"Spannungen in Brasilien nach dem Sieg von Lula", titelt La Libre Belgique. "Bolsonaros dröhnendes Schweigen", so die Überschrift beim GrenzEcho. "Seufzer der Erleichterung in Brasilien: Bolsonaro ficht den Wahlausgang nicht an", liest man bei De Tijd. "Widerwillig akzeptiert Bolsonaro die Niederlage", schreibt Het Nieuwsblad.
Das weitgehende Schweigen von Jair Bolsonaro zum Sieg seines Konkurrenten Luiz Inácio Lula da Silva sorgt für Besorgnis, hält La Libre Belgique in ihrem Leitartikel fest. Überraschend ist es allerdings nicht. Es wird im Allgemeinen als letztes Schmollen interpretiert dieses extremistischen Autokraten, Rassisten, Frauenhassers, Corona-Leugners, der für die Entwaldung eines Gebiets verantwortlich ist, das fast zwei Mal so groß wie Belgien ist. Kein Wunder also, dass viele erleichtert sind über den Wahlausgang. Aber was für ein Wahlausgang ist das… Das Land scheint polarisierter denn je, seine Teile sind radikalisiert bis zum Äußersten. Lula ist auch kein Erlöser, sondern ein Karrierepolitiker, der sein drittes Mandat angehen wird. Trotz seiner durchwachsenen sozio-ökonomischen Bilanz der ersten beiden Amtszeiten. Populismus ist auch für Lula kein Fremdwort. Brasilien ist natürlich ein sehr spezifischer Fall. Aber die Symptome der Radikalisierung, Gruppenbildung und Auflösung der Gesellschaft betreffen uns alle, warnt La Libre Belgique.
So einfach wird das nicht werden mit dem Klimaschutz…
Das GrenzEcho fühlt sich stark an die Lage nach der Abwahl von Donald Trump in den USA erinnert: Nicht nur wegen der Verbreitung der Lüge von der "gestohlenen Wahl". Sondern auch wegen des tiefen Grabens in der Gesellschaft, dem Lagerwahlkampf oder der aufgeladenen Symbolik im In- und Ausland. Bolsonaro selbst kann man aber nicht mit Trump gleichsetzen: Der abgewählte US-Präsident wirkt im Vergleich dazu schon fast seriös. Bolsonaros rechtsextremes Weltbild und seine vulgäre Art sind einfach nur widerlich. Seine Abwahl gehört deshalb zu den besten Nachrichten in diesem Jahr voller Krisen, findet das GrenzEcho.
De Morgen zieht eine vernichtende Bilanz der Bolsonaro-Jahre: Nach den Abrissarbeiten des Rechtspopulisten sehnt sich das Land nach ein bisschen sozialem Sonnenschein. Seine katastrophale Corona-Politik hat zu 700.000 brasilianischen Todesopfern geführt. Er hat den Hunger zurückgebracht: Bis zu 50 Prozent der Brasilianer wissen morgens nicht, ob und was abends auf den Tisch kommen soll. Lulas Rückkehr scheint auch bezüglich des Klimas eine gute Nachricht, denn unter Bolsonaro wurde die Vernichtung der Amazonas-Wälder radikal vorangetrieben. Allerdings erbt Lula einen Umweltschutzapparat, dem Bolsonaro sämtliche Zähne gezogen hat. Das wieder zu ändern, wird Zeit und Geld kosten. Und die Agrarindustrie wird ohnehin ein dominanter Faktor in Brasilien bleiben. Hinzu kommt: Die Fleischindustrie Brasiliens konnte ihren Einfluss gerade auch unter Lula so ausbauen. Lula hat auch bereits angekündigt, dass er gegen die Energiekrise mehr Öl fördern will. So einfach wird das mit mehr Umweltschutz also sicher nicht werden, auch nicht unter Lula, so sinngemäß De Morgen.
Musk übernimmt die Macht
De Standaard kommentiert einen anderen Machtwechsel: die Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter durch Elon Musk. Damit ist Musk zu einer der mächtigsten Personen der Welt geworden. Er sitzt nun an den Hebeln, mit denen weltweit gesellschaftliche Debatten gesteuert werden können. Nur ein Beispiel: Wenn er dem zuvor verbannten Donald Trump die Rückkehr auf Twitter erlaubt, dann könnte das für die Zukunft der amerikanischen Demokratie ausschlaggebend werden. Musk allein kann nun darüber entscheiden, wie Twitter mit Falschnachrichten und Verschwörungstheorien umgehen wird. In diesem Zusammenhang beunruhigend ist, dass der Milliardär am Wochenende selbst skrupellos Falschnachrichten über den Angriff auf den Ehemann von Nancy Pelosi verbreitet hat, der demokratischen Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses. Noch ein Warnzeichen: Verifizierte, also überprüft echte Benutzerkonten soll es mit Musk nur noch gegen monatliche Gebühr geben. Das wird die Tür für eine Welle gekaufter Fake-Accounts aufstoßen, es wird ein Schritt sein hin zu weniger vertrauenswürdigen Informationen. Während wir doch eigentlich das genaue Gegenteil bräuchten. Dass das tonangebende soziale Netzwerk in die Hände eines einzigen Geschäftsmannes gefallen ist, ist bereits problematisch. Dass dieser Geschäftsmann Elon Musk ist, der für seine Launen und unorthodoxen Vorstellungen berüchtigt ist, ist noch problematischer, meint De Standaard.
COP27 und WM
L'Avenir blickt voraus auf die COP27, die 27. Klimakonferenz der Vereinten Nationen, die am Sonntag im ägyptischen Scharm El-Scheich beginnen wird: Neben einer Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen wird es vor allem um Entschädigungen für Verluste und Schäden gehen, die durch den Klimawandel verursacht werden. Die Länder des sogenannten "Globalen Südens" sind dem stärker ausgesetzt, die Auswirkungen sind hier größer – und das, obwohl sie weniger für den Klimawandel verantwortlich sind als die Industrieländer. Sie verlangen deshalb lautstark mehr Unterstützung, um den Folgen und Herausforderungen der globalen Erwärmung die Stirn bieten zu können. Eine Forderung, der durch die Häufung und Verschlimmerung von Naturkatastrophen immer mehr Nachdruck verliehen wird. Eigentlich ist bereits 2009 ein solcher Unterstützungsmechanismus beschlossen worden. Aber seine Umsetzung lässt weiter auf sich warten, beklagt L'Avenir.
Für Gazet van Antwerpen steht uns ein November bevor, wie wir ihn noch nie gehabt haben. Nicht nur, weil es die ersten kalten Tage mit so hohen Energiepreisen sein werden, nicht nur wegen der UN-Weltklimakonferenz, sondern auch, weil in weniger als drei Wochen die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar beginnen wird. Die wird wohl ein besonders bizarres Ereignis werden und irgendwie scheinen wir uns kollektiv auch weniger als sonst dafür begeistern zu können. Liegt es am seltsamen Timing dieser ersten WM, die wegen des Wüstenklimas im Winter stattfindet? Oder stößt uns sauer auf, dass die Fußballbonzen sich einmal mehr vom Geld haben leiten lassen? Dass die Wahl auf ein Land gefallen ist, das quasi keine Fußballtradition hat, aber dafür eine Zweiklassengesellschaft, in der Millionen ausländische Arbeitskräfte im Prinzip rechtlose Zwangsarbeiter sind?, giftet Gazet van Antwerpen.
Boris Schmidt