"Fehlstart der Massenimpfung – wieder eine peinliche Panne, die Staub aufwirbelt", titelt La Libre Belgique. "Panne bei Verschicken der Impf-Einladungen", präzisiert L'Echo. "Europa bestellt zusätzliche 600 Millionen Impfstoffe", schreibt De Morgen.
Mit großem Pomp war am Dienstag das größte Impfzentrum des Landes eröffnet worden, erinnert La Dernière Heure. Nur einen Tag später waren auf dem Heyselgelände in Brüssel die Türen schon wieder zu. Schuld war ein Informatikfehler beim Verschicken der Einladungen an das Gesundheitspersonal.
Diese Panne reiht sich ein in die schon viel zu lange Liste peinlichen Corona-Versagens in Belgien. Das Ganze illustriert auch mal wieder den schuldhaften Dilettantismus, der an den Tag gelegt wird. Dabei zählt beim Weg zur Herdenimmunität doch jede Sekunde. Und das Gesundheitspersonal ist bei seiner Arbeit einem besonders hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt.
Es stimmt zwar, dass diese Verzögerung schnell wieder aufgeholt sein wird. Denn die Pharmabetriebe haben ja nur sehr wenige Impfstoffdosen geliefert. Aber man muss hoffen, dass jetzt rechtzeitig Lehren gezogen werden, bevor es an die breite Impfung der Bevölkerung geht. Viel Grund zu Optimismus in dieser Hinsicht gibt es aber nicht, siehe die Online-Steuererklärung, die seit fast 20 Jahren mit Informatikfehlern kämpft. Nur dass es diesmal um Menschenleben geht und wir uns nicht erlauben können, Zeit zu verlieren, giftet La Dernière Heure.
Die Verzögerungen sind unerträglich
Endlich haben die Impfungen begonnen. Aber mit welch haarsträubender Langsamkeit, wettert auch La Libre Belgique. Europa produziert 75 Prozent aller Impfstoffe auf der Welt. Und das kleine Belgien ist praktisch Weltmarktführer in diesem Bereich. Aber während in Israel bereits 75 Prozent der Bürger einmal geimpft worden sind und in Großbritannien über 25 Prozent, sind es in Europa kaum vier Prozent. Und Probleme wie in Brüssel gab es auch schon in Antwerpen und Gent.
Was für eine Schande! Hätte man nicht erwarten können, dass für den Start alles gut funktioniert? Eigentlich hätte man doch davon ausgehen müssen, dass unsere Vorteile, unser Pragmatismus, unser hervorragendes Gesundheitssystem uns einen Spitzenplatz bei den Impfkampagnen sichern würden. Diese Verzögerungen sind unerträglich und drohen das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen und die politisch Verantwortlichen noch weiter zu untergraben, warnt La Libre Belgique.
Das GrenzEcho beschäftigt sich bezüglich der Impfstoffe mit der Rolle der Europäischen Kommission. Wenn man in einer "Mission impossible" gescheitert ist, sollte man dieses Scheitern einfach zugeben, statt es mit Milliarden Euro zuzuschütten. Denn am Ende wird die EU stolze 33 Milliarden Euro für Impfstoffe ausgegeben haben. Darunter auch Hunderte Millionen für den von Astrazeneca, den die europäische Arzneimittelagentur uneingeschränkt freigegeben hatte, den dann aber nationale Agenturen der nach Impfstoff lechzenden Bevölkerung madig gemacht haben, so dass er vielerorts auf Halde liegt.
Die EU-Kommission möchte das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen und dem mutierenden Virus endlich voran sein. Dabei mutiert dass Virus schneller, als wir denken können. Und die Pharmaindustrie ist längst dabei, angepasste Impfstoffe zu entwickeln. Da braucht es keine notorisch bürokratische, den Ereignissen hinterherhechelnde Behörde wie die EU-Kommission, so das vernichtende Urteil des GrenzEchos.
Einen kühlen Kopf bewahren
Le Soir kommentiert die belgische Corona-Exit-Strategie. Noch einige Wochen durchhalten in diesem Semi-Lockdown und dann nach und nach immer weitere Bereiche wieder öffnen. Damit die Impfrate steigen kann, während die Corona-Zahlen sinken. Eine Rückkehr zu einem normalen Leben unter maximaler Sicherheit. Ein schöner Plan, der droht, in Scherben zu gehen. Denn die Motivation der Bürger, sich weiter an die Corona-Einschränkungen zu halten, droht, den Bach runterzugehen, und zwar bevor die Impfrate erreicht werden wird, die Experten als Minimum betrachten.
Und dafür gibt es drei Gründe: Erstens der Missbrauch und die zunehmende Ablehnung der Freiheitsbeschränkungen durch die Behörden. Zweitens die psychologische Erschöpfung der Menschen und schließlich die immer weiter sinkenden Ansteckungs- und Totenzahlen durch das Virus. All das führt dazu, dass die jetzigen Deiche zu brechen drohen, bevor der neue Impf-Deich bereit ist, warnt Le Soir.
De Tijd reagiert auf die Forderungen verschiedener Sektoren und auch aus der Politik nach weiteren Öffnungen. Schnelle Lockerungen kosten Menschenleben, erinnert die Zeitung. Wir wissen aktuell noch wenig über die neuen Corona-Varianten. Es ist immer noch Winter und damit Virus-Saison. Die Impfzahlen liegen noch immer relativ niedrig und die Ansteckungszahlen weiter relativ hoch. Deswegen muss man einen kühlen Kopf behalten und weitere Lockerungen nicht an einem spezifischen Datum festmachen, sondern an den festgelegten Schwellenwerten für die verschiedenen Corona-Indikatoren, mahnt De Tijd.
Auseinanderdriftende Welten
De Standaard greift die Meldung auf, dass die Lebensmittelbanken im letzten Jahr ein Viertel mehr Mahlzeiten verteilen mussten. Das bedeutet, dass die Lebensmittelspenden nicht mehr reichten und die Banken selbst zukaufen mussten. Dem entgegen steht die Meldung der Nationalbank, dass belgische Familien 2020 23 Milliarden Euro mehr gespart haben als früher. Das verdeutlicht vielleicht am besten, wie die Pandemie dafür gesorgt hat, dass die Ungleichheit in unserer Gesellschaft größer geworden ist.
Eigentlich ist "Ungleichheit" auch nicht mehr der passende Ausdruck. Man müsste schon von zwei Welten sprechen, die immer weiter auseinanderdriften. Die Armut nimmt zu, der Anteil der besser Gestellten schrumpft. Die einen denken über Treffen, Entspannung und wieder Feiern können nach, die anderen über das Überleben von einem Tag zum nächsten. Und auch wenn wieder bessere Zeiten kommen, werden diese ungleich verteilt sein, gibt De Standaard zu bedenken.
Boris Schmidt