"Mit Corona-Pass in den Festival-Sommer gestartet", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Crowdsurfen und Headbangen im Reich der Freiheit", so die Überschrift bei De Standaard. "Endlich wieder große Festivals – 11.000 Metalheads, null Mundschutzmasken", resümiert Gazet van Antwerpen den ersten Tag des Hardrock- und Metal-Festivals "Alcatraz" in Kortrijk. Das hat am Freitag den Auftakt gemacht als erstes Riesen-Event, das das sogenannte "Covid-Safe-Ticket" nutzt.
De Standaard findet den Anblick Tausender Menschen, die ohne Masken und ausgelassen zusammen feiern, tanzen, singen, trinken und crowdsurfen noch sehr ungewohnt. Und es bleibt ein Glücksspiel, erinnert die Zeitung. Die Fußballfans und die Festivalgänger gehen bewusst ein Risiko ein. Aber es sind wir alle, die die Folgen werden tragen müssen. Diese Veranstaltungen sind ein Test der Impfstoff-Schutzmauer. Wir werden bald herausfinden, ob wir das organisatorisch besser hinbekommen haben als die Niederlande und Spanien. Und wir werden herausfinden, wie groß der Einfluss der Deltavariante sein wird. Es besteht kein Zweifel daran, dass Menschen erkranken werden. Die entscheidenden Fragen sind: wie viele und wie schwer. Wir bekommen also Gelegenheit, darüber zu diskutieren, wie viele Tote und Kranke uns ein dauerhaft freieres Leben wert ist. Aber eines ist auch klar: Dauerhafte Strenge ist keine Lösung. Es ist besser, uns darin zu üben, wie wir mit den Folgen der Risiken umgehen werden. Risiken, die wir eingehen müssen, auch wenn wir sie nicht abschätzen können, meint De Standaard.
Eine schwer zu vermittelnde Logik
Het Nieuwsblad blickt in seinem Kommentar auf die Empfehlungen der Expertengruppe GEMS, die die politisch Verantwortlichen in puncto Corona-Krisenmanagement berät. In deren Übergangsplan wird gefordert, verschiedene Schutzmaßregeln bis zum Winter beizubehalten. Etwa die Maskenpflicht bei der Arbeit, teilweise im Unterricht und im Horeca-Sektor. Das ist eine schwer zu vermittelnde Logik, stellt die Zeitung fest, gerade angesichts der maskenfreien vollen Festivalwiesen und Fußballstadien - und insbesondere gegenüber bereits vollständig Geimpften. Die Menschen werden sich übers Ohr gehauen fühlen, weil sie dachten, dass die Impfung das Ticket in das Reich der Freiheit wäre. Wirklich berechtigt ist ihr Ärger über eine Beibehaltung der Masken aber nicht. Ein Mund-Nasen-Schutz ist eine kleine Unannehmlichkeit, der ein großer symbolischer Wert zugemessen worden ist. Der überschattet jetzt all das, was wir wieder dürfen. Der spektakuläre Fortschritt, den wir bereits erreicht haben, wird viel zu wenig hervorgehoben, ärgert sich Het Nieuwsblad.
Die Maskenempfehlung der GEMS für die Schulen greift auch La Dernière Heure auf: Warum sollen den Kindern Beschränkungen auferlegt werden, die denen des vergangenen Schuljahres ähneln, obwohl die epidemiologische Lage mittlerweile eine ganz andere ist? Immer wieder wird gesagt, dass es bei den Unter-Zwölfjährigen kaum Risiken gibt. Deswegen sollte ihnen auch eine echte Rückkehr zu einem normalen Leben ermöglicht werden. Es muss auch Schluss sein damit, ganze Klassen in Quarantäne zu schicken, lassen wir die Kinder doch bitte auch ihr Schulleben genießen. Im Prinzip müssten zum Schuljahresbeginn alle Lehrer geimpft sein. Falls das nicht der Fall sein sollte, dann sollten dafür nicht die Kinder bestraft werden. Stattdessen sollten sich die politisch Verantwortlichen lieber über eine Impfpflicht für Lehrer beugen, fordert La Dernière Heure.
