"Corona-Krise: Polizei greift in Brüssel durch", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Anti-Covid-Demonstrationen - 488 Festnahmen in Brüssel", titelt L'Avenir. "Rechts, links, alt, jung – buntes Sammelsurium demonstriert in Brüssel gegen Covid-Maßnahmen", so die Überschrift bei De Morgen.
Innenministerin Annelies Verlinden hatte schon im Vorfeld eine Null-Toleranz-Politik für die Demonstrationen an diesem Wochenende angekündigt, erinnert L'Avenir. Und das hat sie wahr gemacht, hat es doch den zweiten Sonntag in der Folge mehr Festnahmen gegeben als gezählte Demonstranten. Das war der Strategie der Ordnungskräfte geschuldet, jeden Aufmarsch im Keim zu ersticken und entsprechend schon an den Bahnhöfen Personalien aufzunehmen und Menschen in Gewahrsam zu nehmen.
Auch diejenigen, die es dennoch schafften, sich in Gruppen zu sammeln, wurden schnell eingekesselt. Dadurch wurden Ausschreitungen wie in den Niederlanden von vornherein verhindert. Dass diese Strategie auf kurze Sicht die effizienteste ist, steht außer Frage. Es ist nicht der Augenblick für nicht-erlaubte Zusammenkünfte und das Missachten der gesundheitlichen Schutzmaßregeln. Und schon gar nicht, um Randalierern jedweder Art eine Bühne zu bieten.
Das Demonstrationsrecht existiert dennoch weiter, wenn auch unter strengen Auflagen für die Protestierer. Erlauben diese Auflagen, sich genug Gehör zu verschaffen? Wahrscheinlich nicht. Aber die politisch Verantwortlichen haben keine Wahl, denn die Gefahr ist real. Das bedeutet aber nicht, dass sie den wütenden Menschen nicht zuhören sollten. Denn so massiv gegen Demonstranten vorzugehen, könnte sich sonst als kontraproduktiv erweisen. Spätestens, wenn die gesundheitsbedingten Einschränkungen aufgehoben werden, könnte es dann zu einer regelrechten Explosion kommen.
Auch Recht auf Gleichbehandlung
Het Nieuwsblad vergleicht die Polizisten, die die Demonstranten schon an den Zügen in Empfang nahmen, mit Robocops. Ja, die Demonstration war verboten. Ja, dann musste man das auch durchsetzen. Und die Polizei hat wohl auch Recht, wenn sie sagt, dass nicht jeder mit friedlichen Absichten gekommen war. Aber dennoch müssen wir aufpassen, dass wir nach der Einschränkung all der anderen Freiheiten nicht auch noch die Meinungsfreiheit aufs Spiel setzen.
Demonstrationen gegen Polizeigewalt waren ja auch toleriert worden. Und das Recht auf freie Meinungsäußerung geht einher mit dem Recht auf Gleichbehandlung. Es ist nicht an den Behörden, zu entscheiden, welche Meinungen besser oder schlechter als andere sind. Sonst landen wir nämlich in der Welt des Wladimir Putin, in der Politiker entscheiden, wofür die Menschen auf die Straße gehen dürfen.
Es ist erstaunlich, wie diszipliniert die Bevölkerung auf die Corona-Maßregeln reagiert. Das klappt aber nur so lange, wie die Menschen das Gefühl haben, dass sie damit selbst Verantwortung übernehmen, dass sie damit einander helfen. Kritik zu verbieten und eine Gedankenpolizei bewirken genau das Gegenteil.
Die Motivation bröckelt
Het Belang van Limburg hebt in seinem Leitartikel hervor, dass auch zahlreiche Fußballanhänger in die Hauptstadt gekommen waren. Dazu noch ein paar Teenager, die nicht wirklich wissen, wogegen sie eigentlich gerade demonstrieren und einige zutiefst besorgte Mütter, die nicht mehr wissen, was sie mit ihren pubertierenden Kindern zu Hause anfangen sollen. Hier und da waren auch Flaggen mit dem flämischen Löwen zu sehen, was den Vlaams Belang-Vorsitzenden Tom Van Grieken zum Giftversprühen gegen die Behörden animierte.
Aber dass allgemein die Motivation der Menschen bröckelt, sich an die Schutzmaßregeln zu halten, ist überall sichtbar. Da muss man sich nur die anschauen, die ungeniert zu mehreren einkaufen gehen müssen und auf den baldigen Schutz durch Impfungen verweisen. Aber das ist leider kein Argument. Wenn wir Katastrophen in den Krankenhäusern verhindern wollen, gibt es keine Alternative, als sich weiter an die Regeln zu halten.
