"Ausstellung von Protokollen für die Terrassen, die vor dem 8. Mai geöffnet werden?", fragt L'Avenir auf Seite eins. "Horeca: Bürgermeister zur Ordnung gerufen", so der Aufmacher bei Le Soir. "Das Gesetz gilt auch für Bürgermeister, sie setzen sich einer Verfolgung aus", titelt L'Echo.
L'Avenir greift in ihrem Leitartikel das Beharren verschiedener Horeca-Betreiber auf, ihre Terrassen trotz des Beschlusses des Konzertierungsausschusses schon am 1. Mai zu öffnen, statt erst am 8. Mai und dass diverse Bürgermeister ihre Solidarität mit diesem Vorhaben bekundet haben. "Aber, das ist eine Revolte!" soll Ludwig XVI. am Abend des Sturms auf die Bastille gesagt haben. Die angebliche Antwort darauf: "Nein, Sire, das ist eine Revolution". Ganz so weit sind wir hier noch nicht.
Ob die Drohung der Terrassenbetreiber und Bürgermeister ein Bluff ist oder nicht, das wird sich noch zeigen. Manche sind nämlich schon zurückgerudert von ihren Ankündigungen vor dem Konzertierungsausschuss. Die eine Woche Verschiebung ist ihnen der Ärger nicht wert. Außerdem muss man sich das auch in unserer Demokratie geltende Prinzip der Gewaltenteilung in Erinnerung rufen.
Die Bürgermeister mögen für die öffentliche Ordnung zuständig sein. Aber die Polizei fällt unter die Zuständigkeit des Prokurators des Königs und der Staatsanwaltschaft. Das bedeutet, dass der Terrassen-Rebell, der sich durch die Äußerungen seines Bürgermeisters beschützt glaubt, zum Gelackmeierten werden kann. Sprich mit einer gesalzenen Rechnung zur Kasse gebeten wird. Und die Bürgermeister riskieren, mit ihrem Verhalten dazu beizutragen, dass die Situation entgleist und unkontrollierbar wird, warnt L'Avenir.
Vielleicht besser doch noch ein paar Wochen "Take-away"
Auch La Dernière Heure hält eine eigenmächtige Öffnung der Terrassen für keine gute Idee. Zunächst setzen sich die Betreiber der Gefahr drastischer Strafen aus. Für die Kunden wäre es außerdem sicher alles andere als angenehm, ihr Essen heimlich zu sich nehmen zu müssen und in der ständigen Angst, dass jeden Moment die Polizei hereinplatzen könnte. Da bietet vielleicht doch die Option des "Take-away", des Essens zum Mitnehmen, einige Vorteile. Während man eben noch etwas auf die richtige Wiederöffnung des Horeca-Sektors wartet, so La Dernière Heure.
La Libre Belgique zeigt Verständnis für die Wut der Café- und Restaurantbesitzer. Aber nicht für das Verhalten des Gouverneurs der Provinz Lüttich und verschiedener Bürgermeister. Dass sie implizit zum zivilen Ungehorsam aufrufen, ist eine Missachtung ihrer Vorbildfunktion, in gesetzlicher Hinsicht ein Wahnwitz. Das kann auch eine echte Gefahr für den Rechtsstaat darstellen, und da reden wir noch gar nicht davon, dass sie zur Verwirrung und zum Chaos beitragen – und das in einer Situation, in der man das wirklich nicht brauchen kann, wettert La Libre Belgique.
Till Eulenspiegel und der Lütticher Wilde Westen
Die belgische Politik hat sich während der Coronakrise nicht gerade von ihrer besten Seite gezeigt, fasst De Morgen zusammen. Und jetzt, wo das Ende der Pandemie in Sicht ist, meinen einige, noch mal querschießen zu müssen. Oder ist es in unserem Mini-Land, in dem hinter quasi jedem Baum ein Bürgermeister steht, wirklich zu viel gefragt, dass die ihre lokale Polizei dazu anhalten, die Corona-Regeln durchzusetzen? Regeln, die wohlgemerkt letzten Mittwoch von allen Ebenen des Landes diskutiert und beschlossen worden sind.
