"Heute wird der Konzertierungsausschuss über einen "Outdoor-Plan" entscheiden", titelt Het Laatste Nieuws und fügt gleich die Begründung hinzu: "Die Krankenhauszahlen steigen nicht so stark wie befürchtet". "Wenn gelockert wird, dann wohl nur draußen", schreibt auch das GrenzEcho. L'Avenir sieht das genauso: "Der ' Outdoor-Plan', die einzige kurzfristige Perspektive", schreibt das Blatt.
Die heutige Sitzung des Konzertierungsausschusses wird mit Spannung erwartet. Nachdem sie sich um eine Woche vertagt hatten, müssen die Vertreter aller Regierungen des Landes heute über mögliche Lockerungen entscheiden. Die Spielräume sind allerdings klein: Die Corona-Zahlen steigen nach wie vor, wenn auch nicht so schnell, wie man es letzte Woche noch befürchten konnte.
Premier Alexander De Croo hat gestern in der Kammer die Windrichtung angedeutet: Man arbeite an einem "Outdoor-Plan". Das heißt wohl, dass die Kontaktblase unter freiem Himmel vergrößert werden könnte. Mehr darf man aber auch nicht erwarten: "Ich würde ja auch gerne wieder ins Café, aber es geht wirklich noch nicht", sagt der Virologe Marc Van Ranst auf Seite eins von Gazet van Antwerpen.
Der Anfang der allgemeinen Wiedereröffnung?
Einige frankophone Zeitungen plädieren dennoch mehr oder weniger offen für Lockerungen: Im Nachhinein betrachtet kann man die Vertagung vom vergangenen Freitag als Panik-Reaktion bezeichnen, meint etwa La Dernière Heure. Nachdem sich die schlimmen Befürchtungen nicht bewahrheitet haben, machen viele Sektoren, die im Moment zur Untätigkeit verdammt sind, wieder auf sich aufmerksam.
Und das vollkommen zu Recht. In der Hoffnung, dass die guten Vorsätze der vergangenen Woche nicht heute wieder zu Grabe getragen werden. Konkret: Die Erweiterung der Kontaktblase unter freiem Himmel, sowie Lockerungen im Unterrichtswesen. Das wäre zumindest ein Anfang; der Anfang der allgemeinen Wiederöffnung eines Landes, das mit den Nerven am Ende ist. Alle erwarten heute jedenfalls ein positives Signal, und keine alarmistischen Reden, die vor einer Dritten Welle warnen...
Die Diktatur der Zahlen
Es fehlen Perspektiven, ist auch L'Avenir überzeugt. Man hat schon keinen wirklichen "Reset" der Impfstrategie gesehen. Und nach diesem Fehlschlag wird es wohl auch keinen Reset bei den Corona-Einschränkungen geben. Allenfalls Peanuts, wie etwa die Vergrößerung der Kontaktblase unter freiem Himmel.
Die Jugendlichen wollen aber mehr als das, sie wollen ein Leben, zwischenmenschliche Beziehungen, Freiheit. Vielleicht wird uns Alexander De Croo den Entwurf eines Zeitplans präsentieren, der allerdings in den vorsichtigen Warnpredigten untergehen wird. Das ist weit weniger, als diejenigen sich wünschen, deren Horizont verdeckt ist...
Wir erleben gerade eine Diktatur der Zahlen, findet Le Soir. Die politisch Verantwortlichen haben nur Augen für die epidemiologischen Statistiken: Neuinfektionen, Krankenhausaufnahmen. Dabei überhören sie die Warnungen der Humanwissenschaftler, die vor den toxischen Nebenwirkungen für die Psyche warnen, vor allem bei den Jugendlichen.
Statistiken zeigen nur das Hier und Jetzt, eine Momentaufnahme der Gegenwart. Das eröffnet keinerlei Perspektiven. Natürlich ist es für jeden Politiker schwer, Unwägbarkeiten zu managen. Und da ist die Versuchung groß, sich hinter anderen zu verstecken, im vorliegenden Fall hinter den Wissenschaftlern, die als die einzigen Garanten der Vernunft erscheinen.
Der Weg der goldenen Mitte
De Morgen gibt sich seinerseits salomonisch: Die Regierungen des Landes werden Feuer und Wasser verbinden müssen. Die epidemiologische Lage ist nach wie vor fragil. Zwar hat sich das Worstcase-Szenario erst mal nicht bewahrheitet, was aber auch nicht heißt, dass wir einen sicheren Hafen erreicht haben.
Das ist das eigentliche Drama, nämlich, dass wir weder dramatisch schlecht noch richtig gut dastehen. In beiden Fällen wäre die Entscheidung wesentlich einfacher zu treffen. Wie wäre es also mit der goldenen Mitte: Wenn gelockert wird, dann müssen anderenorts Schrauben angezogen werden. Konkret: Wenn man die Kontaktblase unter freiem Himmel vergrößert, dann sollte im Gegenzug die Homeoffice-Pflicht wieder strikter kontrolliert werden...
Eher in Richtung Schlachtfeld als ins Reich der Freiheit
Einige Zeitungen beschäftigen sich auch mit der Impfkampagne. Dies verläuft ja in Europa nach wie vor nur schleppend. Vor diesem Hintergrund hat Italien jetzt den Export von Impfstoff der Firma Astrazeneca untersagt - mit dem Segen der EU-Kommission.
"Das hing schon länger in der Luft", analysiert De Tijd. Überall in Europa steigt die Nervosität. Insbesondere in Deutschland, wo im Herbst Bundestagswahlen anstehen. Der einst so populäre Gesundheitsminister Jens Spahn kriegt politisch die volle Breitseite ab. Insgesamt bröckelt in Europa der Zusammenhalt, auch mit freundlicher Unterstützung der Chinesen und Russen, die gerne ihre Impfstoffe missbrauchen, um in Europa Zwietracht zu säen.
Europa muss die Impfstoff-Schlacht inzwischen auf mehreren Fronten ausfechten: Erst mal der Kampf um den Impfstoff an sich, dann aber auch der um die Einheit der Union. Die Impfung sollte uns eigentlich ins Reich der Freiheit führen, im Moment bewegen wir uns in Europa aber eigentlich nur Richtung Schlachtfeld.
"Eine kleine Prise Krieg"
So ein klitzekleines bisschen Kriegsmentalität wäre aber nicht verkehrt, glaubt Het Nieuwsblad. Es reicht ein Blick in die USA: In Amerika - und übrigens auch in Großbritannien - hat man kein Problem damit, in Krisenzeiten auf eine Art "Kriegswirtschaft" umzuschalten. "Land der Freiheit", hin oder her: Wenn's drauf ankommt, werden ohne zu zögern Unternehmen dazu gezwungen, im vorliegenden Fall Impfstoff oder Zulieferprodukte zu produzieren.
In der EU wird um so etwas allenfalls freundlich gebeten. Man stelle sich das Gezeter vor, wenn große Unternehmen in Europa zu irgendwas verpflichtet würden. Hinzu kommt: Die USA und auch Großbritannien sind risikobereiter: Offene Fragen überhören sie auch schon mal und preschen vor, in der Hoffnung, dass schon alles gut gehen wird. Währenddessen ist Europa vorsichtig, aus Angst Fehler zu machen. Beide Haltungen haben ihren Preis. Deswegen: Wäre eine kleine Prise Krieg nicht doch die bessere Option...?
Roger Pint