"Das Jahr des Undenkbaren" titelt heute die Wirtschaftszeitung De Tijd, die also schon mal das ausklingende Jahr 2010 bilanziert. Was noch vor einem Jahr als unvorstellbar erschien, hat im Jahr 2010 die politische Agenda bestimmt. Doch nicht nur Belgien schien am Abgrund zu stehen - wohl noch nie wurde so oft und so ernsthaft über eine mögliche Spaltung des Landes diskutiert.
Auch die EU und insbesondere die Eurozone standen in diesem Jahr vor existentiellen Fragen. Erst Griechenland, dann Irland, und es gibt ja noch weitere Wackelkandidaten. Vor diesem dramatischen Hintergrund haben die EU-Staaten gestern beim EU-Gipfel die Schaffung eines permanenten Euro-Rettungsschirms beschlossen.
Kommentierend meint dazu De Tijd: Die EU tut sich schwer, um eine Antwort auf die Schuldenkrise zu finden. Immer wieder musste nachgebessert werden, Schritt für Schritt wurde mitunter gehörig improvisiert.
Um die Märkte langfristig zu beruhigen gibt es aber nur einen Weg: Die Konstruktionsfehler des Euro müssen behoben werden. Jedes Euroland muss wissen: Wer von der Gemeinschaftwährung profitieren will, muss sich einer strikten Haushaltsdisziplin unterwerfen. Zugleich müssen die Staaten viel enger ihre Wirtschaftspolitk verzahnen.
L'Echo sieht das ähnlich: Im Jahr 2010 sind wir um Haaresbreite an einer Katastrophe vorbeigeschrammt, mit Namen: Die Explosion der Eurozone. Und man darf sich nicht in dem Glauben wiegen, dass jetzt alle Gefahr gebannt wäre. Die einzige Möglichkeit, Spekulationen gegen den Euro einen Riegel vorzuschieben, ist die Einführung von EU-Obligationen. Das passiert vielleicht im kommenden Jahr - nach einem neuen schwere Erdbeben.
Lob für belgische Ratspräsidentschaft
Het Belang van Limburg zieht indes schon einmal eine Bilanz der ausklingenden belgischen EU-Ratspräsidentschaft: Zwar blieb uns die Schmach nicht erspart, den Vorsitz mit einer geschäftsführenden Regierung übernehmen zu müssen, doch blieb die ja schließlich die ganze Zeit über am Ruder, und wurde es am Ende doch eine gute Ratspräsidentschaft.
Vor allem das Zusammenspiel zwischen der belgischen Präsidentschaft und dem ständigen Ratsvorsitzenden Herman Van Rompuy hat Maßstäbe gesetzt. Der Ruf der Belgier als Mustereuropäer wurde damit mehr als bestätigt.
Die Flamen und Europa
De Morgen hat das alles zum Anlass genommen, um die Menschen in Flandern zu ihrer Meinung über Europa zu befragen. Die bemerkenswertesten Schlussfolgerungen: Zwei Drittel aller Flamen lehnen die Vergrößerung der EU um weitere neue Mitgliedsstaaten ab. Ein Drittel aller Flamen hätte nichts dagegen, der EU weitere Zuständigkeiten zu übertragen.
Vier von zehn Befragten sind der Ansicht, dass Belgien durch den Euro krisenfester ist. Kommentierend meint dazu De Morgen: die Flamen haben erstaunlich viel Vertrauen in die EU. Das mag man fast nicht glauben. Vielmehr dürfte es so sein, dass der Flame Europa nicht kennt und nicht versteht; es wäre also kein Vertrauen, sondern allenfalls Indifferenz.
Im Augenblick ist es nämlich so, dass der Flame sich in diesen Krisenzeiten nur noch auf sich selbst besinnt, Belgien und Europa ausklammert. Denn eine Frage ist erlaubt: Wenn die Flamen nicht mehr für die Wallonen bezahlen wollen, dann wären sie zu europäischer Solidarität ebenso wenig bereit.
Keine Neuwahlen - keine Spaltung
A propos Belgien: Vermittler Johan Vande Lanotte hat ja erneut seine Konsultationen mit Blick auf eine neue Staatsreform aus familiären Gründen unterbrechen müssen. In der Zwischenzeit veröffentlicht La Libre Belgique heute eine Umfrage, in der die Belgier über ihre kurz- und langfristigen Wünsche befragt werden.
