"Staatsfeind Nummer eins", titelt La Dernière Heure. "Bewaffnet, gefährlich, unauffindbar", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen. "Auf den Fersen eines radikalisierten Soldaten", schreibt L'Avenir auf Seite eins.
Hundertschaften von Polizei und Armee durchkämmen im Moment ein Waldgebiet in der Provinz Limburg. Sie sind auf der Suche nach Jurgen Conings, der mehrere Abschiedsbriefe hinterlassen hat. Der Mann hatte eine Reihe von Personen des öffentlichen Lebens bedroht, darunter auch den Virologen Marc Van Ranst. "350 Mann jagen einen Soldaten", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins.
Jurgen Conings: die Streitkräfte sind uns eine Erklärung schuldig
Jurgen Conings ist offenbar schwer bewaffnet. In seinem Auto, das er am Rand des Nationalsparks "Hoge Kempen" abgestellt hatte, stellten die Ermittler mehrere Raketenwerfer sicher. "Soldat mit Raketen unterwegs", schreibt denn auch das GrenzEcho. "Und er hat genug Munition für einen kleinen Krieg", schreibt Het Belang van Limburg. Jurgen Conings stand auch auf der Gefährder-Liste des Anti-Terror-Stabs OCAM. Er gilt als radikalisierter, gewaltbereiter Rechtsextremist.
Und doch war er noch bei den Streitkräften beschäftigt. Schlimmer noch: "Gerade erst hatte er eine Sonderzugangsberechtigung für Waffen erhalten", schreibt Het Nieuwsblad. "Wie konnte das passieren?", fragt sich denn auch anklagend De Morgen. "Die Streitkräfte sind uns eine Erklärung schuldig", ist auch De Standaard überzeugt.
"Man hält es kaum für möglich!", wettert auch Het Nieuwsblad. Ein Soldat, der wegen seiner rechtsextremen Gesinnung bekannt ist, borgt sich "mal eben" ein paar Kriegswaffen. Ein Mann, der so ungefähr auf allen Schwarzen Listen steht, die es in diesem Land gibt. Ein Mann, der den Stempel "gefährlich" trägt. Zwar wurde ihm wegen diverser Entgleisungen intern ein Schreibtischjob zugewiesen. Immerhin! Doch dann bekam er doch noch Zugang zur Waffenkammer.
Wenn er nicht Jurgen hieße, sondern Mohamed, wenn er nicht ein rechtsextremer Idiot, sondern ein gestörter Salafist wäre, dann hätte man ihn längst in einen Keller verbannt und ihn, ohne groß zu zögern, auf die Straße gesetzt. Viel zu spät kommt jetzt die Einsicht, dass es bei den Streitkräften keinen Platz für Extremisten geben darf. Aber muss immer erst ein absolut vorhersehbares Unglück passieren, damit endlich eingegriffen wird?
Die Panik um Jurgen Conings sorgt dafür, dass die Armee endlich längst überfällige Antworten liefern muss, analysiert De Morgen. Antworten auf eine Reihe von unbequemen Fragen. Zum Beispiel was die Verwaltung der Waffen angeht. Noch vor ein paar Monaten war die Geschichte von einem Fallschirmjäger ans Licht gekommen, der seine Waffe mit nach Hause genommen hatte, um seine Lebensgefährtin zu bedrohen.
Fragen gibt es auch, was das Screening der Armeeangehörigen angeht. Jurgen Conings ist nicht der einzige überzeugte Rechtsextremist bei den Streitkräften. Mehrere Dutzend weitere Soldaten stehen wegen mutmaßlicher Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen unter Beobachtung. Die Armee muss sich endlich entschlossen diesem Problem stellen.
