"Gesucht: tot oder lebendig", titelt Het Belang van Limburg. "Historische Jagd", so die Schlagzeile von La Dernière Heure. "Krieg im Naturpark", so formuliert es Het Laatste Nieuws.
Nach wie vor richten sich alle Augen auf den Nationalpark Hoge Kempen im Osten der Provinz Limburg. Dort suchen mindestens 400 Polizisten und Elitesoldaten weiter nach Jürgen Conings. "Beispiellose Menschenjagd auf einen flüchtigen Soldaten", schreibt denn auch Gazet van Antwerpen auf Seite eins. Der 46-jährige Berufssoldat hatte mehrere besorgniserregende Abschiedsbriefe hinterlassen, in denen er unter anderem von einem möglichen Anschlag spricht. Der Mann stand bereits seit Mitte vergangenen Jahres auf der Gefährder-Liste des Anti-Terror-Stabs OCAM.
Liegt es am Personalmangel bei der Armee?
Die Frage aller Fragen lautet denn auch: Wie kann es sein, dass ein Soldat, der als potenziell gefährlicher Extremist eingestuft wurde, immer noch Zugang zu Waffen und Munition hatte? "Auf der höchsten Bedrohungsstufe, und doch schrillten die Alarmglocken so gut wie nicht", kann auch De Standaard nur feststellen. Auf Seite eins von La Libre Belgique rechtfertigt sich der Armee-Chef: "Die Qualität des Screenings der Soldaten wird eingeschränkt durch den Personalmangel", sagt Generalstabschef Michel Hofman....
"Wie ist es möglich?", diese konsternierte Frage stellen sich heute auch viele Leitartikler. "Wie kann es sein, dass ein Soldat, der auf der Gefährder-Liste steht, noch Zugang zu schweren Waffen hat?", wettert etwa Het Nieuwsblad. Diese Frage gilt es zu aller Erst zu beantworten. Aber das alleine wird nicht reichen. Man darf sich nicht damit begnügen zu ermitteln, was genau wo schiefgelaufen ist. Nein! Hier wird auch jemand Verantwortung übernehmen müssen.
Im Moment wird allerdings noch die heiße Kartoffel fleißig herumgereicht. Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder hatte den Ball ja gestern im Parlament gleich ins Lager der Armee gespielt. Dort spricht man bislang lediglich von einem "unglücklichen Vorfall". Das klingt doch sehr hohl, wenn man sich das enorme Aufgebot anschaut, das inzwischen in und um den Nationalpark in Stellung gebracht wurde. Belgien steht in dieser Geschichte mal wieder in der Unterhose da. Da bedarf es eines deutlichen Signals, um der Welt klarzumachen, dass wir hier diese total bekloppte Situation auch nicht normal finden.
Schrauben bei der Armee müssen angezogen werden!
Das GrenzEcho sieht in dem Fall Jurgen Conings ein weiteres Indiz für ein allgemeines Staatsversagen. Die Liste der Pleiten, Pech und Pannen ist lang, man denke nur an die Skandale der letzten Jahrzehnte. Wenn zu den offensichtlichen Defiziten dann aber noch ein deplatziertes Ignorieren oder Wegsehen hinzukommen, dann entsteht eine brandgefährliche Mischung, die ein energisches Eingreifen der Politik erforderlich macht. Die Irrungen und Wirrungen in der Coronakrise haben aber auch nicht gerade dazu beigetragen, dass man der Föderalregierung diese Rolle noch zutraut.
Bei der Armee wird man jetzt die Schrauben anziehen müssen, glaubt seinerseits De Standaard. Ein Mann, der auf der OCAM-Liste der potenziell gefährlichen Extremisten steht, dieser Mann wurde innerhalb der Streitkräfte nie wirklich behelligt. Gut, das mag auch mit den Sparmaßnahmen der letzten Jahre zusammenhängen. Dem Militärgeheimdienst SGRS fehlt es an personellen und materiellen Mitteln, um die Soldaten und Rekruten wirklich auf ihre Gesinnung abklopfen zu können. Geld alleine wird die Probleme aber auch nicht lösen.
Davon abgesehen ist es schwierig, innerhalb der Truppe die Spreu vom Weizen zu trennen. Man kann nun mal nicht in die Köpfe hineinschauen. Wenn aber ein Soldat in Sozialen Netzwerken rassistisches oder extremistisches Gedankengut verbreitet, dann darf es kein Vertun geben: Dann darf über einen Rausschmiss nicht mal mehr diskutiert werden...
