"Außenministerin Sophie Wilmès nimmt Auszeit, um sich um ihren kranken Mann zu kümmern", schreibt L’Avenir auf Seite eins. "Erzwungene Auszeit von Wilmès wird Regierungsarbeit nicht gefährden", titelt La Libre Belgique.
Außenministerin Sophie Wilmès hat sich gestern vorübergehend aus der Politik verabschiedet. Sie will Zeit für ihre Familie haben. Bei ihrem Mann ist ein bösartiger Hirntumor festgestellt worden.
Dazu kommentiert La Dernière Heure: Sophie Wilmès wird gerade mit einem der schlimmsten Szenarien konfrontiert, die einen treffen können: Ein Angehöriger ist von einer schweren Krankheit bedroht. Sophie Wilmès ist Staatsfrau, aber auch Ehefrau und Mutter, was ebenso wichtig ist. Sie hat sich dafür entschieden, der Politik für eine gewisse Zeit den Rücken zu kehren, und verzichtet in dieser Zeit auch auf ihr Gehalt. Das verdient Respekt. Courage, wünscht La Dernière Heure.
L’Avenir notiert: Es sind Momente wie diese, in denen deutlich wird, dass auch unsere Politiker nur Menschen sind. Menschen wie wir, die persönlichen Prüfungen ausgesetzt sind. Menschen mit Schwächen und Stärken. Sophie Wilmès ist gestern viel Sympathie für ihre Entscheidung entgegengebracht worden. Sowohl von Politikern aller Richtungen als auch von Nutzern sozialer Netzwerke im Internet, berichtet L’Avenir.
Als Erstes ruft nicht mehr nur die Pflicht
De Standaard analysiert: Die Entscheidung von Wilmès passt gut in unsere heutige Zeit. Beruf und Karriere sind längst nicht mehr alles. Das Verständnis dafür, dass Leben mehr bedeutet als Karriere, setzt sich langsam durch. Das war auch schon der Grund für Sophie Dutordoir, als Chefin von Electrabel zurückzutreten und einen italienischen Delikatessenladen aufzumachen. Die Nummer eins im Frauentennis, Ashleigh Barty, hat vor kurzem ihre Karriere überraschend beendet, um öfter bei ihrer Familie sein zu können. Die Zeiten der Ex-Premiers Jean-Luc Dehaene und Wilfried Martens sind vorbei. Sie hatten nach Schicksalsschlägen in ihren Familien einfach stoisch weiter regiert. Die Pflicht rief! Diese Norm gilt nicht mehr. Dass Wilmès so viel Zuspruch für ihre Entscheidung erhalten hat, ist erfreulich. Es macht unser Zusammenleben menschlicher, freut sich De Standaard.
Sozialer Frieden dank sozialer Gerechtigkeit
Zum heutigen Aktionstag der Gewerkschaften notiert Le Soir: Es ist nicht verwunderlich, dass die Gewerkschaften heute Aktionen starten. Denn das Thema Kaufkraft ist seit geraumer Zeit Sorge Nummer eins der Bürger – und damit auch der Arbeitnehmer. Alles wird immer teurer, viele Menschen bekommen Schwierigkeiten, alle Rechnungen am Ende des Monats zu bezahlen. Die Regierung hat zwar schon ein paar Maßnahmen beschlossen, um den Bürgern zu helfen. Aber Achtung: Zahlen sind nicht alles. Sozialer Frieden wir auch durch das Gefühl sichergestellt, dass es gerecht zugeht in der Gesellschaft. Nachrichten wie die, dass die durchschnittliche Vergütung der Bosse der an der Brüsseler Börse notierten Unternehmen im vergangenen Jahr um 14 Prozent auf jetzt gut drei Millionen Euro gestiegen ist, tragen nicht dazu bei, das Gefühl der Gerechtigkeit zu stärken, betont Le Soir.
L’Echo meint: Wir bräuchten eine breit geführte Diskussion über die Zusammensetzung der Löhne. Nur so kann wieder das Gefühl entstehen, dass es gerecht zugeht in Belgien. Bei dieser Diskussion darf es keine Tabus geben. Es muss auch mal über den Tellerrand hinaus gedacht werden dürfen. Zum Beispiel sollte man überlegen, ob jede Indexanpassung für alle Gehälter - auch die höheren - immer wirklich sinnvoll ist oder nicht auch dazu beiträgt, die sozialen Unterschiede zu vergrößern, regt L’Echo an.
Die persönliche Schuldfrage bei Studententaufen
In Hasselt beginnt heute der Prozess gegen 18 Mitglieder der Studentenverbindung Reuzegom aus Löwen. Sie sind angeklagt, mitverantwortlich für den Tod ihres Mitstudenten Sanda Dia im Dezember 2018 zu sein. Sanda Dia war an den Folgen seiner Studententaufe gestorben. Gazet Van Antwerpen glaubt: Der Prozess wird eine schmale Gratwanderung werden, um Klarheit darüber zu erhalten, was Sanda Dia freiwillig gemacht hat und zu was er gezwungen worden ist. Es wird auch um die schwierige Frage gehen, welche Schuld die 18 Angeklagten an einer Tradition haben, die es in ihrer Verbindung nun mal gibt. Vielleicht muss man die Erwartungen an den Prozess von Anfang an niedrig halten und einfach nur hoffen, dass nach diesem Prozess keine Studentenvereinigung mehr Lust darauf hat, die Grenzen des Zumutbaren und des gesunden Menschenverstandes bis zum Extrem auszureizen, wünscht sich Gazet Van Antwerpen.
Der Wahlkampf geht weiter
Die Wirtschaftszeitung De Tijd schreibt mit Blick auf die französischen Präsidentschaftswahlen am Sonntag: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass Amtsinhaber Emmanuel Macron sein eigener Nachfolger wird. Doch wie gut er dann sein Programm umsetzen kann, hängt von den Parlamentswahlen ab, die im Juni stattfinden werden. Macron muss auch im Parlament eine Mehrheit für sich gewinnen. Sein Wahlkampf wird deshalb nach Sonntag weitergehen müssen, weiß De Tijd.
Kay Wagner