Standard & Poor's hat die bisherige gute Bewertung Belgiens zwar noch nicht zurückgestuft, wohl aber die Tendenz von "stabil" in "negativ" umgewandelt. Daraus schlussfolgern heute praktisch sämtliche Kommentatoren, dass dies eine eindringliche Warnung der Finanzwelt ist, die man nicht in den Wind schlagen sollte.
Warnschuss der Rating-Agentur: Belgien tendiert "negativ"
Het Nieuwsblad vermerkt dazu in seinem Leitartikel: Das Fazit der Bewertung lautet, dass Belgien wirtschaftlich gar nicht so schlecht da steht und folglich durchaus kreditwürdig ist. Es müssen allerdings dringend Sparmaßnahmen getroffen werden, und dazu bedarf es so bald wie möglich einer neuen Regierung. Es ist höchste Zeit, dass die Politik sich ihrer Verantwortung stellt und innerhalb kürzester Zeit für eine handlungsfähige Regierung sorgt. Geschieht dies nicht, dann würde dies den Wohlstand des Landes und der Bürger ernsthaft in Gefahr bringen.
Gazet van Antwerpen schreibt im gleichen Kontext: Ohne eine stabile Regierung innerhalb der nächsten sechs Monate bekommt Belgien ein ernsthaftes Imageproblem. Die Parteipräsidenten, die zurzeit unter der Führung des königlichen Vermittlers Vande Lanotte verhandeln, wissen das und können sich folglich ihrer Verantwortung nicht länger entziehen. Nach monatelangem Tauziehen müssen jetzt endlich Entscheidungen her. Schafft man das nicht, dann sollte man den Schlussstrich ziehen und sich dem Wähler stellen.
Vier Maßnahmen, um die Finanzmärkte zu beruhigen
Het Belang van Limburg nennt mindestens vier Maßnahmen, die nötig wären, um das Ansehen Belgiens in der Finanzwelt auf Vordermann zu bringen. Das wären: ein ausgeglichener Haushalt bis 2015, die Abschaffung der automatischen Lohnindexierung, die Anhebung des Pensionsalters und eine zeitliche Begrenzung der Arbeitslosenunterstützung. Objektiv betrachtet, wird wohl keine Regierung alle diese Maßnahmen ergreifen. Vor allen Dingen die Bindung der Löhne an die Lebenshaltungskosten und das Arbeitslosengeld ohne zeitliches Limit sind hierzulande tabu, doch der Rest müsste möglich sein.
Auch Het Laatste Nieuws mahnt zu einer möglichst baldigen Regierungsbildung und drastischen Einsparungen. Wenn sich in den nächsten drei Monaten in dieser Hinsicht noch immer nichts getan hat, dann werden die Finanzmärkte die belgischen Staatsanleihen abstoßen, so dass die Zinsen, die unser Land auf Anleihen zahlen muss, drastisch ansteigen werden.
Reynders: Sparen für die Kreditwürdigkeit
Um dies zu verhindern, so berichtet Le Soir in großer Aufmachung auf Seite 1, schlägt der geschäftsführende Finanzminister Reynders vor, das für 2011 angepeilte Sparvolumen von 350 Millionen auf zwei Milliarden Euro zu erhöhen. Sollte im Januar noch immer keine neue Regierung zustande kommen, könnte das geschäftsführende Kabinett Leterme eine solche Sanierungsmaßnahme beschließen. Auf diese Weise könnte man eine Spekulationswelle gegen belgische Staatsanleihen vermeiden. Besser wäre natürlich, so schlussfolgert daraus Le Soir sinngemäß, wir hätten bald eine neue Regierung, die ein glaubwürdiges Sparpaket schnüren würde. Tatsache ist jedenfalls, dass die Warnung vor einer Herabstufung der belgischen Kreditwürdigkeit den Druck auf die über die Regierungsbildung verhandelnden Parteipräsidenten noch weiter erhöht hat.
De Wever unbeeindruckt
Dabei gibt es, La Libre Belgique zufolge, allerdings ein Problem: De Wever lässt sich nicht unter Druck setzen, denn ihn interessieren keine Ministerposten, und er fürchtet sich schon gar nicht vor Neuwahlen, denn diese würden seiner Partei wahrscheinlich noch mehr Stimmen als beim letzten Mal einbringen. Sollten also die derzeitigen Verhandlungen scheitern, hält La Libre Belgique die Bildung einer Notregierung für möglich, die vom Parlament mit erweiterten Befugnissen ausgestattet würde, um die nötigen Sparmaßnahmen ergreifen zu können.
Hoffnungsschimmer: Schafft Vande Lanotte vor Weihnachten den Kompromiss?
De Standaard glaubt nicht, dass eine solche Ausnahmeregelung nötig sein wird, denn nach Ansicht der Zeitung besteht wieder Anlass zur Hoffnung. Erläuternd heißt es dazu, die flämischen Parteipräsidenten haben gestern Abend Vande Lanottes jüngsten Kompromiss zum Finanzierungsgesetz vorsichtig positiv aufgenommen. Wenn heute auch die frankophone Seite dem zustimmt, wäre das ein beruhigendes Signal an die Adresse der Finanzmärkte. Damit haben wir zwar noch nicht direkt eine neue Regierung, doch wäre das zumindest ein bedeutender Fortschritt. Ob Vande Lanotte allerdings nicht zu optimistisch ist, wenn er noch vor Weihnachten den entscheidenden Durchbruch zu erzielen hofft, bleibt vorerst abzuwarten.
Archivbild epa