren einig: Der Streik ist verständlich, wird aber nicht helfen, die Probleme zu lösen.
De Morgen führt aus: Für die aktuelle Situation hätte es symbolischer kaum sein können, dass zwei Tage vor dem längst angekündigten Streik Arbeitgeber und Arbeitnehmer erneut keine Einigung bei den Manteltarif-Verhandlungen erreicht haben. Dort ging es um genau dasselbe, worum es auch heute im Streik geht. Die Gewerkschaften fordern mehr Lohn, damit die Arbeitnehmer besser mit den stark gestiegenen Preisen besonders zur Energie zurechtkommen. Die Arbeitgeber weigern sich aber, mehr Lohn zu zahlen. Ihr Argument: Die Löhne sind schon gestiegen durch die automatische Indexanpassung. Außerdem hätten auch viele Unternehmen zurzeit wegen der hohen Energiepreise schwer zu leiden. Beide Seiten beharren auf ihren Positionen – aus gutem Grund. Beide müssten sich bewegen, um eine Lösung zu finden. Wer bewegt sich als erster?, fragt gespannt De Morgen.
Vivaldi wird es richten
Le Soir hofft dabei auf die Politik und glaubt: Sehr wahrscheinlich wird die Vivaldi-Koalition es schaffen, den Konflikt zu entschärfen. Sie wird Wege finden, sowohl die Kaufkraft der Menschen zu erhalten als auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen weitgehend zu sichern. Das bedeutet aber nicht, dass man jetzt komplett das belgische Sozialmodell ändern muss, um von vorneherein der Regierung Entscheidungen zu überlassen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer bislang untereinander ausgemacht haben. Grundsätzlich ist das belgische Sozialmodell – auch mit der Indexregelung – ein gutes. Ein besseres ist zumindest nicht zu entdecken beim Blick in unsere Nachbarländer, behauptet Le Soir.
Anders sieht das die Wirtschaftszeitung L'Echo, die betont: Unserem System mangelt es an der nötigen Flexibilität, um auf aktuelle und unerwartete Ereignisse gut reagieren zu können. Man muss sich schon fragen, ob die automatische Indexierung auch der hohen Einkommen immer die beste Lösung ist. Auch die ganzen Hilfen mit Schecks und Prämien aller Art ist nicht das, was langfristig hilft. Unser Sozialmodell braucht strukturelle Reformen, fordert L'Echo.
Ähnlich sieht das De Tijd: Die Gewerkschaften fordern auch deshalb mehr Lohn, weil sie sagen, dass einige Unternehmen trotz der Krisenzeiten sehr hohe Gewinne einfahren. Das ist richtig, aber andere Unternehmen kämpfen ums Überleben, wegen der gleichen hohen Energiepreise, unter denen auch die Arbeitnehmer zu leiden haben. Um Gerechtigkeit zu erzielen, müsste man weg von Rahmentarifverhandlungen, die für alle Sektoren gelten. Man müsste dann Sektor für Sektor verhandeln, wenn es um Lohnerhöhungen geht. Gleiches müsste aber auch für die Indexierung gelten. Ob die Gewerkschaften dafür bereit sind?, fragt zweifelnd De Tijd.
Zukunft der Ukraine
Het Belang van Limburg kommentiert zum Krieg in der Ukraine: "Der anstehende Winter wird entscheidend sein". Militärisch liegt das Momentum zurzeit weiter bei der Ukraine. Das heißt aber nicht, dass sich ein Sieg der Ukraine wirklich abzeichnet. Die Ukraine bleibt weiter abhängig von der Unterstützung des Westens. Und hier liegt die Achilles-Ferse der ganzen Krise. Es steht zu befürchten, dass die Unterstützung des Westens für die Ukraine abnimmt und sich die westlichen Länder mehr um ihre eigenen Probleme kümmern, die durch den Krieg hervorgerufen wurden. Auch die Wahlen in den USA können entscheidend sein. Der linke Flügel der US-Demokraten ruft nach Frieden. Viele Republikaner mit ihrer "America First"-Doktrine kritisieren die Unterstützung für die Ukraine. Die Zukunft der Ukraine bleibt deshalb ungewiss, bedauert Het Belang van Limburg.
Von Coca-Cola und Homosexualität
La Dernière Heure macht sich Gedanken über den Sinn der Weltklimakonferenz und führt aus: Vieles ist absurd bei COP27. Hauptsponsor ist zum Beispiel Coca-Cola, weltweit bekannt für seine umweltschädlichen Verpackungen, die mit Hilfe von fossilen Energien hergestellt werden. Gastland ist Ägypten, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden und die Zivilgesellschaft es schwer hat, sich Gehör zu verschaffen. Gerade diese Zivilgesellschaft aber ist oft das schlechte Gewissen der Staaten, wenn es um Klimaschutz geht. Bei der Dringlichkeit, mit der weltweit jetzt eigentlich tatkräftig etwas gegen die Erderwärmung getan werden müsste, kann man sich schon fragen, was dieser COP27-Zirkus eigentlich soll, kritisiert La Dernière Heure.
Mit Blick auf die in zwei Wochen beginnende Fußballweltmeisterschaft in Katar findet De Standaard: Moralische Werte werden vom Weltfußballverband FIFA nicht ernst genommen. Trotz aller Kritik, die es schon bislang an der Vergabe der WM an Katar gab, bleibt das weiter so. Erst gestern hat sich der WM-Botschafter aus Katar im deutschen Fernsehen abfällig über Homosexualität geäußert. Und was macht die FIFA? Sie bittet die Presse, einfach weiter über Fußball zu berichten. Wie weltfremd kann man als internationaler Verband sein? Und: Nein, wir werden nicht aufhören, uns Fragen zu Katar zu stellen, das Unrecht anzuklagen, das dort geschieht, die Ausbeutung von Arbeitern, die Missachtung von Menschen- und Frauenrechten zu bemängeln und zu hinterfragen, ob die WM tatsächlich klimaneutral sein wird – so wie Katar es behauptet, betont De Standaard.
Kay Wagner