Kollektives Trauma
L'Avenir befasst sich in seinem Leitartikel mit der Affäre Dutroux: Dieser absolute Horror, die Ereignisse und Bilder, die sich ins Gedächtnis eingebrannt haben, diese unfassbare menschliche Perversion, die da in Form von Marc Dutroux und seinen Taten enthüllt wurde – sie haben seine Opfer und ihre Angehörigen zutiefst traumatisiert. Aber nicht nur sie: 25 Jahre liegen die schrecklichen Ereignisse nun zurück, aber viele Belgier erinnern sich daran, als ob es gestern gewesen wäre. Aber auch die jüngeren Menschen, die damals noch nicht selbst dabei waren, sind auf ihre Weise gezeichnet von dem kollektiven Trauma dieser so schmerzhaften Episode der belgischen Geschichte, so L'Avenir.
Ein schmerzhaftes Scheitern
Die Entwicklungen in Afghanistan kommentiert La Libre Belgique: 20 Jahre nach den Anschlägen vom 11. September erleben wir wie erstarrt mit, wie Afghanistan nach dem Abzug der internationalen Truppen in Chaos, Gewalt und Dunkelheit versinkt. Mehr als eine Billion Dollar haben allein die Vereinigten Staaten ausgegeben, 20 Jahre Militäreinsätze, Bombardierungen, Attentate, Kämpfe, Tote, Angst. Den Afghanen droht nun unter den Taliban wieder die radikalmöglichste Scharia, die Frauen werden hinter Burkas verschwinden, Mädchen nicht mehr zur Schule dürfen, Homosexuelle werden Verfolgung und Folter erleiden, Gebetsrufe werden populäre Lieder ersetzen und das Internet wird wenig mehr als eine ferne Erinnerung sein. Jenseits der Grenzen des Landes wird man neue Flüchtlingswellen sehen und gegen den Drogenhandel und Anschläge von Terroristen aus Afghanistan kämpfen müssen. Was für eine dramatische Rückkehr zur Ausgangslage von vor 20 Jahren, beklagt La Libre Belgique.
Rette sich wer kann, fasst L'Echo die angekündigte Evakuierung der amerikanischen und britischen Botschaften in Kabul zusammen. Werden wir hier wieder Bilder wie 1975 sehen? Hubschrauber, die überstürzt und schwer beladen mit Flüchtlingen vom Dach der US-Botschaft abheben? Bilder, die als symbolisch für den Fall Saigons und die Niederlage der Vereinigten Staaten im Vietnamkrieg in die Geschichte eingegangen sind. Trotz all der finanziellen und personellen Anstrengungen zeugt Afghanistan vom schmerzhaften Scheitern der NATO, der Vereinigten Staaten und auch Belgiens, denen es nicht gelungen ist, die Region zu stabilisieren. Das wird die Sicherheits- und Bedrohungslage für den Westen verändern. Aber auch die menschlichen Konsequenzen werden bereits sichtbar: Die drohende totale Machtübernahme der Taliban könnte Abertausende Afghanen zur Flucht treiben. Das wird den Druck auf die europäischen Grenzen erhöhen und Ängste vor einer Wiederholung der Flüchtlingskrise von 2015 weiter schüren, prophezeit L'Echo.
Boris Schmidt
Die Blamage in Afghanistan sollte die Nato daran erinnern, dass sie ein Verteidigungsbündnis ist und kein Offensivbündnis. Gleiches gilt für Osteuropa. Was hat die Nato in der Ukraine verloren ? Gar nichts.
Mit dem Geld, was man in Afghanistan verschwendet hat, hätte man die europäischen Armeen modernisieren können.