"Die Gewerkschaften begraben die Lohnverhandlungen", titelt L'Echo. "Tarifverhandlungen definitiv gescheitert – Für die Arbeitgeber ist auch die Corona-Prämie vom Tisch", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Fehlgeschlagene Lohnverhandlungen setzen Regierung unter Druck", schreibt Het Nieuwsblad.
Eine Überraschung kann man das kaum nennen, kommentiert Het Nieuwsblad: Die Lohnverhandlungen für den Privatsektor zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind völlig festgefahren. Nach der sogenannten Lohnnorm, also der gesetzlich verankerten Richtschnur, dürfen die Löhne nur 0,4 Prozent stärker steigen als die Indexerhöhung. Die Gewerkschaften wollten aber zumindest für die Betriebe mehr rausschlagen, denen es in der Krise gut ergangen ist. Dass es darüber zu keiner Einigung kommen würde, war schon eine ganze Weile absehbar gewesen. Mehr noch, dieses Scheitern ist schon ein bisschen zu einer Gewohnheit geworden. Die Konzertierung zwischen den Sozialpartnern in Belgien ist schon länger sehr zäh geworden. Mit viel Gezerre und Ringen schafft man es manchmal, bei einer Art Kompromiss zu landen. Aber am Ende ist es doch oft die Regierung, die den Knoten durchhacken muss. Am besten mit einem Sack Geld oder Regelungen für das Karriereende, um das Ganze für alle verdaulicher zu machen. Sozialer Frieden wird hierzulande immer öfter erkauft anstatt über Verhandlungen erreicht, kritisiert Het Nieuwsblad.
Retten, was noch zu retten ist
Gewerkschaften und Arbeitgeber schieben sich natürlich gegenseitig die Schuld zu, stellt L'Echo fest. Eines ist aber jedenfalls seit Beginn der Verhandlungen konstant, und zwar auf beiden Seiten: die fast schon dogmatische Einstellung, bis zum Äußersten zu gehen. Woran es hingegen eindeutig und fatal gemangelt hat, das waren ausgestreckte Hände und Kompromisse. Das Scheitern der Verhandlungen kommt niemandem gelegen. Die Arbeitnehmer bekommen nur 0,4 Prozent mehr Lohn, selbst in den gut laufenden Betrieben. Die Arbeitgeber können sich für die kommenden zwei Jahre auf sozialen Unfrieden einstellen. Eine höchst unangenehme Situation für ein Land, das gerade die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg durchlebt. Die Institution der sogenannten Zehnergruppe aus Vertretern der Gewerkschaften und Arbeitgebern galt ohnehin schon als dem Tode nah. Diese gescheiterten Verhandlungen sind da ein neuer harter Schlag. Und die Regierung hält plötzlich wieder ein potenziell explosives Päckchen in den Händen. Es gibt also nur Verlierer. Die Beteiligten sollten jetzt versuchen, noch zu retten, was zu retten ist. Und nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen, fordert L'Echo.
Für Le Soir hat bei den Lohnverhandlungen vor allem ein Element gefehlt: Vertrauen. Vertrauen der Arbeitgeber in die Mäßigung der Gewerkschaften in den Betrieben, in denen über eine zusätzliche Prämie verhandelt worden wäre. Aber auch Vertrauen der Gewerkschaften in die Chefetagen der Betriebe, in denen es keine Arbeitnehmervertretungen gibt, die versuchen könnten, entsprechende Prämien auszuhandeln. Die soziale Konzertierung erfordert, dass sich die Gegner als Gesprächspartner betrachten. Man wusste im Voraus, dass das eine schwierige Baustelle werden würde. Aber ohne Vertrauen als Fundament war das Ganze einfach unmöglich, glaubt Le Soir.
Auch keine gute Nachricht für die Vivaldi-Koalition
Es ist richtig, dass die Gewerkschaften versuchen, möglichst viel für die Arbeitnehmer herauszuholen, konstatiert De Tijd. Denn das ist schließlich ihr Auftrag. Und sie haben auch Recht, dass mehr Flexibilität nötig ist bei den Lohnverhandlungen für bestimmte Betriebe. Leider liegen sie aber in anderen Punkten völlig daneben. Zum Beispiel bei der Asymmetrie der Corona-Folgen: der Staat ist schwerer getroffen als der Privatsektor, die Betriebe schwerer als die Familien und die Selbstständigen schwerer als die Angestellten. Wenn also jemand solidarisch sein sollte, dann die Arbeitnehmer. Die andere falsche Annahme ist, dass Betriebe, denen es gut geht, Geld für größere Lohnsteigerungen haben, beziehungsweise auch in Zukunft haben werden. Noch hat sich der Staub der schlimmsten wirtschaftlichen Krise der letzten 70 Jahre nämlich noch gar nicht gelegt. Und noch immer geht die Angst vor einer sich hinziehenden Pleitewelle um. Die könnte über eine Welle unbezahlter Rechnungen selbst gesunde Betriebe mit in den Abgrund reißen, warnt De Tijd.
Das Scheitern ist auch keine gute Nachricht für die Regierung, betont unter anderem Het Belang van Limburg. Die hat jetzt damit gedroht, die Lohnerhöhung von 0,4 Prozent selbst einzuführen, wenn sich die Sozialpartner nicht einigen können. Das wird allerdings keine einfache Diskussion innerhalb der Vivaldi-Koalition werden. PS-Chef Paul Magnette hat die sozialistische Gewerkschaft im Nacken. Ganz zu schweigen von der linken PTB. Und Magnette hat sich in den vergangenen Wochen zu oft offen hinter die Forderungen der Gewerkschaften gestellt, so Het Belang van Limburg.
Der Blick auf die Terrassen der Nachbarn
Ganz anderes Thema schließlich bei Gazet van Antwerpen, die Zeitung blickt in ihrem Leitartikel nämlich über die Grenze zu den niederländischen Nachbarn. Genauer gesagt auf deren Café- und Restaurant-Terrassen, die heute wieder öffnen dürfen. Wie diese Wiederöffnung verlaufen wird, wird vielleicht ein Vorbote dessen sein, was bei uns passieren wird, meint das Blatt. Hier soll es ja in anderthalb Wochen so weit sein. Genau wie in den Niederlanden auch mit Einschränkungen und Regeln. Wie sich die Horeca-Betreiber und ihre Kunden bei den Nachbarn verhalten und wie sie mit ihrer wiedergewonnenen Freiheit umgehen werden, kann auch das Verhalten der hiesigen Gemeindeverwaltungen und Polizei mitbestimmen. Läuft alles glatt, dann wäre das eine gute Nachricht für die belgische Gastronomie. Kommt es hingegen zu Problemen, dann könnten die Behörden bei uns wachsamer und auch strenger sein, analysiert Gazet van Antwerpen.
Boris Schmidt