"Föderalregierung: Flut an Maßnahmen zum Haushalt 2022 – 'Zeit für Reformen und Investitionen'", zitiert das GrenzEcho auf Seite eins Premierminister Alexander De Croo. "Regierung landet nach turbulenter Nacht mit 100 Maßnahmen", fasst Het Belang van Limburg zusammen. "Eine Lawine an Maßnahmen, keine Revolution", so die Überschrift bei Le Soir.
Die Vivaldi-Koalition ist fast keinem der Probleme auf ihrer Agenda aus dem Weg gegangen, analysiert Le Soir. Die Pläne sind zwar weder abrupt noch originell, aber das ist eben der Preis, der zu bezahlen ist, um einen unserer berühmten Kompromisse zu schmieden – gerade zu siebt! Das Problem der Einigung ist allerdings die Dosierung. Sie ist zwar nicht homöopathisch, aber sicher auch kein Wendepunkt. Und es bleiben verflixt viele Herausforderungen. Wenn die Vivaldi-Koalition es schafft, die großen, anstehenden Reformen zustande zu bringen, dann verdient sie den Titel "Regierung der Reformen", den sie sich gestern selbst verliehen hat, kommentiert Le Soir.
In dieser Equipe steckt noch mehr drin
Die Erwartungen, dass sieben Parteien mit so einer ideologischen Spannweite sich auf einen guten Deal einigen würden, waren gering, hält Het Laatste Nieuws fest. Deswegen ist es auch leicht, über die so tief gelegte Latte zu springen. Inhaltlich erweist sich die Regierung De Croo als eine sehr klassische belgische Regierung. Darüber sollte man aber nicht vergessen, dass die aktuellen Herausforderungen nicht nur sozial-ökonomischer Natur sind, sondern auch demokratischer. Das Vertrauen der Menschen in die Politik zurückzugewinnen ist essenziell. L'union fait la force, Einigkeit macht stark, hat der Premier gestern in der Kammer gesagt. Die "force" darf nicht zur Farce werden, in dieser Equipe steckt noch mehr drin, appelliert Het Laatste Nieuws.
Premier De Croo hat in seiner Regierungserklärung viel angekündigt, aber eine echte, große Reform war auch dieses Mal wieder nicht dabei, kritisiert De Morgen. Die Verantwortung für diese Unbeweglichkeit wird meist auf die Politiker geschoben. Aber die Sozialpartner, also Arbeitgeber und -nehmer, spielen dabei eine mindestens genauso wichtige Rolle. In einer Welt in Veränderung steht Belgien notgedrungen weiter still. Das ist ein Vabanquespiel, das auf Dauer nicht gut ausgehen wird, warnt De Morgen.
Die vielleicht wichtigste Feststellung: der Leim hält
De Standaard argumentiert in eine ähnliche Richtung: Vielleicht sollte man vor der Beurteilung des Haushalts doch erst einmal die Illusion ablegen, dass dieses komplizierte Land mit seiner breiten Koalition und den vielen Entscheidungsebenen überhaupt zu großen Umwälzungen in der Lage wäre. Sobald der Regierungszug einmal abgefahren ist, kommen unweigerlich die internen Spannungen an die Oberfläche und spüren die Regierungsparteien immer heißer den Atem der Opposition im Nacken. Unter solchen Bedingungen ist ein bisschen Drehen an den Knöpfen der komplexen Maschinerie des Landes schon das Höchste der Gefühle. Die wichtigste Feststellung ist vielleicht, dass der Leim zwischen den grünen, liberalen und roten Koalitionspartnern weiter zusammenhält. Anmutig war das zwar nicht, aber die Vivaldi-Koalition hat die Hürde Haushalt auf jeden Fall genommen, betont De Standaard.
Für De Tijd gehen die Pläne in eine gute Richtung. Die Regierung hat die richtigen Ambitionen: loszurütteln, was im stillstehenden Belgien schon viel zu lange festsitzt. Allerdings sind die genommenen Schritte klein und die Frage ist, ob die Koalition wirklich schaffen kann, was sie sich vorgenommen hat.
Dass am Ende wirklich eine Partitur auf den Tisch gelegt wurde, ist schon ein Verdienst an sich angesichts der vielen Köpfe der Koalition, so Het Nieuwsblad. Aber es ist sicher nicht genug, um die Pläne für das erste Nach-Corona-Jahr historisch oder einen Bruch mit der Vergangenheit zu nennen.
"Weißer Rauch mit leichter Galletönung"
Lässt man die Einigung und den Inhalt mal beiseite, wird man vor allem die Misstöne in letzter Minute in Erinnerung behalten, befürchtet L'Avenir. Diese Verwirrung am Dienstagmorgen, ob es nun eine Einigung gab oder nicht. Kabbeleien zwischen Partnern sind in Koalitionsregierungen nicht unüblich. Aber für Kohärenz, Legitimität und zumindest eine halbwegs gemeinsame Vision müssen sie überwunden werden, hält L'Avenir fest.
Der weiße Rauch, der in den Himmel über dem Brüsseler Regierungsviertel aufstieg, war leicht grün-gelblich gefärbt, findet das GrenzEcho. Es war wohl ein bisschen zu viel Galle in der einen oder anderen Äußerung der Teilnehmer an der Sieben-Parteien-Runde in die Luft geraten. Wer sich etwas intensiver angeschaut hat, wie in den letzten Wochen und Monaten Politik nicht innerhalb der Koalition, sondern über Aussagen in verschiedenen Medien gemacht wurde, muss sich eingestehen, dass De Croo mit dem Kompromiss zu früher Stund' nahezu ein Husarenstreich geglückt ist, so das GrenzEcho.
Erste Prüfung: bestanden
Man hört in Regierungskreisen öfter Kritik an der Methode De Croo, hält La Dernière Heure fest: wenig strukturiert sei die, sie ließe schwierige Dossiers sich ansammeln, um dann in letzter Minute einzugreifen und so weiter, heißt es. Aber trotz all des Hickhacks und Lärms gestern Morgen und des chaotischen Eindrucks, den die Vivaldi-Koalition geben mag, kommt man nicht umhin, eines festzustellen: Der Chef der Equipe hat es geschafft, oft gegensätzliche Standpunkte miteinander zu versöhnen. Man mag seinen Stil mögen oder nicht. Aber diese erste wirkliche Prüfung als Premier jenseits der Corona-Krise war für De Croo ein Erfolg, konstatiert La Dernière Heure.
Die Einigung kam zu schwierig zustande und der Zoff gerade auf der frankophonen Seite der Koalition war zu laut, als dass der Premier gestern triumphierend vor die Kammer hätte ziehen können, schreibt Gazet van Antwerpen. Die Frage ist jetzt auch, ob De Croo es seinem Vorgänger Michel nachmachen wird in puncto immer weiter zunehmender Spannungen im Regierungsteam. Das wäre wirklich schade, denn die gestrige Einigung reiht sich sicher ein in die bessere belgische Tradition der komplexen Kompromisse, die dennoch gerade genug Fortschritt und Inspirationsfunken bieten, urteilt Gazet van Antwerpen.
Boris Schmidt