"Unvergesslich!", titelt Het Nieuwsblad. Das GrenzEcho spricht von einem "Radsport-Tollhaus". "Ein unvergessliches Fest", schreibt auch Het Belang van Limburg, "aber es endet mit einer Enttäuschung", fügt das Blatt hinzu.
Viele Zeitungen blicken zunächst noch einmal zurück auf die gestrige Rad-WM im eigenen Land. Der Parcours führte quer durch Flandern; vier flämische Städte hatten das Ereignis ausgerichtet. Rund 300.000 Fans waren gekommen, um vor allem die Belgier anzufeuern. Allerdings: Am Ende hat's kein Belgier auf das Siegerpodest geschafft. Mitfavorit Wout Van Aert reichten die Kräfte nicht. Und Jasper Stuyven musste sich in seiner Heimatstadt mit dem vierten Platz begnügen.
"Euphorie und Enttäuschung", so denn auch das Fazit von Gazet van Antwerpen. Gewonnen hat am Ende der Franzose Julian Alaphilippe. Der konnte also seinen Weltmeistertitel und damit das Regenbogentrikot erfolgreich verteidigen. "Bravo Alaphilippe", schreibt anerkennend Het Laatste Nieuws. "Julian Alaphilippe war stärker als Belgien", so formuliert es L'Avenir. La Libre Belgique spricht ihrerseits von einem "Fiasko" für die belgische Mannschaft.
Rad-WM als Befreiungsfest
Und doch war das Ganze ein voller Erfolg, ist Het Belang van Limburg überzeugt. Die WM, das war DAS Hochamt, auf das sich das radsportverrückte Flandern so lange gefreut hatte. Hunderttausende Fans machten aus dem Ereignis ein wirkliches Volksfest. Klar: Das Ganze hatte seinen Preis: 21,3 Millionen Euro, um genau zu sein. Die Flämische Regierung, die vier Gastgeberstädte und die Provinz Flämisch-Brabant legten einen Großteil des Geldes auf den Tisch. Aber das ist eine lohnende Investition.
Zunächst aus wirtschaftlicher Sicht: So ungefähr alle diesbezüglichen Studien beweisen, dass große Sportereignisse unterm Strich mehr einspielen, als sie kosten. Flandern hat für einen Tag im internationalen Schaufenster gestanden. Das Ganze hat aber auch einen gesellschaftlichen Mehrwert. Nach 18 Monaten Corona-Elend haben hunderttausende Radsportfans diese WM als einzigartiges Befreiungs- und Verbrüderungsfest empfunden. Dass am Ende ein Franzose gewonnen hat, naja, das war dann letztlich auch fast egal...
"Le nouveau Kabbelkabinett"
Und doch hat das dem belgischen Patriotismus wieder einen empfindlichen Dämpfer verpasst, glaubt Gazet van Antwerpen. Wie zuvor auch schon die Fußball-WM und auch die Olympischen Spiele. Wout Van Aert war DER Held der Nation. Mit jedem Tag, den die WM näher rückte, wuchs die nationale Einheit. Bei Sportwettkämpfen gilt das immer noch. Demgegenüber wird in der Politik sehr wohl ein Unterschied gemacht zwischen Flamen, Wallonen und Brüsselern.
Und im Lichte der Haushaltsverhandlungen schmilzt auch die Einigkeit innerhalb der föderalen Regierung: Knatsch zwischen Flamen und Frankophonen, zwischen Liberalen und Sozialisten. Das neue politische Jahr beginnt in einer äußerst angespannten politischen Atmosphäre. Und am Ende ist das Resultat vielleicht genau das gleiche wie bei der Rad-WM: Der Gewinner wird nicht Belgien sein...