Auch De Tijd beschäftigt sich mit den Problemen, die sich im Zusammenhang mit dem Screening der Soldaten stellen. Das läuft nämlich schnell auf die Frage hinaus, wie frei die Gedanken und Meinungen am Ende wirklich sind. Für die "normalen" Bürger ist es eigentlich einfach: Jede Meinung, und sei sie auch noch so verwerflich, muss geäußert werden können. Im Arbeitsleben wird das aber schon komplexer. Da kann der Arbeitgeber mit darüber bestimmen, welche Normen und Werte zu respektieren sind.
Ganz anders sieht es aber aus, wenn man von den Sicherheitsbehörden spricht. Ihre Aufgabe ist es, die Bürger zu schützen, und deswegen verfügen sie auch über das Gewaltmonopol. Genau aus diesem Grund müssen die Mitarbeiter und Anwärter bei diesen Diensten besonders genau unter die Lupe genommen werden; denn hier gibt es keinen Platz für Extremisten gleich welcher Couleur. Deswegen muss der Fall Jurgen Conings denn auch akribisch aufgearbeitet werden. Die ebenso einfache wie unbequeme Frage lautet: Wo hat das System versagt, wenn so ein Mann Zugang zu schweren Waffen bekommen konnte?
Rechtsextreme Gefahr wurde in den letzten Jahren unterschätzt
Im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus darf es keine Kompromisse geben, meint auch De Morgen. Es war sonnenklar, was für ein Profil Jurgen Conings hatte. Seine Verbindungen zu verurteilten Rechtsextremisten, sein Verhalten und seine Aussagen im öffentlichen Raum ließen eigentlich keinen Zweifel zu. Hier zeigen sich klassische Radikalisierungsmuster, wie man sie auch von Dschihadisten kennt. Aber offensichtlich wurde die Gefahr, die von Rechtsextremisten ausgeht, in den letzten Jahren klar unterschätzt. Auch bei der Armee, wo man vielleicht glaubt, dass ein "Waffenbruder" nicht so gefährlich sein kann. Der Kampf gegen Extremismus muss aber entschlossen geführt werden. Idealerweise bevor es zu Gewalt kommt...
"Wird Rechtsextremismus in Belgien unterschätzt?", fragt sich auch Het Belang van Limburg. Seit Jahren schon warnen Sicherheitsexperten vor der wachsenden Gefahr, die von Rechtsextremisten ausgeht. Das gilt zwar in der gesamten westlichen Welt. Doch stellt sich in Belgien die Frage, ob die Sicherheitsdienste nicht in den letzten Jahren allzu exklusiv den Fokus auf Dschihadisten gelegt haben.
Davon abgesehen ist dieser Fall aber auch ein Indiz mehr für die seit Jahren zunehmende Polarisierung der Gesellschaft. Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen haben nicht zuletzt in der Coronakrise zueinandergefunden. Am Ende entstand ein Klima, in dem Gesundheitsexperten für vogelfrei erklärt wurden, in dem Todesdrohungen in Sozialen Netzwerken zur normalsten Sache der Welt wurden. Diesen Geist wieder in die Flasche zu kriegen, wird wohl eine der größten Herausforderungen für die Zukunft.
Todesdrohungen dürfen nicht zum Normalzustand werden, mahnt auch Het Laatste Nieuws. Es ist schlichtweg unfassbar, was Leute wie Marc Van Ranst sich haben anhören müssen. Klar, als Virologe muss man die Dinge aussprechen, die niemand hören will. Aber die Kritik an seiner Person ging definitiv zu weit. Jetzt musste der Virologe sogar mit seiner Familie in eine sichere Wohnung gebracht werden, weil er ja auch von Jurgen Conings ausdrücklich bedroht worden war.
All das scheint aber von Marc Van Ranst abzuperlen wie Wasser vom Gefieder einer Ente. Respekt dafür! Aber dennoch lehrt uns diese Geschichte: Wer zu Hass und Gewalt gegen Politiker und Wissenschaftler aufruft, der muss wissen, dass er damit verwirrte Menschen inspiriert. Und dann werden die Worte zu Auslösern von Taten...
Roger Pint