"Russland erpresst Europa mit Gas", titelt De Morgen. "Das ist historisch, aber Putin schneidet sich vor allem ins eigene Fleisch", schreibt Gazet van Antwerpen auf Seite eins. "Angesichts der Erpressung mit russischem Gas bringt sich Europa in Stellung", so die Schlagzeile von La Libre Belgique.
Empört und zugleich entschlossen hat die EU auf die Ankündigung aus Moskau reagiert, ab sofort kein Gas mehr nach Polen und Bulgarien zu liefern. Innerhalb der EU gebe es große Solidarität, betonte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Und sobald es geht, werde man auf russische Energieimporte verzichten. Und das für immer.
Die russische Entscheidung erhöht aber auch merklich den Druck auf die Volkswirtschaften in der EU. Der Höhenflug der Energiepreise wird weiter befeuert. "Und der Gas-Krieg drückt den Euro auf seinen tiefsten Stand seit fünf Jahren", berichten L'Echo und De Tijd auf Seite eins.
Der Gas-Krieg schaukelt sich hoch
Der Einsatz der Gas-Waffe durch den Kreml beschert der EU einen handfesten Solidaritätstest, analysiert De Tijd in ihrem Leitartikel. Indem er Polen und Bulgarien den Gashahn zudreht, will der russische Präsident Vladimir Putin seine Entschlossenheit unter Beweis stellen. Zugleich will er wohl den Zusammenhalt innerhalb der EU auf die Probe stellen. Er hofft wohl, dass das eine oder andere Land ausscheren könnte. Noch ist das Problem überschaubar. Wenn aber auch Deutschland oder Italien vom russischen Gas abgeschnitten werden sollten, sähe das allerdings anders aus. Europa hat aber mehr denn je Interesse daran, solidarisch und geeint zu bleiben.
Der Gas-Krieg schaukelt sich hoch und in diesem Spiel gibt es nur Verlierer, meint sinngemäß L'Avenir. Dass Russland bislang nur Polen und Bulgarien den Gashahn zugedreht hat, das hat wohl auch damit zu tun, dass Moskau sich nicht mehr leisten kann. Man ist schließlich auf die Einnahmen angewiesen. Machen wir uns nichts weis: Wenn Putin könnte, dann würde er ganz Europa vom Gas abschneiden. Auch die EU versucht, der russischen Wirtschaft möglichst nur da zu schaden, wo es uns nicht weh tut. Ganz auf russisches Gas verzichten können wir noch nicht. Erst ab 2027. Angesichts der derzeitigen Situation ist das eine halbe Ewigkeit.
Eine innenpolitische Herausforderung
Putin will ganz offensichtlich Zwietracht säen, ist auch De Morgen überzeugt. Nicht nur, dass er die EU auseinanderdividieren will, er will auch dafür sorgen, dass die europäischen Regierungen mit möglichst vielen unzufriedenen Bürgern konfrontiert sind. Deswegen ist von uns allen jetzt Mut verlangt. Wir müssen das Ganze tapfer aussitzen, wohlwissend, dass die Europäer dank ihres kolossalen Binnenmarkts wirtschaftlich letztlich am längeren Hebel sitzen. Und auch wegen der Kriegsverbrechen in der Ukraine ist Nachgeben keine Option. Wir können das nicht durchgehen lassen. Die Gaskrise darf keine Entschuldigung sein, um wegzuschauen.
Innenpolitisch ist das Ganze dennoch eine Herausforderung, gibt aber Het Laatste Nieuws zu bedenken. Die Energierechnungen der Haushalte gehen durch die Decke. Jede Maßnahme, die die Auswirkungen abfedern soll, kostet aber Geld. Geld, das wir nicht haben. Hier stößt der Staat an seine Grenzen. Man sollte also nicht denen glauben, die am anstehenden 1. Mai den Menschen das Blaue vom Himmel versprechen. Zumindest so lange nicht, bis sie erklären, wie zusätzliche Hilfen finanziert werden sollen, ohne die künftigen Generationen noch weiter zu belasten.
Unserer Kaufkraft stehen dunkle Stunden bevor, orakelt La Dernière Heure. Denn wir dürfen uns nicht in die Tasche lügen: Wladimir Putin wird seinen Gas-Krieg auf die Spitze treiben und keine Gelegenheit auslassen, um Europa zu piesacken. Und das werden wir spüren: vor allem im Supermarkt und an der Tankstelle. Energieunabhängigkeit, das muss das einzige Ziel sein.
Zumindest im Moment ist das Problem noch überschaubar, glaubt De Standaard. Die kalte Jahreszeit liegt hinter uns, die nächste ist noch weit. Was wir hier sehen, das sind denn auch Verschiebungen anderer Art. Unter dem Druck der Amerikaner stellt sich der Westen jetzt so auf, dass Putin seinen Krieg nicht mehr gewinnen kann. Was als russischer Eroberungsfeldzug gedacht war, ist umgeschlagen in einen Überlebenskampf einer kleinen Machtclique im Kreml. Das allerdings macht die nächste Phase nur noch unvorhersehbarer und vor allem gefährlicher. Die Amerikaner haben Blut geleckt, aber ihre Strategie ist riskant, vor allem für Europa. Fakt ist wohl, dass dieser Konflikt erst wirklich endet, wenn Putin und seine Getreuen nicht mehr an der Macht sind. Das ist eine tragische Feststellung, bedeutet sie doch, dass es zumindest in einer ersten Phase nur noch schlimmer werden kann.
Europa sollte sich denn auch mehr denn je auf eigene Füße stellen, fordert La Libre Belgique. Die amerikanische Strategie kann zu einer direkten Konfrontation mit Moskau führen. Mit allen Konsequenzen, die dazugehören. Man sollte jetzt aber nicht gleich die USA dafür an den Pranger stellen. Im Grunde geht Washington nur schneller auf einem Weg, der auch für Europa vorgezeichnet ist. Es ist Russland, das diesen Krieg der Zivilisationen begonnen hat. Moskau hat als Erstes mit seinem Atomarsenal gedroht, das übrigens schon 2014. Es ist der Kreml, der alle diplomatischen Brücken abgeschlagen hat. Man sollte den Amerikanern also nicht vorwerfen, dass sie den Konflikt auf die Spitze treiben. Vielmehr sollte sich Europa die Mittel geben, sich angesichts der russischen Bedrohung selbst zu verteidigen.
Roger Pint