"Wir sehen hier 'Le nouveau Kabbelkabinett'", meint auch De Morgen. Vivaldi scheint jetzt endgültig dort angekommen zu sein, wo die schwedische Koalition unter Charles Michel auch schon war. Von dem versprochenen Burgfrieden, der für die Dauer der Legislaturperiode ausgerufen worden war, ist nicht mehr viel zu sehen. Die Koalitionspartner schlagen sich wieder die Köpfe ein, sind im permanenten Wahlkampfmodus.
Man hat die Lektionen der Vorgängerequipe also nicht gelernt, deren wichtigste lautet: In einem solchen Klima sind auf Dauer keine tiefgreifenden Reformen mehr möglich. Weil das wachsende Misstrauen am Ende jeglichen Kompromiss unerreichbar macht. Wenn Parteipräsidenten gleich jeden Vorschlag eines Kollegen demonstrativ in der Luft zerreißen, dann ist das ein regelrechter Anschlag auf die Zukunft dieses Landes!
Schwieriges Wahlergebnis; Tauziehen um die Kanzlerschaft
Zweites großes Thema, das ist natürlich die Bundestagswahl in Deutschland. "Historische Niederlage für die deutschen Christdemokraten", titelt De Standaard. "Aber Armin Laschet will doch Kanzler werden", fügt das Blatt hinzu. "Das Ende der Ära Merkel wird überschattet von einer historischen Niederlage ihrer Partei", schreibt La Libre Belgique.
Die linksliberale Zeitung De Morgen betrachtet ihrerseits das Ergebnis aus Sicht der SPD: "Deutschland rückt nach links", schreibt das Blatt. Das GrenzEcho packt in seine Schlagzeile schon einen Teil der Analyse: "Deutschland wählt ein Dreierbündnis", schreibt das Blatt. Denn erst mal gibt es eigentlich - rein politisch gesehen - nur zwei Möglichkeiten: eine Ampel um die SPD oder eine Jamaika-Koalition um die CDU-CSU. Offen ist natürlich immer noch, wer am Ende neuer Bundeskanzler wird. Le Soir spricht von einem "Tauziehen um die Nachfolge von Angela Merkel".
Ganz klar ist, dass die Wähler in Deutschland die politische Mitte gestärkt haben, analysiert das GrenzEcho. Klar ist allerdings auch, dass FDP und Grüne die Kanzlermacher sind: An ihnen führt kein Weg ins Kanzleramt vorbei. Es wird also in den kommenden Tagen darauf ankommen, wer von Olaf Scholz und Armin Laschet den beiden unumgänglichen Partnern das bessere Angebot macht.
Und genau darin liegt die Chance dieses auf den ersten Blick sicher nicht einfachen Wahlergebnisses. Nämlich, dass aus diesen Gesprächen ein Zukunftsprojekt entsteht, das die Lethargie überwinden hilft, die sich in der größten Volkswirtschaft unter einer sichtlich müden Angela Merkel breitgemacht hatte.
"Der 'Neue' muss besser als Merkel sein"
Deutschland erwartet schwierige Koalitionsverhandlungen, glaubt De Standaard. Nicht nur, weil die Grünen und die FDP als Königsmacher ihren Preis verlangen werden, sondern auch, weil das Land vor gigantischen Herausforderungen steht. Die Infrastruktur muss erneuert, die Digitalisierung muss vorangetrieben werden. Nicht zu vergessen die Energiewende. So sehr man den besonnenen und überlegten Stil der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel auch geschätzt hat, ihr Nachfolger muss eigentlich noch besser sein als sie.
Denn er muss nicht nur das Land und auch die EU durch stürmische Gewässer führen, sondern auch die Akten anpacken, die Merkel liegengelassen hat. Denn hier liegt ihr großer Makel: Mit ihren unbestrittenen politischen Qualitäten hat Mutti zwar viele Probleme gelöst. Fragen, die ihr zu heikel erschienen, hat sie aber geräuschlos auf die lange Bank geschoben und ihren Nachfolgern bzw. den zukünftigen Generationen überlassen...
Roger Pint