"Schuldig nach einem perfekten Mord" titelt heute Het Laatste Nieuws. De Standaard stellt nüchtern fest: "Die Jury glaubte Els Clottemans nicht". La Libre Belgique und Le Soir bringen es auf dieselbe Formel: "Schuldig ohne Beweis".
In Tongeren hat das Limburger Schwurgericht die 26-jährige Els Clottemans für schuldig befunden, ihre Rivalin aus Eifersucht hinterhältig ermordet zu haben. Im November 2006 soll Clottemans den Fallschirm ihres Opfers manipuliert haben; die 38-jährige Els Van Doren stürzte in den Tod.
Es war der Prozess des Jahres in Flandern, ohne Zweifel. Insbesondere die flämischen Zeitungen berichten in großer Aufmachung über den Schuldspruch. Allein Het Laatste Nieuws widmet dem Showdown in dem Verfahren zehn Sonderseiten.
Eine große Show?
Doch sorgt die enorme Aufmerksamkeit und das Mediengetrommel hie und da auch für Befremden. De Morgen etwa konstatiert auf seiner Titelseite: Das Verfahren gipfelt in einem beispiellosen Theater. Man könne jedenfalls nur feststellen, dass die Jury quasi um Punkt 19:00 Uhr ihren Schuldspruch verkündete. Also ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, wo in den großen Fernsehanstalten VRT und VTM die Nachrichtensendungen beginnen. Das sei doch ein "seltsamer" Zufall.
Das enorme Interesse an dem Verfahren erklärt sich vor allem dadurch, dass es sich um einen reinen Indizienprozess gehandelt hat. Es gab kein Geständnis, keinen materiellen Beweis. Anders gesagt, wie auch Medienwissenschaftler in verschiedenen Zeitungen bemerken: Jeder konnte sich seine Meinung über Schuld oder Unschuld der Angeklagten bilden.
Für die Jury jedenfalls bestand am Ende kein Zweifel: Mit großer Mehrheit sahen es die Geschworenen als erwiesen an, dass Clottemans ihre Rivalin vorsätzlich ermordet hat.
Ode an die Laienrichter
Het Laatste Nieuws würdigt in seinem Leitartikel das Verantwortungsbewusstsein der Geschworenen. Die Jury hat ihr Urteil alleine gefällt, ohne die Hilfe von Berufsrichtern. Und die Geschworenen haben ihre Rolle ernst genommen. Das zeigt allein schon die Ausführlichkeit, mit der sie ihren Schuldspruch motivierten.
Die Geschworenen haben gestern ein für allemal bewiesen, dass ganz gewöhnliche Menschen große Richter sein können. Dazu bedarf es jedenfalls keiner hochtrabenden Universitätstitel.
Tatsachen - oder doch Emotionen?
Andere Zeitungen sind da durchaus nuancierter. Bei dem Schuldspruch handelt es sich um die juristische Wahrheit, nicht mehr und nicht weniger, notiert etwa De Morgen. Eine Frage steht weiter im Raum: Haben die Geschworenen auf der Grundlage von Tatsachen entschieden, oder nur die Glaubwürdigkeit der Hauptakteure vor Augen gehabt? Els Clottemans leidet unter psychischen Problemen, wurde mehrmals der Lüge überführt. Ist das Beweis genug für ihre Schuld?
Le Soir scheint diesen Gedanken zu Ende zu denken: Das Urteil von Tongeren ist beängstigend. Während des gesamten Verfahrens musste die Verteidigung von Els Clottemans eigentlich den Beweis für die Unschuld ihrer Mandantin erbringen. Verkehrte Welt.
Und doch ist es der Anklage und auch den Opferanwälten nicht gelungen, die Version der Angeklagten entscheidend ins Wanken zu bringen. In diesem Prozess haben nur Emotionen eine Rolle gespielt, dabei wurde die Vernunft ausgeblendet. Resultat: Eine Unschuldige wurde in die Hölle geschickt.
Ein Resultat der Läuterung
Für De Standaard wiederum hat das Schwurgericht als juristisches Ritual funktioniert. Klar: Gerade in einem solchen Indizienprozess mag das Urteil von Laienrichtern polarisieren. Es gab in der Tat keinen Beweis, keine smoking gun. Doch hätte ein Berufsrichter womöglich nicht anders entscheiden. Das Ritual des Schwurgerichts, mit seinen Emotionen, seinem Sinn fürs Theatrale, hat aber zusätzlich läuternde Wirkung.
Krise - wer soll's richten?
Viele Zeitungen widmen sich aber auch heute einmal mehr der innenpolitischen Lage.
"Wer soll die Scherben wieder zusammenkleben?", fragt sich etwa Le Soir. Der König scheint jedenfalls nach wie vor auf die bisherige Sieben-Parteien-Formel zu setzen. Die Liberalen bleiben also vorläufig weiter außen vor.
Als mögliche Vermittler in königlicher Mission werden derzeit die verschiedensten Kandidaten gehandelt, von den Sozialisten Philippe Moureaux, Johan Vande Lanotte oder Paul Magnette bis zu den N-VA -Politikern Jean Jambon oder Siegfried Bracke.
Eine Vorahnung?
La Libre Belgique will dagegen erfahren haben, dass die PS offensichtlich die flämischen Christdemokraten CD&V dazu drängt, jetzt auch mal einen Vermittler zu stellen. Damit, so die Vermutung, wollen die frankophonen Sozialisten einen Keil zwischen die CD&V und die N-VA treiben.
La Libre Belgique und Le Soir sind im Übrigen auf ein vielsagendes Detail gestoßen. Demnach hat die N-VA schon am 12. Oktober den Gesetzesvorschlag zur einseitigen Spaltung von BHV hinterlegt. Also: Fünf Tage bevor die Frankophonen den De Wever-Vorschlag vom Tisch gefegt haben. Beide Zeitungen kommen zum selben Schluss: Die flämischen Nationalisten scheinen da wohl -na ja- eine gewisse Vorahnung gehabt zu haben.
Welche Rolle für den König?
Bart De Wever hatte in seiner Note ja auch eine Neuausrichtung der Rolle des Königs gefordert. Der soll demnach nur noch eine rein protokollarische Funktion haben. Das ist wohl auf Prinz Philipp gemünzt, dem so mancher die nötige Kragenweite abspricht, notiert dazu Het Belang van Limburg.
Erstens, so meint das Blatt, man tut Philipp damit möglicherweise Unrecht, und zweitens: Der König bekommt seine Entscheidungen ohnehin von den Parteien suggeriert. Eine Reform ist also eigentlich unnötig.
Ein Zeichen an der Wand
La Libre Belgique richtet schließlich einen bangen Blick auf Großbritannien. Dort hat die Regierung drastische Sparmaßnahmen beschlossen. Unter anderem werden 500.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut. In Belgien sollte man nicht glauben, dass dieser Sturm an uns vorüberzieht.
Vor allem in der Wallonie gibt es unverhältnismäßig viele Jobs, die von der öffentlichen Hand finanziert werden. Hinzu kommt: Wer spart, der braucht ein konkretes Ziel. In Belgien herrscht demgegenüber im Augenblick nur absolute Hoffnungslosigkeit.
Bild:belga