Eine verantwortungsvollere Kommunikation
Auch Het Laatste Nieuws weist darauf hin, dass die Motivation der Belgier auf dem Tiefpunkt ist. Wir haben die Nase voll von der Corona-Krise. Der Moment naht, ab dem ein wachsender Teil der Bevölkerung die Risiken den Gegenmitteln vorzieht. Selbst, wenn sie damit Gesundheit und Leben aufs Spiel setzen. Seit Längerem befinden sich die Zahlen auf einem Plateau. Und für den Sommer gibt es eine impfbedingte Aussicht auf eine Rückkehr zu einem normaleren Leben. Deshalb ist es an der Zeit für Perspektiven und für Babyschritte.
Es ist an der Zeit, zuzugeben, dass auch Panik zu Opfern führt - mental, in Beziehungen, entwicklungstechnisch und auch bei Menschen, die notwendige medizinische Behandlungen aufschieben. Man sollte vor allem die Hysterie beenden und einen kühlen Kopf bewahren. Weniger Katastrophenszenarien in den Zeitungen, weniger Spekulationen über Varianten, über die wir noch wenig wissen. Und weniger Virologen auf den Bildschirmen, in der Presse und in unseren Köpfen.
La Dernière Heure greift einen in einen ähnliche Richtung gehenden Aufruf von Premierminister Alexander De Croo auf. Der hatte die Gesundheitsexperten darum gebeten, nicht in eine Eskalationsspirale alarmierender Warnungen zu verfallen. Hintergrund war der Wirbel in der letzten Woche um die Gefahr durch die neuen Corona-Varianten. Ob der Premier damit die Experten zum Schweigen bringen wird, ist zweifelhaft. Aber das ist auch nicht das Ziel.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein fundamentales Prinzip unserer Demokratie. Was die Experten im Gegenzug aber endlich verstehen sollten, ist, dass die geistige Gesundheit der Bürger wichtiger als ihr Ego ist. Und die bewahrt man auch über eine verantwortungsvollere Kommunikation.
Boris Schmidt
Die Polizei sollte die Bevölkerung schützen,anstatt politische Interessen durchzusetzen.So hat es 1933 in Deutschland ebenfalls angefangen.Willkommen im Faschismus!!!Armes Belgien!!!
Würden die „Experten“ aufhören zu warnen und sich in Belgien die Situation derart zuspitzen, wie zur Zeit in Portugal, wären die Politiker die ersten und die Bevölkerung die zweiten, die in Richtung Experten fragen würden, „Warum habt ihr uns nicht gewarnt?“
Die Diskussion in den „sozialen“ Medien verdeutlicht, dass Hysterie und unverantwortliche „Kommunikation“ vor allem von denjenigen betrieben wird, die diese Pandemie und jegliche davon ausgehende Gefahren auch heute noch leugnen.
Angesichts zahlreicher nach wie vor bestehender Ungewissheiten in Bezug auf die weitere Entwicklung der Pandemie und trotz einer schwerfälligen Impfkampagne ist nicht Hysterie, aber Vorsicht weiterhin das Gebot der Stunde.
Müdigkeit im Straßenverkehr steigert die Unfallgefahr. Müdigkeit bei der Beachtung der Corona-Verhaltensregeln ist eine Einladung für ein Virus, das jeden Einzelnen und jede Gesellschaft auf eine harte Probe stellt.
Die Wehrhaftigkeit der Gesellschaft sollte sich gegen die Bekämpfung des Virus richten, nicht gegen Chimären welcher Art auch immer.
@Prickartz Guido: All die Vergleiche mit der NS-Zeit sind völlig unangemessen.
Ich empfehle Ihnen, sich näher mit jenen 12 Jahren zu beschäftigen, dann werden Sie sicher zu einer anderen Einschätzung gelangen.
Damals ging es um Macht; der Machtwille und die Missachtung der menschlichen Würde führten zu schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Heute geht es darum, vulnerable Gruppen vor einer Infektion zu schützen und eine Überlastung der Krankenhäuser vorzubeugen.
Meinen Sie, irgendjemand hätte sich dieses Virus gewünscht?
Wir alle wären froh, wenn es eher heute als morgen gelänge, die Pandemie zu überwinden, aber solange es nicht ausreichend Impfstoff gibt, müssen wir uns noch etwas gedulden.
Im Übrigen sind die derzeitigen Einschränkungen in Belgien nicht so drastisch wie bspw. in Deutschland und den Niederlanden, wo bis auf die Supermärkte praktisch alles dicht ist.
Herr Prickartz.
Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. 1933 war das Resultat von politischen Entscheidung (Versailler Vertrag, Weimarer Republik, etc). Die jetzige Pandemie nicht, Politik kann nur reagieren.