"Historisches Abkommen, aber der Rechtsstaat in der EU ist noch nicht gerettet", titelt De Standaard. "Die EU rettet ihr 1,8 Billionen Euro-Finanzpaket", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Der EU-Gipfel macht den Weg frei für Milliarden", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Belgien bekommt fünf Milliarden aus dem Corona-Fonds", präzisiert Het Belang van Limburg.
Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs haben am Abend ihren Haushaltsstreit beilegen können. Ungarn und Polen hatten das Budget blockiert. Der Grund: Sie lehnten den neuen Rechtsstaatsmechanismus ab; demnach können ja EU-Zahlungen gekürzt werden, falls ein Land gegen die demokratischen Grundprinzipien verstößt.
Jetzt hat man sich hier also auf einen Kompromiss geeinigt. Laut De Standaard läuft das aber jetzt darauf hinaus, dass der Mechanismus verlangsamt wird. Ungarn und Polen sprechen jedenfalls von einem "Sieg". Die Befürworter des Rechtsstaatsmechanismus' halten dagegen, dass der Mechanismus verlangsamt wird.
"Wer ist der Strengste im ganzen Land?"
"Streng, strenger, am strengsten", so derweil die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. Vor allem in Flandern scheinen sich einige Provinzen oder Gemeinden gegenseitig übertreffen zu wollen, wenn's um die Kontrollen über die Weihnachtstage geht. In Westflandern und Limburg sollen ja sogar Drohnen eingesetzt werden. "Jetzt wird die Artillerie herausgekramt", schreibt sinngemäß Het Nieuwsblad.
Viele Leitartikler üben scharfe Kritik an dieser "Weihnachtsoffensive", wie es Het Laatste Nieuws formuliert. "Was für ein Hick-Hack". Nicht nur, dass die Corona-Zahlen wieder steigen, jetzt leisten wir uns auch noch ein regelrechtes Wettrüsten, nach dem Motto: "Wer ist der Strengste im ganzen Land?". Die einen wollen Drohnen einsetzen, andere wollen sogar Pizza-Kartons zählen, um zu ermitteln, wie viele Menschen wohl am Tisch sitzen werden. Am Ende wird vielleicht sogar der Truthahn gewogen. Im Kampf gegen die Ausbreitung der Pandemie hilft uns das keinen Schritt weiter. Eher im Gegenteil, das ist kontraproduktiv. Das wird nämlich dazu führen, dass immer mehr Bürger gegen die Maßnahmen rebellieren werden. Das ist kein entschlossenes Auftreten mehr, hier wird wild um sich geschossen.
"Cowboys gehören an die Leine"
"Die Cowboys gehören an die Leine", fordert denn auch fast folgerichtig De Standaard. Die Gouverneure und Bürgermeister spielen hier nicht nur mit ihren neuen Hightech-Spielsachen, sondern auch mit dem Feuer. Diese Drohnen und Kameras wurden angeschafft für den Kampf gegen den Terrorismus; jetzt sollen sie bei der ersten Gelegenheit gegen die eigenen Bürger eingesetzt werden. Wir werden allesamt zu Verdächtigen. Hier droht eine Kultur der Repression. Die Föderalregierung wäre sehr gut beraten, hier schnellstens Leitplanken zu platzieren. Denn mit dem, was wir jetzt sehen, riskiert man den letzten Rest an Akzeptanz in der Bevölkerung zu verspielen...
De Morgen sieht das genauso. Es mangelt derzeit nicht an Dämlichkeit, giftet das Blatt. Wir befinden uns im Moment ohnehin schon in einer heiklen Phase: Je länger ein Lockdown dauert, je mehr es an Perspektiven mangelt, desto weniger sind die Menschen motiviert. Und dann werden auch umso mehr Regeln infrage gestellt, deren Nutzen ohnehin schon zweifelhaft war, weil sie, wenn überhaupt, dann nur bedingt wissenschaftlich fundiert sind.
Die Antwort unserer Behörden? Sie schwelgen in Repressionsphantasien, träumen von Drohnen, die uns aus der Luft überwachen sollen, suchen kreativ nach gesetzlichen Hintertürchen, um der Polizei Wohnungsbetretungen zu ermöglichen, wollen Pizzakarton-Strichlisten führen. Warum schaut man sich mal die Unternehmen genauer an, die es mit dem Homeoffice nicht so genau nehmen? Da wäre mehr zu holen! Und das hätte auch den Vorteil, dass kein Polizeistaat errichtet wird...
Peinliche Fehlentwicklungen
Zu alledem passt die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws: "Die Regierungen kriegen mehr Infos als die Bürger", schreibt das Blatt auf Seite eins. Anscheinend ist es so, dass die Regierung nicht alle Corona-Berichte oder -Gutachten veröffentlicht. "Diese Berichte sind nicht geheim", rechtfertigt sich die Politik; diese Berichte könnten aber für Verwirrung sorgen...
"Von wegen Verwirrung!", kommentiert Het Laatste Nieuws sinngemäß. Wenn man sich die Berichte anschaut, dann kann man vor allem feststellen, dass sie oft die Politik in Verlegenheit bringen. Dann stellt sich nämlich z.B. heraus, dass die Gesundheitsexperten manchmal schon Wochen vorher vor einer drohenden Katastrophe gewarnt haben, ohne dass die Politik reagiert hätte. Es sieht also stark danach aus, dass die Regierungen nicht die Bürger, sondern vor allem sich selbst schützen wollen, wenn sie besagte Gutachten unter Verschluss halten. Mit Vertrauen hat das Ganze herzlich wenig zu tun. Manche Fehlentwicklungen, die da zu lesen sind, sind regelrecht peinlich. Beschämend vor allem für Behörden, die zu Weihnachten Drohnen aufsteigen lassen oder Pizzakartons zählen wollen...
Konstruktiv statt repressiv
"Haben unsere politisch Verantwortlichen, hat das ganze Land den Verstand verloren?", diese Frage hört man in diesen Tagen häufiger, kann Gazet van Antwerpen nur feststellen. Nun, auf den ersten Blick mag sie berechtigt sein, doch ist es auch manchmal zu einfach, von der Seitenlinie aus zu mosern. All die Kritiker, Verfassungsexperten und Menschenrechtler, sie haben gut reden! Sie müssen ja nicht die Ausbreitung eines Virus eindämmen. Niemand will einen chinesischen Big-Brother-Staat. Nur: Wer nicht einsehen will, dass der Kampf gegen die Corona-Pandemie ihren Preis hat, der hat auch eine Schraube locker!
"Wie wäre es mit dem Mittelweg?", meint salomonisch Het Belang van Limburg. Auf der einen Seite muss der Staat natürlich die beschlossenen Regeln auch durchsetzen. Das darf aber nicht das einzige Register sein, das man zieht. Nur mit Strafen zu drohen, das schafft auf Dauer kein Vertrauen. Beispiel Deutschland: Angela Merkel droht nicht, sie reagiert. Indem sie etwa anregte, FFP2-Masken zu verteilen, um die Menschen mit Blick auf Weihnachten besser zu schützen: konstruktiv, statt repressiv; Lösungen, statt Wettrüsten...
Roger Pint