Erste Schlussfolgerung: Nur einer von zehn Belgiern plädiert für eine Spaltung des Landes. Zweitens: Acht von zehn Belgiern lehnen mögliche Neuwahlen kategorisch ab. Und drittens: Die besten Aussichten auf den Posten des Premierministers hat nach wie vor PS-Chef Elio Di Rupo.
Fall Janssen: Dramatische Ermittlungspannen
Fast alle flämischen Zeitungen berichten heute ausgiebig über jüngst bekannt gewordene Ermittlungspannen im Fall des mutmaßlichen Serienmörders Ronald Janssen. Justizminister Stefaan De Clerck hat den Inhalt eines entsprechenden Berichts, des so genannten Comité P, öffentlich gemacht, also des Kontrollgremiums, das die Arbeit der Polizei durchleuchtet.
Die Schlussfolgerung Het Nieuwsblad und Het Belang van Limburg auf ihrer Titelseite auf den Punkt: "Ohne die Ermittlungspannen könnten zwei Opfer von Ronald Janssen noch leben". Tatsächlich hatte ein Ermittler aus der Provinz Limburg schon nach dem Tod von Annick Van Uytsel Ronald Janssen mit dem Fall in Verbindung gebracht. Bei der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Löwen wurde der Hinweis aber nicht ernst genommen. Anfang dieses Jahres schlug Janssen dann wieder zu und tötete zwei junge Leute.
Die Ermittlungsdienste haben offensichtlich nichts aus der Dutroux-Affäre gelernt, echauffiert sich in diesem Zusammenhang Gazet van Antwerpen. Wieder wurden wichtige Hinweise überhört. Die Ermittlungsfehler sind himmelschreiend, unannehmbar und gehören bestraft.
Ähnlich sieht das Het Nieuwsblad: Der Vergleich mit der Dutroux-Affäre hinkt zwar. Nichtsdestotrotz werden sich die Angehörigen der Opfer ein Leben lang ein und dieselbe Frage stellen müssen: Was wäre gewesen, wenn…?
Düstere Aussichten für Pensionen
Le Soir befasst sich heute auf seiner Titelseite mit der Zukunft des Rentensystems. Eine Studie der Universität Löwen kommt zu einem dramatischen Schluss: Selbst wenn gegen 2050 die Menschen bis zum Alter von 70 Jahren arbeiten, sind unsere Pensionen nicht zu finanzieren.
Es gibt nur einen Weg: Es müssen schnellstens und massiv neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Ein Forscher rechnet vor: Wir brauchen 33.000 neue Jobs pro Jahr, sprich 100 pro Tag.
Schnee, Schnee, Schnee
Viele Zeitungen widmen sich heute naturgemäß auch der Wetterlage und den damit verbundenen Konsequenzen. L'Avenir etwa zieht eine Bilanz des von der wallonischen Region verhängten Fahrverbots für LKW in drei Provinzen. Während Wirtschaftsverbände die Maßnahme harsch kritisieren, steht der zuständige Minister Benoît Lutgen zu seiner Entscheidung: Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder ein LKW-Fahrverbot, oder das Chaos.
Der Winter bricht jedenfalls schon jetzt alle Rekorde, wie Het Laatste Nieuws auf seiner Titelseite feststellt: Noch nie ist Belgien so früh so viel Schnee gefallen. Wenn es heute wieder schneit, dann ist jedenfalls der Rekord von 1945 gebrochen.
I'm dreaming of a….
Und es wird weiter schneien, weiß La Dernière Heure zu berichten: Das Blatt wagt auch schon einen Ausblick auf Weihnachten und stellt fest: Seit 1906 hat es zehnmal eine "weiße Weihnacht" gegeben. Ob es auch diesmal so sein wird, steht allerdings in den Sternen, wie De Morgen hervorhebt.
Trotz sündhaft teurer Großrechner ist es den Meteorologen nach wie vor nicht möglich, eine Woche in die Zukunft zu schauen. Ob es in diesem Jahr eine "weiße Weihnacht" geben wird, kann auch kein Supercomputer dieser Welt vorhersagen.
Bild:belga archiv