Noch trauriger sind die durchsichtigen Motive hinter den politischen Manövern. Wenn jemand etwas von den spärlichen Lorbeeren beanspruchen darf für das bisher Erreichte, dann sind das unter anderem Premier De Croo und sein Gesundheitsminister Vandenbroucke.
Der große Rest, von den Rathäusern in Middelkerke bis Namur über die Hauptquartiere der frankophonen Liberalen und Sozialisten, hat eigentlich wenig vorzuweisen. Müssen diese Politiker sich jetzt beim Endspurt unbedingt noch ins Siegerbild drängen? Bei allem Verständnis und Respekt für die Rolle und die Bedeutung der Bürgermeister: Wir befinden uns noch immer in der föderalen Phase des Krisenmanagements. Billiges Verhalten à la Till Eulenspiegel ist da fehl am Platze, giftet De Morgen.
Le Soir fühlt sich derweil an den Wilden Westen erinnert, wo das Recht des Stärkeren gilt. Solche Zustände drohen auch in Lüttich – und nicht nur da. Neben der Angst vor dem Virus und seinen tödlichen Varianten muss man sich jetzt auch noch Sorgen um den sogenannten "zivilen Ungehorsam" machen. Wie konnte es so weit kommen?
Drei Erklärungsversuche: Erstens sind die Belgier seit Monaten von Politikern aufgeheizt worden, die Entscheidungen in Frage stellen, die sie oft selbst mitgetroffen haben. Erst war das die MR, dann Ecolo und jetzt auch die PS. Dazu kommt die Langsamkeit der Impfkampagne, die dazu geführt hat, dass Versprechen in puncto Lockerungen nicht eingehalten worden sind. Und schließlich sind die Bürgermeister oft an der Frontlinie des Corona-Managements allein gelassen worden beziehungsweise wurden nicht miteinbezogen. Was dazu geführt hat, dass sie sich auf die Seite der "Stimme des Volkes" gestellt haben.
Das Krisenmanagement kann nur funktionieren, wenn die Befehlskette intakt bleibt. Es ist also gefährlich, wenn die Bürgermeister die Bürger zum Widerstand ermuntern. Dann laufen wir Gefahr, dass die Situation außer Kontrolle gerät. Jetzt bis zum 1. Mai einen Weg zu finden, um den Geist der Rebellion ohne Machtdemonstration zurück in die Flasche zu verbannen – das ist die große Herausforderung, meint Le Soir.
Politiker und Experten müssen einen anderen Weg finden
Unsere Regierungen und Experten haben ein Problem: Immer mehr Belgier kehren ihrem Krisenmanagement und ihrer Kommunikation den Rücken zu, analysiert Het Laatste Nieuws. Und das ausgerechnet vor den entscheidenden Wochen. Ein Grund dafür ist, dass sich die Menschen an die gesundheitliche Gefahr gewöhnt haben und deswegen bereit sind, größere Risiken in Kauf zu nehmen.
Hinzu kommen unlogische und manchmal sogar ungesetzliche Corona-Regeln. Dann noch die ständigen Äußerungen der Experten, die mal dies und mal das sagen und den Eindruck erwecken können, strategisch zu kommunizieren. Es ist deutlich, dass wir uns an einem Wendepunkt befinden.
Aber das Gute an so einem Punkt ist, dass es auch nicht viel braucht, um das Pendel doch wieder in die richtige Richtung schwingen zu lassen. Flamen, Brüsseler und Wallonen können noch einige Wochen solidarisch bleiben mit dem Gesundheitswesen und den besonders gefährdeten Mitbürgern.
Politiker und Experten müssen aber einen anderen Weg finden, um sie dazu zu motivieren. Denn Angst und das Wedeln mit Verboten funktioniert nicht mehr. Wie wäre es stattdessen, sich darauf zu konzentrieren, was möglich ist und wie das sicher erreicht werden kann? Auf Lösungen? Auf Maßnahmen, die wirklich etwas bringen? Und die dann auch umzusetzen?, schlägt Het Laatste Nieuws vor.
Boris Schmidt