"D-Day, Tag der Entscheidung für die Atomkraft", titeln gleichlautend Le Soir und L'Echo. "Tag der Entscheidung – An diesem Freitag ist D-Day für Belgiens Energiemix", schreibt auch das GrenzEcho. "Knallharte Verhandlungen bis zum Schluss", fasst Het Laatste Nieuws zusammen. "Vor allem Grüne gegen Liberale", resümiert De Morgen.
D-Day ist ein häufig verwendeter Ausdruck, stellt Het Nieuwsblad fest. Aber für die Regierung De Croo ist es jetzt wirklich so weit, der Tag der Entscheidung ist da. Nach all dem Zögern und Zaudern muss der Knoten des zukünftigen Energiemixes des Landes jetzt durchgehackt werden. Dafür wird ein straffer Plan notwendig sein. Und dann wird es noch heißen: Daumendrücken, dass auch alles so laufen wird, wie es beschlossen wird. Das Zurückgreifen auf veraltete Nukleartechnologie ist ein bereits seit zwei Jahrzehnten andauernder Notbehelf und eine politische Krankheit. Diese Technologie wird es jetzt wieder richten müssen, ein letztes Mal, aus purer Notwendigkeit.
Für die Zukunft wird es solcherlei Gebastel und Gefriemel aber nicht mehr tun. Die Zukunft liegt in starken Investitionen in nachhaltige Energiequellen und in die Isolierung. Darauf muss heute der Fokus liegen. Das ist der einzige Weg, um die Energiekosten langfristig unter Kontrolle zu bekommen und um unabhängiger zu werden von der Willkür anderer Länder, meint Het Nieuwsblad.
Zur Tat schreiten – und zwar umgehend!
Die Parteien der Vivaldi-Regierung stehen vor einer großen, vor einer historischen Verantwortung, kommentiert Le Soir. Es geht nicht nur darum, ob jetzt die Laufzeit von zwei Kernzentralen verlängert werden soll oder nicht. Das, worum es wirklich geht, ist viel entscheidender, überlebenswichtiger und ehrgeiziger: Es geht darum, die Energie- und Mobilitätspolitik festzulegen, die drastisch und schnell unsere Abhängigkeit von den teuren fossilen Brennstoffen verringern soll. Es geht darum, den Energiewandel zu beschleunigen, indem die Energieversorgung massiv auf saubere und erneuerbare Quellen umgestellt wird. Dieses Ziel darf weder durch irgendwelche Tabus noch durch wahlpolitische Trophäen ausgebremst werden, fordert Le Soir.
Auch für L'Echo handelt es sich um einen fundamentalen, einen historischen Augenblick: Belgien und Europa müssen nach maximaler energetischer Unabhängigkeit streben – aus geopolitischen Gründen, aber auch, um die Klimaziele zu erreichen. Nach punktuellen Notfalleingriffen muss es vor allem um strukturelle Maßnahmen gehen. Das wird teuer werden, was manche abschrecken wird. Aber dennoch darf uns das nicht davon abhalten, schnell und entschlossen zu handeln. Diese Investitionen sind notwendig und werden sich mittelfristig auszahlen. Sie werden uns weniger verwundbar machen für Preisschwankungen und Versorgungsschwierigkeiten. Sie werden unsere Kaufkraft beschützen und unsere Wettbewerbsfähigkeit. Der Energiewandel darf keine Absicht oder ein Zukunftsprojekt bleiben. Es muss zur Tat geschritten werden. Umgehend, unterstreicht L'Echo.
Auch die Landwirtschaftspolitik muss überdacht werden
De Tijd blickt, wie viele andere Zeitungen, auf den Ukrainekrieg: Begreifen wir wirklich, wie die russische Invasion der Ukraine die Welt verändert?, fragt die Zeitung. Was die militärische Wachsamkeit und die Aufnahme von Flüchtlingen angeht, lautet die Antwort resolut "Ja". In puncto Atomausstieg hat es zumindest bei den Grünen etwas länger gedauert. Noch langsamer aber scheint die Einsicht zu reifen, dass sich hier vielleicht gerade eine riesige Nahrungsmittelkrise entwickelt. Die Ukraine, Russland und auch Belarus sind essenziell für die Versorgung mit Weizen und Rohstoffen für Kunstdünger.
Belgien wird zwar sicher nicht so stark betroffen sein von Versorgungsengpässen wie zum Beispiel Afrika. Aber auch hierzulande kommen 70 Prozent des Sonnenblumenöls aus Russland und der Ukraine. Der Preis für Mehl hat sich bereits verdoppelt, das wird sich früher oder später im Brotpreis niederschlagen. Der Krieg in der Ukraine zwingt uns dazu, die bisherige Politik in vielen Bereichen unter die Lupe zu nehmen. Das gilt auch für die Landwirtschaft in Europa, betont De Tijd.
Missverstandener Pazifismus und Kriegsverbrechen
Auch nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste kann die russische Armee in der Ukraine kaum noch Fortschritte melden, hält De Morgen fest. Die Russen haben ihr Vorhaben unterschätzt, der ukrainische Matsch und heftige Widerstand setzen Putins Panzern schwer zu. Die Waffenlieferungen aus dem Westen verstärken diese Probleme noch. Manche im Westen fragen sich, ob die Waffenlieferungen sinnvoll sind oder ob sie nicht zu noch mehr Krieg und Gewalt führen. Sie fragen sich, ob man nicht vielmehr auf Friedensgespräche und Diplomatie setzen sollte.
Das ist ein schmerzhaftes Missverständnis: So paradox es auch klingen mag: Für einen gerechten und dauerhaften Frieden müssen die überfallenen Ukrainer alle Chancen bekommen, um sich zu verteidigen. Nur so kann verhindert werden, dass der Aggressor mit brutaler Gewalt das Land zerstört und ihm dann einen einseitigen "Frieden", sprich die Kapitulation aufzwingt. Wer sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausspricht, der muss wissen, wem er in die Karten spielt. Der Ukraine wird sicher nicht durch missverstandenen Pazifismus geholfen werden. Und auch nicht durch das Wegschauen angesichts der sehr realen Kriegsgräuel wie etwa in Mariupol, wettert De Morgen.
La Libre Belgique greift in ihrem Leitartikel die Debatte auf, ob Putin ein Kriegsverbrecher ist: Russland hat nie an der internationalen Untersuchung des Abschusses von MH17 teilgenommen. Das Land hat sich auch nicht dazu herabgelassen, sich mit den unzähligen Vorwürfen zu beschäftigen über Folter, Massenerschießungen und Vergewaltigungen während seiner Militäreinsätze in Tschetschenien, in Georgien, in Syrien, in der Ukraine und anderswo. Ohne mit der Wimper zu zucken weisen die Moskauer Apparatschiks kategorisch alle Vorwürfe zurück.
Wenn sich an den Machtverhältnissen in Russland nichts Grundlegendes ändert, werden wir Putin wohl nie in Den Haag sehen, da brauchen wir uns keine Illusionen zu machen. Aber er wird dem Urteil der Geschichte nicht entgehen. Und die wird Putin auch nicht sein Verbrechen verzeihen, das den jetzigen Gräueltaten zugrunde liegt: sein Befehl zur brutalen Invasion und zum existenziellen Kampf gegen ein souveränes Land, für die es keinerlei Rechtfertigung gibt, so La Libre Belgique.
Boris Schmidt