"Bye-bye Boris?", fragt Le Soir auf Seite eins. "Wie lange kann Boris Johnson sein sinkendes Schiff noch über Wasser halten?", wundert sich auch Het Belang van Limburg. "38 Spitzenmitarbeiter weg in 48 Stunden, aber Johnson bleibt auf seinem Stuhl sitzen", fasst Het Laatste Nieuws zusammen. "Britischer Premier Johnson kämpft um seine Macht", liest man beim GrenzEcho.
Nachdem zunächst mit dem Finanz- und dem Gesundheitsminister zwei Schwergewichte der britischen Regierung zurückgetreten waren, gab es kein Halten mehr, resümiert De Standaard in seinem Leitartikel. Am Ende des gestrigen Nachmittags war es schwierig, überhaupt noch einen Überblick zu haben. Aber wie immer in diesen Fällen ist die zentrale Figur die letzte Person, die realisiert, dass das Spiel aus ist. Auch Johnson hat geschworen, bis zum Ende um sein politisches Überleben zu kämpfen.
Er schlägt auch bei seinen letzten Zuckungen noch gnadenlos um sich. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich seine Karriere anschaut. Schon sein ganzes Leben versteckt Boris Johnson einen grenzenlosen Zynismus hinter einer Fassade aus verwuscheltem, jungenhaftem Eton-Charme. Und kein einziger der Politiker, die ihn seit gestern im Stich gelassen haben, hatte je auch nur den geringsten Zweifel über Johnsons wichtigsten Charakterzug: seine Bereitschaft, wo notwendig zu lügen. Ihre Rücktrittsbriefe, die von Integrität und ähnlichem schwafelten, sind zutiefst heuchlerisch, hier macht sich einfach die nächste Generation Konservativer zur Machtübernahme bereit, so De Standaard.
Ein neuer Kapitän für die Titanic
Le Soir vergleicht die britische Regierung mit der treibenden Titanic. Aber da der Kapitän sich weigert, das Steuer loszulassen, springen seine Minister lieber über Bord. Normalerweise tritt ein Regierungschef unter solchen Umständen ja zurück. Und man muss auch betonen, welche schwere Verantwortung die Mitglieder seiner Partei über die Jahre auf sich geladen haben. Denn Gründe und Gelegenheiten, Johnson loszuwerden, gab es zuhauf in der Vergangenheit.
In dieser Hinsicht ähneln die britischen Konservativen den amerikanischen Republikanern, die Donald Trump gegen jede Vernunft und gegen alle Widerstände unterstützt haben. Angesichts all der Probleme, mit denen sich Großbritannien konfrontiert sieht, wird das Land jetzt mehr denn je einen soliden Kapitän brauchen mit einem deutlichen Kurs und Verbündeten im Innern und Außen, meint Le Soir.
Die Wirklichkeit bricht Johnson das Genick
Der Regierung des britischen Premierministers geht schneller die Luft aus als einem Fahrradreifen mit Loch bei der Tour de France, stichelt Het Belang van Limburg. Natürlich kennen wir auch hierzulande Politiker, für die der Begriff "politische Verantwortung" ein Fremdwort ist. Aber Johnson hat es doch ziemlich wild getrieben in dieser Hinsicht. Wenn er jetzt wirklich abtreten wird, so seine Kritiker, dann wird das nur schreiend und tobend passieren. So wie ein kleines Kind, das noch nicht ins Bett will, obwohl es mehr als Zeit wäre.
Aber was der Regierung Johnson jetzt letztlich das Genick bricht, sind weniger die lang bekannten Probleme mit der Glaubwürdigkeit und die diversen Skandale. Das Problem sitzt viel tiefer: Drei Jahre danach beginnt den Briten die Wahrheit über die Brexit-Versprechungen aufzugehen, die Erkenntnis, dass es sich um eine Mogelpackung handelt. Statt Probleme zu lösen, hat er für immer neue gesorgt. Das Vereinigte Königreich wird auch durch die Wirtschaftskrise härter getroffen als der Rest Westeuropas. Es sind nicht die Lügen, die Boris Johnson den Kopf kosten werden, sondern die Wirklichkeit, giftet Het Belang van Limburg.
Vernunft, Gipfel des Zynismus oder eine verpasste Chance?
Das zweite große Thema in den Leitartikeln ist die sogenannte EU-Taxonomie in Sachen Energie: Das EU-Parlament hat sich mit komfortabler Mehrheit dafür entschieden, künftige Investitionen unter bestimmten Bedingungen auch als nachhaltig zu betrachten, selbst wenn diese in Kraftwerke getätigt werden, die ihre Energie aus Gas und Atombrennstäben gewinnen, fasst das GrenzEcho zusammen.
Das Problem ist relativ schnell zusammengefasst: Europa befindet sich in einer mehr als misslichen Lage in Sachen Energiesicherheit. Man ist also gut beraten, zweimal zu überlegen, ob man funktionierende Kraftwerke vom Netz nimmt. Man kann es also nur begrüßen, wenn Politiker, angesichts der prekären Lage, in der wir uns befinden und die durchaus das Potenzial einer existenziellen Krise hat, auf die innere Stimme der Vernunft hören und über den eigenen Schatten springen, findet das GrenzEcho.
Das sieht L'Avenir ganz anders: Mit ihrer Entscheidung haben sich die Europaabgeordneten ein Denkmal errichtet. Ein Denkmal von fast beispiellosem Zynismus, ein Paradebeispiel für "Greenwashing" für diese mehr als zweifelhaften Versuche, sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen. Jetzt wird also Nuklearenergie, die so viel Leid und Probleme über die Menschheit gebracht hat, mit dem "grünen Label" auf eine Stufe gestellt mit erneuerbarer Energie aus Wind- und Sonnenkraft.
Über die Entscheidung, das Gleiche für Gas zu tun, kann man auch nur den Kopf schütteln. Die Alternative wäre, den Gürtel enger zu schnallen, die energiehungrigen Ambitionen unserer konsumsüchtigen Zivilisation zurückzuschrauben und der Habgier derjenigen Zügel anzulegen, die sich weiter auf Kosten des Planeten bereichern wollen. Aber für viele gewählte Volksvertreter ist der Begriff "Nullwachstum" eben eindeutig furchteinflößender als "nukleare Gefahr", wettert L'Avenir.
Mit dem "Green Deal" hatte die Europäische Union in Sachen Umwelt- und Klimaschutz gepunktet, hält La Libre Belgique fest. Hätten die Europaabgeordneten beim grünen Label für Atomenergie und Gas anders gestimmt, dann hätten sie damit den Elan des Green Deals weiter stärken können. Sie hätten Europa als internationale Referenz bestätigen können, wenn sie sich für eine glaubhafte und ehrgeizige Klassifizierung darüber entschieden hätten, was wirklich nachhaltig ist und was nicht. Und sie hätten gleichzeitig schnell und massiv zukünftige Investitionen in Richtung grüner Technologien lenken können, um aus Europa einen entschlossen nachhaltigeren Kontinent zu machen. Diese Chance haben die Europaabgeordneten aber links liegen lassen, bedauert La Libre Belgique.
Boris Schmidt