"Der Fall", so die große Überschrift auf Seite eins von Le Soir vor einem Foto, das den britischen Premierminister Boris Johnson von hinten zeigt. "Mit Lügen gestartet, durch Lügen zu Fall gebracht", so die wenig schmeichelhafte Schlagzeile bei Het Nieuwsblad. "Boris Johnson: ein Rückzug auf Raten", schreibt das GrenzEcho.
Wer Bescheidenheit oder Demut erwartet hat beim Abschied von Boris Johnson als britischer Premierminister, der ist von seiner Rücktrittsrede gestern enttäuscht worden, merkt De Standaard an. Einsicht, dass die Verantwortung für seinen politischen Niedergang allein bei ihm selbst zu suchen ist? Fehlanzeige, selbst nach 50 Rücktritten von Mitgliedern seines Kabinetts. Und kaum schien das Endspiel endlich vorbei, brach Johnson schon die nächste Debatte um seine Person vom Zaun: Unverfroren ernannte er reihenweise frische Minister und will Premier bleiben, bis seine konservative Partei einen neuen Vorsitzenden gewählt hat. Und das kann Wochen oder gar Monate dauern.
Boris Johnsons Blindheit für die eigenen Fehler und sein Widerstand gegen das Unvermeidliche lassen unwillkürlich an Donald Trump denken. Im Vergleich zum versuchten Staatstreich in den Vereinigten Staaten und seinen politischen und gesellschaftlichen Nachwehen scheint die britische Demokratie aber zumindest geläutert aus der Affäre herauszukommen, hofft zumindest De Standaard.
Populistische Parallelen
Den Vergleich zwischen Boris Johnson und Donald Trump beziehungsweise zwischen den britischen Tories und amerikanischen Republikanern ziehen auch andere Zeitungen in ihren Leitartikeln: Die britischen Konservativen waren bereit, Boris Johnson die Macht zu geben, obwohl sie wussten, dass er nicht wirklich in der Lage sein würde, das Land auch wirklich zu regieren, kritisiert Het Nieuwsblad. In dieser Hinsicht sind das Vereinigte Königreich und die USA perfekt vergleichbar.
Aber während Johnson letztlich durch seine ehemaligen Lakaien zum Ausgang gedrängt worden ist, bleiben die Republikaner weiter Trump verfallen. Außerdem ist Johnson auch noch nicht wirklich weg. Nicht wenige selbst innerhalb der Tories befürchten, dass er sich weiter an die Macht klammern könnte, dass die Machtübergabe an seinen Nachfolger durchaus noch problematisch werden könnte. Noch etwas also, was Johnson mit Trump gemein hat. Irgendwie müssen Lehren aus diesen Trümmerhaufen gezogen werden. Jeglichen Anstand über Bord zu werfen, um Wahlen zu gewinnen, mag ja noch funktionieren. Aber es ist sicher keine Art und Weise, um ein Land zu regieren, wettert Het Nieuwsblad.
Trumps "America First" und Johnsons Brexit waren sich sehr ähnlich, findet Het Belang van Limburg. Auch der britische Premier gaukelte seinen vom Populismus geblendeten Wählern eine Welt vor, in der es ihnen hinter hohen Mauern besser gehen sollte. Dieses Versprechen lieferte den Briten zwar kurzzeitig ein heimeliges Gefühl – aber wie immer, wenn Politik auf Luftschlösser gebaut wird, dann muss früher oder später die Luft eben entweichen. Statt dem erhofften Fortschritt haben die Briten mit Johnson den schmerzhaften Brexit und politische Instabilität bekommen, resümiert Het Belang van Limburg.
Besuche in der Ukraine, markige Kriegsrhetorik und selbst Sticheleien gegen das verhasste Brüssel konnten Johnsons innenpolitische Eskapaden nicht aufwiegen, analysiert das GrenzEcho. Die wahren Gründe der Unzufriedenheit dürften aber tiefer liegen. Nach einer gewissen Zeit Brexit merken die Briten zunehmend, dass man ihnen ein faules Ei untergejubelt hat. Die Briten leiden, mehr noch als andere, an den Krisen, die die Welt seit der Unterzeichnung des Brexit-Abkommens heimsuchen. Von einer möglichen Rückkehr der Briten in die EU sollte man aber dennoch nicht träumen, noch nicht einmal, wenn Labour mögliche Wahlen gewinnen würde. Das wäre vermessen und unrealistisch, warnt das GrenzEcho.
Auch nach dem Abgang bleiben große Fragen
Sowohl Trump als auch Johnson haben für radikale Brüche ihrer Parteien mit der Vergangenheit gesorgt, hält De Tijd fest. Und beide hinterlassen selbst nach ihrem Abgang sehr große Fragen über die Landesgrenzen hinaus. Zum Beispiel, wie es sein kann, dass Politiker in Rechtsstaaten mit offensichtlich falschen und manipulativen Behauptungen und einem flagranten Mangel an Integrität so weit kommen können. Aber auch, wie Länder regiert werden sollen, in denen die Wähler immer weiter in extreme Positionen abrutschen, während die politische Kraft des gemäßigten Zentrums Stückchen für Stückchen verdampft, so De Tijd.
Der machtbesessene Boris Johnson ist einer dieser Männer, die sich selbst über allen Gesetzen und Regeln wähnen, die sie für den Rest der Gesellschaft festschreiben, schreibt La Dernière Heure. Das "Partygate" wird für immer ein Symbol für diese Einstellung bleiben: Während Johnson und Konsorten mitten im absoluten Lockdown miteinander feierten, durften normale Menschen noch nicht einmal der Beerdigung ihrer Angehörigen beiwohnen.
Die Moral von der Geschicht'
So eine Gestalt hätte niemals an die Spitze der Regierung gelangen dürfen, donnert La Libre Belgique. Integrität und Aufrichtigkeit waren schon immer Fremdwörter für Johnson, der einzige Kompass, nach dem er sich jemals gerichtet hat, ist sein Eigeninteresse. Seine Amtszeit hat nicht nur der Demokratie geschadet, sondern auch dem Ansehen seines Landes und den Beziehungen nach außen, vor allem zur Europäischen Union, die selbst nach dem Brexit noch der größte Handelspartner des Vereinigten Königreiches ist, betont La Libre Belgique.
Die Bilanz von Boris Johnson als Premierminister ist in der Tat die unheilvollste seit vielen Jahrzehnten, urteilt auch L'Echo. Sein Nachfolger wird vor allem erst einmal wieder Ordnung bringen müssen in die britischen Flure der Macht. Erst dann wird die Wiederherstellung des Vertrauens – sowohl national als auch international – überhaupt beginnen können.
So wie jede Fabel beinhaltet auch das schmachvolle Ende von Boris Johnson eine Moral, meint De Morgen: Dieses Politdrama macht deutlich, dass es nicht unendlich möglich ist, Politik als permanenten, waghalsigen Wahlkampf zu führen. Irgendwann muss Politik auch tatsächlich aus dem Führen eines Landes bestehen. Diese Lehre sollten sich auch Politiker außerhalb Großbritanniens hinter die Ohren schreiben, empfiehlt De Morgen.
Boris Schmidt