Wie Marc Van Ranst werden immer mehr Berufsgruppen angefeindet
Le Soir sieht das ähnlich. Immerhin hat man die mutmaßlichen Rechtsextremisten bei der Armee auf dem Schirm. "Aber reicht das?", fragt sich die Brüsseler Zeitung. Der Fall Jurgen Conings scheint da die Antwort zu liefern. Es muss klar sein, dass es für Leute, die auf Gefährder-Listen stehen, keinen Platz im Staatsdienst geben darf. Entsprechend muss akribisch untersucht werden, warum jemand wie Jurgen Conings noch bei der Armee beschäftigt war, zumal er auch in Sozialen Netzwerken keinen Hehl aus seinen Überzeugungen gemacht hatte und sogar den Virologen Marc Van Ranst öffentlich bedroht hatte. Es reicht nicht, die rechtsextreme Gefahr innerhalb der Streitkräfte oder der Polizei zu identifizieren, man muss sie auch entschärfen.
Einige Zeitungen haben eher die Opfer im Blick. Gerade mit Marc Van Ranst trifft es den falschen, findet etwa La Dernière Heure. Sicher: Der Virologe war immer ein Mahner, jemand, der im Zweifel auf Nummer sicher gehen wollte, jemand, der sich nicht scheute, für neue, schärfere Einschränkungen zu plädieren, wenn er sie denn für nötig hielt. Mit dieser Einstellung hat er sich nicht nur Freunde gemacht. Nur muss man zugeben: Der Mann hat sich nur ganz selten geirrt. Letztlich ist es wohl Leuten wie Van Ranst zu verdanken, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist. Was er gerade erleben muss, das hat er denn auch nicht verdient.
Der Fall Jurgen Conings ist symptomatisch, und auch Marc Van Ranst steht nur stellvertretend, meint seinerseits L'Avenir. Politiker, Journalisten, Lehrer und viele andere Berufsgruppen sind in diesen Zeiten regelmäßig im Kreuzfeuer der Kritik und auch Bedrohungen ausgesetzt. In letzter Zeit waren es aber vor allem die Gesundheitsexperten, die besonders unter Druck standen, weil sie oft unangenehme Neuigkeiten zu vermelden hatten. Und der eine oder andere scheint immer noch zu glauben, dass es reicht, den Überbringer der schlechten Nachricht zur Verantwortung zu ziehen.
Kritik an Jan Jambon nach Aussagen im flämischen Privatfernsehen
Einige flämische Zeitungen beschäftigen sich ihrerseits mit dem neuerlichen Kommunikationschaos, für das diesmal der flämische Ministerpräsident Jan Jambon verantwortlich zeichnet. Der hatte erst erklärt, dass Gartenfeste mit 50 Teilnehmern nur stattfinden dürfen, wenn die Organisation von einem professionellen Catering-Unternehmen übernommen wird. Zwei Tage später korrigierte er sich in einer flämischen Talkshow; von dem Unternehmen war plötzlich keine Rede mehr.
Het Laatste Nieuws findet es nicht normal, dass solche Ankündigungen in einer Talkshow im Privatfernsehen gemacht werden. Hier geht es um fundamentale Informationen, die die Freiheiten aller Bürger in diesem Land betreffen. Und solche Informationen sollten nicht mal eben nebenbei in einer Talkshow verkündet werden.
Het Belang van Limburg findet das nicht ganz so schlimm. Der Rahmen ist nicht das Problem. Problematischer ist, dass es sich um einen Alleingang des flämischen Ministerpräsidenten gehandelt hat. Insgesamt sprechen wir hier aber von einem Kinkerlitzchen.
Das wiederum sieht De Standaard anders. Auch diese Episode wird wieder dazu beitragen, dass die Bürger ihr Vertrauen in die Politik noch ein bisschen mehr verlieren. Je weiter sich der Corona-Gletscher wieder zurückzieht, desto sichtbarer werden die Bruchlinien in unserer Gesellschaft. Jetzt, da die Corona-Maßnahmen gelockert werden, jetzt, da es um die Wiederbelebung der Wirtschaft gehen wird, gerade jetzt ist dieses Vertrauen aber nötiger denn je...
Roger Pint