"Covid-Safe-Ticket: Ausweitung der Maßnahme – Brüssel bereitet sich vor", titelt das GrenzEcho. "Die Ausweitung des Gesundheitspasses spaltet schon die Brüsseler Regierung", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Sechs von zehn Geimpften sind für den Corona-Pass im Horeca-Sektor", blickt auch Le Soir auf die Situation in der Region Brüssel-Hauptstadt.
De Standaard erklärt in seinem Leitartikel, was diese Ausweitung bedeutet: Ab 16 Jahren braucht man den Coronapass für den Horeca-, den Kultur- und auch den Freizeit-Sektor. In Krankenhäusern und Pflegeheimen soll das Zertifikat schon ab einem Alter von zwölf Jahren verlangt werden. Die Politiker sind gerade dabei, fieberhaft an den entsprechenden Gesetzestexten zu arbeiten. Die Debatte darüber ist emotional aufgeladen, schnell werden Anschuldigungen laut über eine angebliche Passierschein-Gesellschaft und Verletzungen der Privatsphäre. Beschwerden, die sich nicht immer mit der Wirklichkeit decken.
Das Covid-Safe-Ticket hat im Prinzip zwei Ziele: Erstens das gesellschaftliche Leben schnell wieder zu öffnen und die Ausbreitung des Virus‘ zu bremsen. Zweitens, wenn auch indirekt, den Impfgrad nach oben zu treiben. Ob der Coronapass die Lösung ist, bleibt zweifelhaft. Vielleicht wäre eine direkte Impfpflicht effizienter. Aber das wäre so einschneidend, dass die Diskussionen darüber noch delikater würden. So oder so sollte das Covid-Safe-Ticket aber nur eine temporäre Maßnahme bleiben, fordert De Standaard.
Das kleinere Übel
Für La Libre Belgique repräsentiert die aktuelle Situation in Brüssel ein Scheitern: aus gesundheitlicher, politischer, kultureller, pädagogischer und auch sozialer Sicht. Die Anstrengungen der letzten Wochen und der Wille, etwas gegen die miserablen Impfzahlen zu tun, waren zwar lobenswert, sind aber viel zu spät gekommen für den Wiederbeginn nach den Sommerferien. Die Politik hat sich überholen lassen von den steigenden Ansteckungen, Krankenhausaufnahmen und sogar Todesfällen. Dabei war das doch vorhersehbar.
Jetzt stehen die Verantwortlichen mit dem Rücken zur Wand und müssen improvisieren. Die Einführung des Covid-Safe-Tickets wird soziale und wirtschaftliche Konsequenzen haben, gerade auch für den Horeca-Sektor. Nichtsdestotrotz ist es zweifelsohne das kleinere Übel, um einen neuen Lockdown zu verhindern, ist La Libre Belgique überzeugt.
Selektiv und gezielt
Gazet van Antwerpen fasst den Fokus weiter und bezieht die Debatte über das Freihalten von Krankenhausbetten für Covid-Patienten mit ein: Eine kürzliche Radio-Umfrage hat gezeigt, wie sauer manche Menschen schon sind. Manche meinen, dass Ungeimpfte ihre Krankenhauskosten selbst bezahlen sollen. Andere lehnen die prioritäre Behandlung ungeimpfter Covid-Patienten auf Kosten regulärer geimpfter Patienten komplett ab.
Das jüngste Motivationsbarometer zeigt aber, dass der Belgier im Durchschnitt etwas gemäßigter ist. Wir sind zwar mehrheitlich für den Coronapass, aber er soll selektiv und gezielt sein. Die Ungeimpften sagen dafür, dass sie sich vom Coronapass unter Druck gesetzt fühlen und verlangen Geduld. Es ist schon seltsam, wie viele Menschen die Corona-Impfung als so außergewöhnlich und invasiv betrachten. Dabei finden wir es doch total normal, dass Eltern verpflichtet sind, ihre Kinder gegen Polio impfen zu lassen. Oder fordern hier etwa auch Menschen, dass man "der Natur ihren Gang" lassen sollte?, fragt Gazet van Antwerpen.
Die Show des Salah Abdeslam
Das zweite große Thema in den Leitartikeln ist der Prozess um die Terroranschläge in Paris, genauer gesagt der Auftritt von Salah Abdeslam. Es war der zweite Tag des Prozesses, der zweite Tag mit religiösen und rachsüchtigen Tiraden von Salah Abdeslam, hält L'Avenir fest. In diesen zwei Anhörungen scheint Abdeslam mehr geredet zu haben als in all den Jahren, die er schon im Gefängnis verbracht hat. Er scheint sich inzwischen als eine Art Anführer der Angeklagten zu betrachten, die tatsächlich physisch vor Gericht stehen. Und er hat sich entschieden, eine Show abzuziehen.
Die Medien sollten vorsichtig sein, wie sehr sie sich zum Sprachrohr seiner zusammenhanglosen Slogans machen lassen. Zur Debatte tragen seine Ausfälle nämlich nicht bei. Dafür dienen sie Abdeslam in gleich doppelter Weise: Zum einen füttern sie seinen Egozentrismus, zum anderen besteht die Gefahr, dass sie die Dschihadisten-Szene anstacheln, warnt L'Avenir.
Es war absehbar, dass Abdeslam oder einer der anderen Angeklagten den Prozess zur Bühne machen würden, seufzt Le Soir. Mit seinen Schmähungen ermordet Abdeslam die Opfer ein zweites Mal. Die Opfer, die nur deswegen sterben mussten, weil sie die Freiheiten genossen haben, die unsere westlichen Gesellschaften erlauben. Es sind aber genau die Werte unserer Gesellschaften, die auch bedeuten, dass Abdeslam die gleichen Rechte bei seiner Verteidigung zugebilligt werden müssen, wie allen anderen Menschen. Ihm das Wort zu verbieten, wäre eine Bankrotterklärung unseres Systems, findet Le Soir.
Dieser kleine Ganove aus Molenbeek hat sich in den letzten sechs Jahren nicht verändert, kommentiert La Dernière Heure. Er hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er nicht das Geringste zur Aufklärung der Ermordung von 130 Menschen beitragen wird. Ihm hat eindeutig der Mut gefehlt, um sich damals in die Luft zu sprengen. Jetzt hat er die Chance zu zeigen, dass noch ein Rest von Menschlichkeit in ihm steckt. Dafür bräuchte es Mut, auch den Angehörigen gegenüber. Leider legen die letzten zwei Tage nahe, dass Abdeslam sich lieber weiter hinter islamistischen Diskursen verstecken wird, bedauert La Dernière Heure.
Boris Schmidt