"Das kann nun definitiv ab", titelt Het Nieuwsblad zu einem Foto von Premierminister Alexander De Croo, auf dem er gerade seine Mundschutzmaske auszieht. "Nach zwei Jahren am Ende des Tunnels: Code Gelb ab nächsten Montag – CST wird abgeschafft", schreibt das GrenzEcho. "Das Ende des Covid-Safe-Tickets, das Ende der Einschränkungen, aber noch nicht das Ende der Pandemie", fasst La Libre Belgique die Lage nach den gestrigen Ankündigungen des Konzertierungsausschusses zusammen.
Hoffen wir, dass die Seite für eine sehr lange Zeit umgeblättert wird, kommentiert L'Avenir. Auch wenn die jetzt wiedergewonnenen Freiheiten sicher nicht die furchtbare Bilanz des Leids und der Opfer vergessen machen werden: 30.000 Tote nach offizieller Zählung, trauernde Angehörige, Patienten, die weiter mit den Folgen ihrer Covid-Erkrankung kämpfen.
Ebenfalls nicht vergessen sollten wir die verstärkten sozialen Ungleichheiten, die in Mitleidenschaft gezogenen Rechte und Freiheiten, die politischen Irrwege, die manchmal schwer unter Druck geratene Demokratie, die wirtschaftlichen Folgen, die Spaltung der Gesellschaft.
Wir werden das Ende des Tunnels nicht unbeschadet erreichen. Aber wir werden es letztlich erreichen. Und hier muss man auch die kollektive Anstrengung würdigen, die unternommen worden ist, um unsere Gesundheit und unser Leben zu erhalten, so L'Avenir.
Lehren müssen gezogen werden
"Nicht so schnell", bremst La Dernière Heure zu großen Enthusiasmus über die Rückkehr zu einem wieder fast normalen Leben. Die Wirtschaft muss erst einmal wieder in Schwung gebracht werden. Die Beziehungen zwischen den Menschen müssen wiederhergestellt werden. Die Bevölkerung muss erst wieder Lust bekommen, ins Kino, ins Restaurant, ins Bistro zu gehen. Wir erwarten auch, dass eine echte Bilanz gezogen wird bezüglich des Managements der Corona-Krise, fordert La Dernière Heure.
Die Evaluierung steht noch aus, schreibt Het Nieuwsblad. Wenn wir es in Zukunft besser tun wollen in puncto Prävention, Unterstützung der Altenheime, Organisation der parlamentarischen Debatte, Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ebenen, Verwaltung essenzieller Lagerbestände – dann müssen wir zumindest Lehren ziehen.
Der Blick in den Spiegel scheint für viele Politiker ein schwieriger Schritt zu sein. Aber das wird die Wähler nicht davon abhalten, am Ende ein eigenes Urteil zu fällen, warnt Het Nieuwsblad.
Hier ist er also, der Augenblick, auf den wir zwei Jahre lang gewartet haben, stellt La Libre Belgique fest. Aber wie sollen wir diese Rückkehr zur Freiheit feiern, ohne an das ukrainische Volk zu denken? Das Volk, dem seine "Svoboda", seine Freiheit, weggenommen wird von einem vom Hass zerfressenen Tyrannen, der beschlossen hat, das Land mit seinen 44 Millionen Einwohnern zu annektieren?
Lasst uns unsere Freiheit genießen. Aber voll genießen werden wir das erst können, wenn auch das ukrainische Volk seine Freiheit wieder hat, unterstreicht La Libre Belgique.
"Die Russen schrecken selbst vor nuklearem Terror nicht zurück"
Mindestens genauso stark wie mit den Corona-Lockerungen beschäftigen sich die Zeitungen also auch mit den neuesten Taten beziehungsweise Untaten des Kremlherrschers in der Ukraine: "Nach Schulen, Krankenhäusern, Frauen und Kindern nimmt Putin jetzt Atomkraftwerke ins Fadenkreuz", schreibt dazu Gazet van Antwerpen als Überschrift auf seiner Titelseite. "Die Russen schrecken selbst vor nuklearem Terror nicht zurück", bringt es Het Belang van Limburg auf den Punkt.
Putin hat nicht gezögert, ein altes Terrorszenario Wirklichkeit werden zu lassen, schreibt Le Soir. Er hat ein Atomkraftwerk in eine potenzielle Massenvernichtungswaffe verwandelt. Er hat schon seit Beginn seines Angriffskriegs auf die Ukraine keinerlei Skrupel, nukleare Drohungen einzusetzen.
Mit diesem Erpressungswerkzeug betoniert Putin seine Stellung – sowohl innerhalb der Ukraine als auch darüber hinaus. Die nukleare Bedrohung ist kein Hirngespinst mehr. Sie ist da, konstatiert Le Soir.
Unser Leben ähnelt immer mehr einer Aneinanderreihung biblischer Plagen, stöhnt De Standaard. Von der Gesundheitskrise gehen wir nahtlos über zu einem militärischen Konflikt ungesehenen Ausmaßes. Dessen Folgen erst noch kommen werden, gerade wirtschaftlich.
Derweil türmt sich die von Putin ausgelöste Flüchtlingswelle immer höher auf. Die Flüchtlingskrise von 2015 ist nichts mehr als eine Fingerübung im Vergleich zu dem, was Europa jetzt bevorsteht.
Die Priorität der Politik muss jetzt bleiben, der Unsicherheit die Stirn zu bieten. Nachdem die Extremen von Links und Rechts als nützliche Idioten demaskiert worden sind, bekommt das politische Zentrum eine Chance, sich aufzurappeln. Jetzt, da die Herausforderung existenziell geworden ist, hilft Engstirnigkeit nicht mehr: Die neue Zeit muss vorbereitet werden, appelliert De Standaard.
Blumen und gute Absichten reichen nicht
Leid und Tod finden woanders statt. Wir sind Zaungäste, so das GrenzEcho, und schaffen es trotzdem immer wieder, uns selbst am meisten zu bemitleiden. Fakt ist: Trotz aller Solidaritätsbekundungen sind die Menschen in der Ukraine weitgehend auf sich selbst gestellt.
Echte Hilfe würde die Gefahr eines Krieges zwischen den Nuklearmächten USA und Russland mit sich bringen, heißt es. Das könne niemand wollen. Das ist richtig. Fakt ist aber auch, dass sich die Hilfe für die um ihre nackte Existenz kämpfende Ukraine auf Lippenbekenntnisse reduziert. So bewahrheitet sich wieder einmal, dass jeder sich selbst der Nächste ist, kritisiert das GrenzEcho.
Der Krieg in der Ukraine spielt sich weniger als 2.000 Kilometer von Brüssel entfernt ab, erinnert L'Echo. Die Ukraine ist gegen Putin alleingelassen, sie bekommt nur Unterstützung aus der Ferne vom Westen.
Dem Westen, der seine Abschreckungsmittel so schlecht eingesetzt hat. Die NATO hat Putin quasi den roten Teppich ausgerollt, also sie schon im Vorfeld jeglichen Einsatz in der Ukraine kategorisch ausschloss.
Die Europäer haben genauso versagt. Sie haben vergessen, dass die Demokratie ein Gut ist, das konstant verteidigt werden muss. Eine Verteidigung, die man nicht mit Blumen und guten Absichten garantieren kann.
Wenn man die Demokratie bewahren will, dann bedeutet das auch, als letzte Option, die Anwendung von Gewalt. Waffenlos und schwach hat die Demokratie so gut wie keine Chance gegen ihre Gegner, die skrupellosen Diktatoren, mahnt L'Echo.
Boris Schmidt