"Am Sonntag gibt's ein Duell zwischen Ronaldo und Lukaku", titelt L'Avenir. "Jetzt bitte gerne einen KO-Sieg über Ronaldo", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "Bis Sonntag, Ronaldo!", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Seit gestern Abend ist der Achtelfinalgegner der Roten Teufel bekannt: "Am Ende eines verrückten Abends sind es die Portugiesen geworden", schreibt La Dernière Heure. Denn es war wohl der bisher spannendste Spieltag der EM.
Die Zeitungen beschäftigen sich aber auch mit dem, was quasi neben dem Platz stattgefunden hat. "Die Fans hatten den Regenbogen selbst mit zur Allianz-Arena gebracht", titelt Gazet van Antwerpen. In München durfte das Stadion nicht in den Regenbogen-Farben angeleuchtet werden. Die UEFA hatte das verboten. Dafür wurde der Europäische Fußballverband von allen Seiten kritisiert. Hintergrund ist ja die Tatsache, dass in Ungarn ein neues Gesetz verabschiedet wurde, das Homosexuelle offen diskriminiert. "Nach ihrem Faux-Pas versucht die UEFA, den Schaden zu begrenzen", schreibt De Tijd auf Seite eins. "Fußball wird zum Kulturkampf", notiert De Morgen. Das Ganze wird wohl auch den EU-Gipfel überschatten, der heute und morgen in Brüssel stattfindet. "Europa und Ungarn zerfetzen sich über die Rechte von Homosexuellen", schreibt L'Echo auf Seite eins. De Standaard drückt es anders aus: "Orban spielt weiter sein Spiel mit der EU".
Treffen, wo es wehtut – im Portemonnaie
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban höhlt die Demokratie und den Rechtsstaat immer weiter aus, beklagt Het Laatste Nieuws. In Ungarn bleibt ohnehin schon nicht mehr viel davon übrig. Jetzt darf also in der Praxis nicht mehr über Homosexualität gesprochen werden. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes Zensur. Komisch: Die Fans von Viktor Orban, allen voran der rechtsextreme Vlaams Belang, berufen sich doch ständig auf die Meinungsfreiheit. Wie passt das denn zu dem neuen ungarischen Gesetz? Die EU ist bei alledem dazu verdammt, machtlos zuzuschauen. Im Augenblick ist es so gut wie unmöglich, Orban da zu treffen, wo es wehtut: In seinem Portemonnaie. Die EU ist mal wieder in der Rolle des zahnlosen Tigers, muss sich dem Kompromiss von 27 EU-Ländern beugen. Das Ganze dürfte Viktor Orban derzeit wohl nicht den Schlaf rauben.
Mit der wichtigsten Nebensache der Welt verhaspelt
"Die UEFA kann den Kopf nicht mehr in den Sand stecken", meint Gazet van Antwerpen. Kann eine mächtige Organisation wie der Europäische Fußballbund unpolitisch bleiben? Nein! Das hat der gestrige Tag gezeigt. Die Empörung über das neue ungarische Gesetz ist groß. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprach, alle Macht der Kommission zu gebrauchen, um dafür zu sorgen, dass die Rechte aller EU-Bürger garantiert werden, wo sie auch wohnen mögen. Doch welche Macht hat die EU eigentlich? Man könnte Artikel 7 geltend machen und Ungarn das Stimmrecht im EU-Ministerrat entziehen. Diese Prozedur wäre aber viel zu kompliziert und langwierig. Europa könnte auch Budapest den Geldhahn zudrehen. Das allerdings ist auch leichter gesagt als getan. Der Fußball hingegen kann Dinge bewegen, er kann Millionen von Menschen für die Rechte der LGTBQ-Gemeinschaft sensibilisieren. Die UEFA sollte diese Gelegenheit beim Schopf packen!
"König Fußball schafft das, was den mächtigsten Europäern nicht gelingen will: Den ungarischen Ministerpräsidenten mit dem Rücken zur Wand zu stellen", ist sogar Het Belang van Limburg überzeugt. Viktor Orban lebt von dem Dauerkonflikt mit Brüssel. Nur hat er sich mit seinen Provokationen jetzt verhaspelt mit der wichtigsten Nebensache der Welt.
Sport transportiert auch demokratische Werte
In vielen europäischen Ländern wurden die Stadien mit den Regenbogenfarben angeleuchtet. Neben Orban steht aber auch die UEFA unter Beschuss. Indem sie angeblich keine Politik machen wollte, machte sie das durchaus. Sie stand nur an der falschen, der dummen Seite der Geschichte.
Allein das GrenzEcho scheint das anders zu sehen. Ist es mit den Grundsätzen der Gastfreundschaft zu vereinbaren, wenn man seinen Gast – im vorliegenden Fall – mit Regenbogenfahnen empfängt? Sportereignisse wie die EM werden doch eigentlich immer als Feste der Völkerverständigung inszeniert. In München sollte der Regenbogen hauptsächlich für eine Botschaft an Viktor Orban genutzt werden. Man sollte den Dialog und Lösungen suchen statt Brandbomben zu werfen.
"Soll die Welt denn schweigen, wenn die ungarische Regierung systematisch die europäischen Werte mit Füßen tritt?", fragt sich demgegenüber La Libre Belgique. Soll man den Kopf in den Rasen stecken? Die totalitären Entgleisungen eines EU-Mitgliedstaates ignorieren? Tatenlos zusehen, wie die Verantwortlichen in Ungarn den Rechtsstaat abbrechen? Sport mag keine politische Aktivität sein, aber er ist Träger der demokratischen Werte: Toleranz, Mut, Aufrichtigkeit.
Respekt vor den Sportlern, die sich gegen Diskriminierung stellen
Die UEFA hat mal wieder das Geld den Werten vorgezogen, kann La Dernière Heure nur feststellen. "Die UEFA macht keine Politik". Ach so? Warum versteckt sie sich denn hinter Werbespots, in denen dem Rassismus der Kampf angesagt wird, verurteilt aber nicht die Pfiffe im Stadion, wenn Mannschaften aus Protest gegen Diskriminierung niederknieen? Aber, man will es sich wohl nicht mit mächtigen Geldgebern verscherzen. Jedenfalls war man nicht so zurückhaltend, als es darum ging, Spieler anzuprangern, die die Flaschen eines Hauptsponsors aus dem Blickfeld der Kameras entfernt hatten.
Le Soir hat höchsten Respekt vor all den Sportlern, die sich gegen jede Form von Diskriminierung stellen. All diese Leute, die eine Regenbogenbinde am Arm tragen, die auf dem Platz niederknien, sind soviel mutiger als ihre Verbände. Das erinnert an Tommie Smith und John Carlos, jene beiden amerikanischen Leichtathleten, die 1968 bei den Olympischen Spielen die Faust hoben, als Zeichen des Protests gegen die Rassendiskriminierung in ihrer Heimat. Und all die anderen, die es gewagt haben, mutig ihre Werte zu verteidigen.
Roger Pint