"Sint-Niklaas: Abschied von Dean", titelt Het Belang van Limburg. Die Zeitung hat, wie viele andere auch, Fotos von der Mahnwache, die dort gestern Abend stattgefunden hat. "Dean, vier Jahre, getötet von einem Psychopathen, der frei herumlaufen durfte", so die anklagende Überschrift bei L'Avenir. "Was wenn… Dave De Kock nach Verbüßung seiner Strafe besser nachverfolgt worden wäre? … er seine Vergangenheit nicht vor allen verschwiegen hätte? … seine Freundin die Polizei nicht belogen hätte?", fragt Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite.
Der Tod des vierjährigen Dean Verberckmoes aus Beveren in Ostflandern sorgt weiter für Bestürzung. Die Leiche des vermissten Jungen war in Zeeland in den Niederlanden gefunden worden. Gegen einen 34-jährigen Bekannten der Mutter, der auf das Kind hätte aufpassen sollen, wurde dort Haftbefehl wegen des Verdachts der Entführung und Beteiligung am Tod des Kindes erlassen. Dieser Dave De Kock hatte bereits 2008 den zweijährigen Sohn seiner damaligen Freundin so schwer misshandelt, dass das Kind gestorben war. Dafür wurde er zu einer Strafe von zehn Jahren verurteilt, die er auch verbüßt hatte.
Schwierige Fragen
"Eine asoziale Persönlichkeitsstörung, mit geringer Frustrationsschwelle". Deutlicher hätte der psychiatrische Bericht über Dave De Kock damals nicht sein können, kommentiert De Standaard. Nach seiner Freilassung war De Kock vom Radar der Justiz verschwunden: ohne Behandlung seiner Persönlichkeitsstörung, ohne Schuldeinsicht, ohne Begleitung und Nachverfolgung. Jetzt hat er erneut ein Kind getötet. Hätte dieses Drama verhindert werden können? Mit den rechtlichen Mitteln von 2008 wahrscheinlich nicht. Mit den strengeren Mitteln von 2012 vielleicht schon, dann hätte sich De Kock zur Verfügung der Justiz halten müssen. Aber genauso gut hätte er sich in einem unbeobachteten Augenblick trotzdem ein neues Opfer suchen können. Gewalttätige Psychopathen sind nun einmal tickende Zeitbomben. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir sperren solche Hochrisikoprofile präventiv für immer weg. Oder Justiz und Psychiatrie müssen besser zusammenarbeiten, um diese Art von Tätern zu behandeln, zu begleiten und bei Gefahr einzugreifen, so De Standaard.
Zu diesem Schluss kommen auch viele andere Leitartikler: Eine schmerzhafte Feststellung ist, dass Belgien in puncto Behandlung mentaler Probleme nicht gut aufgestellt ist, hält De Tijd fest. Das gilt für die klassischen psychiatrischen Behandlungen und noch viel mehr für die in Gefängnissen. Der Tod eines Kindes ist immer ein Schicksalsschlag. Aber um solche Tragödien zu verhindern, kann etwas unternommen werden: Die mentale Gesundheitsversorgung muss mehr Aufmerksamkeit bekommen, fordert De Tijd.
Waren zehn Jahre genug für die erste Tat Dave De Kocks?, fragt Het Nieuwsblad. Darüber kann man diskutieren. Sicher ist aber, dass auch schwere Straftäter irgendwann wieder freikommen. Eine Gesellschaft, die sich schützen will, muss sich auch damit beschäftigen. Hätte eine bessere psychiatrische Begleitung hier einen Unterschied gemacht? Der Punkt ist, dass wir es nicht wissen – denn es ist noch nie probiert worden, kritisiert Het Nieuwsblad.
Es sind Anstrengungen unternommen worden, aber leider waren sie nicht ausreichend, konstatiert Het Laatste Nieuws. Was bleibt, ist Demut: Als Gesellschaft haben wir ein Kind nicht beschützen können gegen ein Übel, das sich vielleicht angekündigt hatte. Jetzt müssen Lehren gezogen werden. Leider muss es oft erst so weit kommen, bevor etwas passiert, bedauert Het Laatste Nieuws.
"Kasinojustiz"
Dass jemand zum zweiten Mal ein Kind töten kann, kann niemals hinnehmbar sein, findet Gazet van Antwerpen. Natürlich ist es eine schwierige Frage, ob Menschen wie Dave De Kock, Steve Bakelmans oder auch Marc Dutroux jemals wieder auf freiem Fuß hätten sein dürfen. Es gibt aber auch sehr viele Menschen, die nach ihren Strafen auf dem guten Weg geblieben sind. Aber wie soll man die Leben von so und so vielen solchen Menschen auf die Waagschale legen gegen das eines Kindes? Deutlich ist aber, dass es nicht sein kann, dass Menschen mit solchen Profilen freikommen, ohne dass sich jemand weiter darum kümmert. Das ist nichts anderes als "Kasinojustiz", als Daumendrücken, dass schon nichts passieren wird, wettert Gazet van Antwerpen.
Diese Art von Personen freizulassen, ohne Sicherheitsmaßnahmen, Kontrollen oder Nachverfolgung, bedeutet ein enormes Risiko, meint La Dernière Heure. Die Strafen müssen strenger werden: Sind zehn Jahre für das Leben eines Kindes nicht einfach zu wenig? Außerdem muss die Nachverfolgung solcher Täter nach der Verbüßung ihrer Strafe einen besseren Rahmen bekommen. Natürlich kann man betonen, dass es das Recht auf eine zweite Chance, auf eine spätere Reintegration in die Gesellschaft, nicht umsonst gibt. Das ist auch richtig. Aber Dean wird keine zweite Chance mehr bekommen, erinnert La Dernière Heure.
Eine schmerzhafte Einsicht, die nicht entmutigen darf
Die Mutter Deans geht gerade durch die Hölle, schreibt Het Belang van Limburg. Ein Kind auf diese Weise zu verlieren ist abscheulich und unmenschlich. Solche Ereignisse lösen Unverständnis, Ungläubigkeit, Wut und Trauer aus. Und führen zu Fragen, vielen Fragen… Während wir auf Antworten auf diese Fragen warten müssen, können wir nur unsere Anteilnahme am Schicksal Deans bekunden. Und hoffen, dass sein Tod nicht zum soundsovielten Drama wird, das zu breiter Empörung und überstürzten politischen Maßnahmen führt. Wir müssen auch begreifen – so schmerzhaft das auch ist – dass wir die verwundbarsten Mitglieder unserer Gesellschaft nie ganz werden beschützen können. Das darf uns aber nicht davon abhalten, danach zu streben, die Welt etwas besser zu machen, appelliert Het Belang van Limburg.
Boris Schmidt